Lesenswerte Betrachtung im Tagi:
Selten stehen Redner unter solch scharfer Beobachtung wie Simonetta
Sommaruga und François Hollande am Mittwoch. Die Bundespräsidentin
empfing in Bern ihren französischen Amtskollegen – und die Nation
schaute zu.
Von
einer «neuen Phase der Beziehungen» sprach die Bundesrätin, von
gemeinsamen Werten und von der Kultur, die «Basis der Humanität» sei.
Der Gast aus Paris revanchierte sich, indem er die «aussergewöhnliche
Demokratie» der Schweiz lobte.
Bilaterale Problemfelder
wie das Ja der Schweizer Stimmbürger zur Masseneinwanderungs-Initiative
und dessen Folgen wurden von beiden allenfalls am Rande gestreift. Es
war rhetorische Dutzendware, die Sommaruga und Hollande ihren Zuhörern
boten: Ansprachen, die zwar ein weit grösseres Publikum fanden als die
durchschnittliche Rede eines Bundesrates, von deren Inhalt dennoch wenig bis nichts im Gedächtnis haften bleiben dürfte.
Schlimm
ist das nicht, denn welcher Redner schafft es schon, für die Ewigkeit
zu sprechen? Winston Churchill oder Charles de Gaulle kommen einem
spontan in den Sinn, doch lebten diese auch in historischen
Ausnahmesituation, die weit entfernt sind vom Regierungsalltag eines
Schweizer Bundesrates mit seiner raschen Abfolge von
Betriebsbesichtigungen, Messe-Eröffnungen und Jubiläumsanlässen.
Tagesanzeiger.ch/Newsnet
nimmt den Staatsbesuch zum Anlass, die rhetorischen Fähigkeiten
ausgewählter Bundesräte einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Was
unterscheidet einen Technokraten wie Johann Schneider-Ammann von einem Publikumsliebling wie Doris Leuthard und einem Volksredner wie Ueli Maurer?
Johann Schneider-Ammann:
Begrüssungen ohne Ende
Von Martin Furrer
Wirtschaftsminister Johann
Schneider-Ammann steigt aufs Podium, rückt die Brille zurecht, lächelt
ins Publikum – schlagartig fühlt man sich als Zuhörer wie ein Patient
beim Zahnarzt. Ein flaues Gefühl stellt sich ein in der Magengegend. Man
denkt: Es könnte bald sehr wehtun. Gut möglich aber auch, dass man vor
sich hin zu dösen beginnt im Stuhl – Widerstand ist ohnehin zwecklos –,
sich dem Gang der Dinge ergibt und demütig erträgt, was auf einen
zukommt: Folter, schiere Langeweile – oder beides zusammen. Denn
Schneider-Amman steht im Ruf, seine Zuhörer zu quälen, weil ihm das
Reden selber eine Qual ist. Der Bundesrat wird diesem Ruf immer wieder
gerecht. Er enttäuscht einen so gut wie nie.
«Meine sehr
verehrten Damen und Herren», hebt SchneiderAmmann am 16. September 2014
am internationalen Kongress zur Berufsbildung in Winterthur an,
schon
sinkt man ermattet zusammen, weil bereits die Anrede steif und in einem
seltsamen Stakkato daherkommt. Schneider-Ammann fährt fort: «Das
Publikum, an das ich mich heute wenden darf, sucht in mehrfacher
Hinsicht seinesgleichen: Ihm gehören 400 Vertreterinnen und Vertreter
aus verschiedensten Ländern aus Afrika, Amerika, Asien und Europa an.»
Bereits
im ersten Satz gelingt dem Magistraten das Kunststück, rhetorisch auf
grösstmögliche Distanz zu den Frauen und Männern zu gehen, die zur
Rednertribüne emporblicken. SchneiderAmmann erklärt ihnen, woher sie
kommen – die meisten Anwesenden werden das wohl selber wissen, dazu
müssen sie nicht extra nach Winterhur reisen.
Man fällt
noch etwas mehr zusammen in seinem Stuhl, doch das rettet einen nicht.
Schneider-Ammann beginnt, Willkommensgrüsse zu verteilen. «Eine
besondere Ehre ist es mir, Frau Jill Biden willkommen zu heissen», «als
weitere Exponenten willkommen heisse ich», «herzlich begrüsse ich auch»,
«schliesslich geht mein Willkommensgruss auch an alle Vertreterinnen
und Vertreter unserer Nachbarstaaten und der Länder der Europäischen
Union». Es sind amtliche Begrüssungen ohne Ende – oder träumt man schon
und hört Echos, wo gar keine sind?
Endlich kommt
Schneider-Ammann zur Sache, doch die Anästhesie-Spritze tut bereits ihre
Wirkung, die Backe schläft ein, der Körper fällt in einen
Dämmerzustand. Der Wirtschaftsminister redet vom Bildungswesen als
«System von gleichwertigen Komponenten und gleichwertigen Akteuren», er
sagt: «Kommunikation und interkultureller Dialog werden immer mehr zu
Kernkompetenzen», er appelliert: «Gefragt sind Innovation und
Kreativität», er redet von «zahlreichen Tätigkeiten im
Dienstleistungsbereich» und dass es nötig sei, «dass alle Beteiligten
auf Augenhöhe miteinander sprechen und kooperieren».
Schneider-Ammann
zeigt sich damit auch als Meister in der Kunst, sperrig und abstrakt zu
bleiben, wo er konkret werden könnte.
Unser tapferer
Bundesrat – er muss ein fleissiger Leser des Schriftstellers Kurt
Tucholsky sein. Der sagte in seinen «Ratschlägen für einen schlechten
Redner»: «Wenn einer spricht, müssen die anderen zuhören – das ist deine
Gelegenheit. Missbrauche sie.»
Doris Leuthard:
Von Bären und Italienern
Von Hansjörg Müller
Ein Herr Giacometti muss begrüsst
werden, ein Herr Professor Haller, Mitglieder der Eidgenössischen
Nationalparkkommission, «Charas amias e chars amis da la Svizra
Rumantscha», endlich und schliesslich ein imaginierter «Dear Guest from
all over the world». Von lokalen, kantonalen und nationalen Honoratioren
gar nicht zu reden. Ein absurdes, nervtötendes Ritual, das, so hofft
man wenigstens, in diesem Fall durch ein Lächeln oder einen
Augenaufschlag der Rednerin ironisch gebrochen wurde. Unwahrscheinlich
ist das nicht, denn die Rednerin ist Bundesrätin Doris Leuthard.
Am
1. August 2014 spricht die Umweltministerin im bündnerischen Zernez
zum 100-Jahr-Jubiläum des Schweizerischen Nationalparks. Die
Bundesfeier lädt ein zu einer Tour d’Horizon, bei der die «Stille der
Berge» und die «Demut vor der Natur» nur den Ausgangspunkt bilden.
Leuthard redet vom nachlässigen Umgang mit den Ressourcen, vom harten
globalen Wettbewerb, von Lohndruck, hohen Mieten, vollen Zügen, von der
AHV, sozialer Kohäsion und von der Masseneinwanderungs-Initiative.
Ihre
besseren Momente hat Leuthards Rede, wenn es anekdotisch wird, etwa,
wenn die Bundesrätin von ehrenamtlichen Nationalpark-Unterstützern
erzählt, die ihre Umgebung so gut beobachteten, dass sie auf den Tag
genau sagen könnten, wann das letzte Murmeltier seinen Winterschlaf
beginne. Doch solche Augenblicke sind allzu selten. Meist sagt Leuthard
Sätze wie diesen: «Der Nationalpark ist nicht nur ein Freizeitvergnügen,
so wie die Schweiz nicht nur ein Tummelplatz für die Spassgesellschaft
ist.»
Unfreiwillig komisch wird es, als die Bundesrätin
von Bären und Italienern berichtet: «Zuerst» habe man gegen die Bären
polemisiert, «die torkelnd im Gefühl ihrer Sicherheit in die Ziegen- und
Schafställe einfallen», wie 1914 ein Redner im Nationalrat beklagt
habe. «Dann», so Leuthard, «gab es Widerstand gegen die Italiener», die
als «rücksichtslose Wilderer» betrachtet worden seien. Die Parallele
zwischen Mensch und Tier drängt sich geradezu auf, und die Moral von der
Geschicht auch: Der Bär sei «zwar nicht ein Masseneinwanderer, aber ein
massiger Einwanderer». Gerne wüsste man, ob das Publikum angesichts
solch einer Pointe lachte.
Für Intellektuelle, die sich
eventuell unter die Zuhörer verirrt haben könnten, wird Ludwig Marcuse
zitiert: «Die Enthusiasten haben nie recht, die Skeptiker immer. Dafür
schaffen nicht sie, sondern jene Neues.» Nein, es ist kein rhetorisches
Glanzlicht, das Doris Leuthard an diesem 1. August setzt, doch
speziell schlecht ist ihre Rede auch nicht. An einer Stelle schüttelt es
den Zuhörer dann allerdings doch.
Vermutlich, um «bi de Lüt» zu sein,
hat Leuthards Redenschreiber noch eine Fussball-Metapher eingebaut:
«Baut an der Fan-Meile der Demokratie weiter», ruft die Magistratin dem
Publikum zu. Schliesslich ist die Weltmeisterschaft in Brasilien gerade
erst vor zwei Wochen zu Ende gegangen.
Am Ende wird es
dann beinahe noch pastoral: «Fürchtet euch nicht vor Veränderung.
Vergrabt euch nicht hinter Geschichten und Mythen. Öffnet Augen und
Herzen.» Was Leuthard bietet, ist solider eidgenössischer Durchschnitt,
bei dem für jeden etwas dabei ist.
Ueli Maurer:
Der Uneitle
Von Samuel Tanner
Ueli Maurer spricht meistens in
Festzelten und Turnhallen – die grösste Stärke seiner Reden ist
deshalb, dass sie nicht Krawatte tragen oder Manschettenknöpfe wie bei
Didier Burkhalter, sondern Faserpelz.
Zum Beispiel
Rothenthurm (SZ). Es ist der 25. Oktober 2014 und im Mehrzweckgebäude an
der Müllernstrasse 12 findet die Delegiertenversammlung der SVP statt.
Hoi Ueli, guet bisch da!, Pflichttermin für den Bundesrat, die Welt
erklären in zwanzig Minuten. Sein Thema lautet: Was heisst eigentlich
Souveränität?
Maurer verzichtet auf die bei Politikern
üblichen Mark-Twain- oder Jean-Jacques-Rousseau-Zitate, er bemüht keine
Schifffahrtsmetaphern («stürmische See», «Segel richtig setzen») – und
beginnt mit einer Warnung: «Ich bin heute hierher gekommen, um Sie vor
einem Trick zu warnen – vor einem simplen, aber wirkungsvollen Trick.
Sie wissen ja, wie ein Weinpanscher vorgeht. Er mischt den teuren Wein
mit einem billigen Fusel. Die Etikette bleibt die gleiche. Aber der
Inhalt ist ausgedünnt, wertlos und ungesund. Es gibt nicht nur
Weinpanscher, es gibt auch Begriffspanscher.»
Maurer geht es um die Souveränität, die, seiner Rede nach, gerade oft verwässert, abgeändert oder ins Gegenteil verdreht wird.
«Immer
wieder hört man die Behauptung: Wenn wir hier und dort auf Souveränität
verzichten, dann würden wir damit insgesamt unsere Souveränität
stärken. Also je mehr man gibt, desto mehr hat man – ein solches
Wunder hat es seit der Speisung der Fünftausend wohl nicht mehr gegeben.
Wer in dieser absurden Logik zu Ende denkt, käme unweigerlich zum
Schluss: Es gäbe keine bessere Rechtsstellung als die eines
Bevormundeten. Und niemand wäre so frei wie ein Sklave.»
Wer
auch immer den Beginn dieser Rede geschrieben hat: Er versteht etwas
von seinem Handwerk und auch von Ueli Maurer. Der SVP-Bundesrat ist ein
uneitler Redner. Meistens spricht er nicht, um zu beeindrucken, sondern
um verstanden zu werden. Den Schraubenzieher des Populismus benutzt er
zwar, überdreht dabei aber nicht wie Christoph Blocher. Maurer redet
fast immer frei und so oft es geht in Mundart. Seinen Reden nimmt er
damit viel an Komplexität und ein wenig an Angriffsfläche für
Parodisten.
In der Mitte seiner Rothenthurmer Rede kommt
Maurer auf die «staatliche Souveränität als Friedenskonzept» zu
sprechen. Er sagt: «Die Souveränität der Staaten brachte eine wichtige
Klärung der politischen Verhältnisse und die Möglichkeiten für Eingriffe
und Einmischungen wurden reduziert.»
Die Rede trägt
trotz dieses Theorie-Exkurses immer noch Faserpelz, nur wird der jetzt
immer grösser. Es scheint nun, als trage der Pelz Ueli Maurer und nicht
mehr umgekehrt.
Am Ende aber schafft Redner Maurer die Kurve. Er zieht
ein Beispiel aus der Schweizer Geschichte heran; 1798, die Schwyzer
verteidigen ihre Souveränität gegen die Franzosen – und sagt dann:
«Beginnen Sie, die Begriffspanscherei zu durchschauen.»
Als Ueli Maurer fertig gesprochen hat, bleibt den Leuten das Bild von den Wein- und Begriffspanschern. Mehr geht nicht.
(Basler Zeitung)
LINK:
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3. Aug. 2013 ... Eine Festreden-Analyse des Experten Marcus Knill. 1. Augustreden Bundesräte
In den Ansprachen der Bundesräte und -rätinnen spiegeln sich ...
www.rhetorik.ch/Aktuell/13/08_03/
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