Der Sinn von Rhetorik-Kursen und Executive Coaching besteht nicht
darin, glaubwürdiger lügen zu lernen, sondern unbequeme Tatsachen zu
vermitteln, ohne sich Vertrauen zu verscherzen. Der Bedarf an Nachhilfe
ist erheblich.
Für den Bundespräsidenten war das Doppeljubiläum an der
Eberhard-Karls-Universität eine willkommene Gelegenheit, ein paar
unwillkommene Wahrheiten loszuwerden. Zum Stichwort
»500 Jahre Rhetorik in Tübingen, 30 Jahre Seminar für Allgemeine Rhetorik«
fielen dem Staatsoberhaupt nämlich vor allem Defizite ein. Defizite,
die seiner Ansicht nach weniger eklatant wären, würde die „älteste
Kommunikationswissenschaft der Welt“ an hiesigen Hochschulen noch so
gepflegt wie in England oder Frankreich. „Einerseits beschreiben wir uns
selbst als Kommunikationsgesellschaft, andererseits sind immer weniger
Menschen in der Lage, verständlich zu kommunizieren“, befand Roman
Herzog – und verriet den Festgästen, für ihn sei es manchmal „geradezu
eine Strafe“, deutschen Wissenschaftlern, Experten und Politikern bei
ihren öffentlichen Äußerungen zuzuhören.
Herzogs geschliffene Brand-Festrede über „Rhetorik in der Demokratie“
stammt aus dem Jahr 1997, aber sie wäre kaum weniger treffend, wenn sie
neueren Datums wäre und „Rhetorik im Wirtschaftsleben“ hieße.
Die
Redekunst nach altgriechischem Vorbild systematisch zu erlernen, ist
für den Manager-Nachwuchs nach wie vor Kür, nicht Pflicht. Das Studium
der Rhetorik und ihrer Wirkungsmacht gehört in Deutschland nicht zur
obligatorischen Ausbildung der Akademiker, sondern zur freiwilligen
Fortbildung – woran nach verbreiteter Einschätzung vor allem
Joseph Goebbels
schuld ist, dessen Hetzreden das Mundwerkszeug der Opinion Leaders
nachhaltig in Verruf gebracht hatten. Rhetorische Raffinesse schien
seither suspekt, als sei sie das Kainsmal der Demagogen und
Winkeladvokaten, die wissen, wie man die Wahrheit biegen muss, um
plausibel zu lügen. Das Ideal bei der Erziehung der
Wirtschaftswunderkinder hieß gerade heraus zu reden, argumentative
Winkelzüge und sprachliche Spitzfindigkeiten waren verpönt. Selbst
Walter Jens, die langjährig omnipräsente Medienfigur, blieb als
„Tübinger Rhetorik-Professor“ im Grunde ein Exot, dessen persönliches
Renommee auf sein Ressort kaum abfärbte.
Da sie nie gelernt haben, wie es richtig geht, reden manche
hochrangige Manager um den heißen Brei herum, rücken scheibchenweise mit
der Wahrheit heraus, reden sich auch mal um Kopf und Kragen. Manche
murmeln so monoton, als hätten sie nie ein Rhetorikseminar besucht.
Glaubt man Insidern, ist die Zahl der PR-Verantwortlichen, die sich mit
diesem Problem herumschlagen müssen, nicht eben klein. „Der Vorstand
selbst ist nicht selten das größte kommunikative Risiko“, stöhnt
Stefan Wachtel, der als Partner der Frankfurter Coaching-Agentur
Expert Executive
Führungskräfte für wichtige Auftritte fit macht. „Wenn man sich
vorstellt, wie viele deutsche Finanzvorstände in London Analysten mit
erbärmlicher Präsentationskunst überzeugen wollen, wird einem
schwindlig.“
„Überzeugen“ ist das Schlüsselwort. Sinn der Übungen sei nicht,
Adressaten wider besseres Wissen zu überreden, sagen seriöse
Rhetoriklehrer unisono. Doch wie jeder Einkäufer woanders die Trennlinie
zieht zwischen Verkaufsgenies, die fähig wären, den Inuit Klimanlagen
für ihre Iglus aufzuschwatzen, und vertrauenswürdigen Kundenberatern, so
streiten sich auch die Gelehrten, welche rhetorischen Mittel, welche
Techniken der Persuasion in der Außen- und Innenkommunikation von
Unternehmen erlaubt sind – und welche ethisch inakzeptabel.
Immerhin: Zur platten (Not-)Lüge bekennt sich niemand, „Ehrlichkeit“
ist die Standardantwort auf die Frage nach der wichtigsten Tugend
professioneller Kommunikatoren. Allerdings war derjenige, der einst
sagte, dass alle Kreter lügen, selber Kreter. Was stimmt? Im allgemeinen
hielten sich die Kollegen an den alten Grundsatz „Never lie to the
press“, sagt
Horst Avenarius, Präsident des
Deutschen Rates für Public Relations.
„Aber manchmal weichen sie einer Ant- wort aus, manchmal sagen sie
nicht die ganze Wahrheit – aber wer tut das schon? – bisweilen
desinformieren sie auch.“ Insbesondere für Sprecher der
Regierungsparteien und Ministerien sei es wohl „zur Zeit sehr schwer“,
ehrlich zu sagen, was Sache ist. Diese Ansicht teilt wohl auch
Altmeister Wolf Schneider, der unlängst in der Süddeutschen Zeitung
ätzte: „Wähler werden nun einmal lieber angelogen als mit einer bitteren
Wahrheit konfrontiert.“
Diese Erkenntnis taugt gleichwohl nicht als Freibrief, mit
Rhetorik-Tricks die Öffentlichkeit zu täuschen, denn damit riskiert man
seine Glaubwürdigkeit. Für Roman Herzog bildet sie „das wichtigste
Kapital des Redners überhaupt“. Wer sie verliert, wird – wie Ulrich
Lissek von der Deutschen Telekom
den PR-Forschern der Uni Hohenheim sagte – „berufsunfähig“.
„Alles, was man sagt, sollte wahr sein“, lautet die Maxime der
Pragmatiker, „aber man sollte nicht immer alles sagen, was wahr ist.“
Allein schon Letzteres kann eine rhetorische – und mimische –
Herausforderung sein. Ein Pokerface liegt nicht jedem. Dass es dem
Menschen instinktiv peinlich ist, Fehler zuzugeben, macht die Aufgabe
nicht gerade leichter. Ein archaischer Impuls drängt uns zur
Schmerzvermeidung – Spott tut weh. Typisch, was unlängst der
Pressesprecher eines deutschen Berufsverbandes mitteilte: „In unsere
Pressemitteilung hat sich leider ein Schreibfehler eingeschlichen.“ Er
schrieb nicht: „Wir haben uns verschrieben.“ Oder gar: „Ich habe mich
verschrieben.“ Eine rhetorische Figur verleiht dem öffentlich
dokumentierten Fehler ein Eigenleben – so entstand einst das
nichttotzukriegende Druckfehlerteufelchen.
Bei wirklich relevanten Sachverhalten greifen simple
Ablenkungsmethoden ohnehin nicht. Zwar rät uns auch dann der Instinkt,
den Kopf einzuziehen, sobald uns bewusst wird, dass wir etwas tun oder
getan haben, das jemand gegen uns verwenden könnte. Sich wegzuducken,
kann sich aber kein Kommunikationsprofi und kein Manager leisten.
Dass
trotz dieses Wissens viele Führungspersönlichkeiten im entscheidenden
Moment versagen, führt der Schweizer Kommunikationsberater Marcus Knill
zurück auf schlichte „Angst, die Wahrheit zu sagen“. Wenn jemand nicht
gelernt habe, mit schlechten Nachrichten umzugehen, dann werde eben
„beschönigt, ausgewichen, oft sogar gelogen“. Folgt man Knill, dem
Experten für Krisenkommunikation, so leidet die Reputation von Firmen
und Personen stärker unter unprofessioneller Kommunikation als unter den
negativen Fakten. Statt sich „mit Airbag-Rhetorik zu polstern“, sollten
Manager wie auch Politiker auf eine kritische Frage lieber „eine kurze,
konkrete, überzeugende Antwort geben“.
Das will trainiert sein – und da bietet der Markt nicht nur
Kompetentes und ethisch Korrektes. Wachtel moniert, dass längst nicht
jeder, der sich Coach nenne, über eine fundierte Ausbildung verfüge.
„Manager zahlen Tausende von Franken, um lügen zu lernen“, empört sich
Knill, „die haben Trainer, die sind Theaterregisseure.“ Der Schweizer
sieht die PR-Verantwortlichen in der Pflicht, als „Hofnarren“ ihren
Chefs den Spiegel hinzuhalten und sie in der Simulation üben zu lassen,
wie man souverän mit kritischen Fragen umgeht: „Tausendmal, bis die
Antwort überzeugt, aber nicht gelogen ist.“
Einig sind sich beide Experten, dass ein Firmenvorstand sich die Zeit
nehmen muss, an sich zu arbeiten. Der Generation der DAX-30-Vorstände,
die seit 2003 ans Ruder gekommen sind, sei dies bewusst, so Wachtel. Sie
seien aufgeschlossen für das – in angelsächsischen Ländern längst
akzeptierte – Konzept des „Corporate Speaking“. Dazu gehören für den
Coach mit dem Spezialgebiet Finanzmarkt-Kommunikation sechs Schritte:
– Die eigene Rolle klären,
– festlegen, was der Auftritt bewirken soll,
– Stichwortmodule erarbeiten (anstelle des klassischen Vorlesetextes),
– das eigentliche Coaching,
– die passende Kleidung wählen (samt Fototermin),
– abschließend die Wirkungskontrolle.
Bei allen Trainingsmaßnahmen – sei das Ziel nun Krisenkommunikation,
die Verkündung schwerwiegender Managemententscheidungen oder das
Überzeugen von Investoren – geht es letztlich darum, sich das Vertrauen
der Stakeholder zu erhalten, wozu immer eine gute Portion Offenheit
gehört. „Die Reputation wird nur gefährdet, wenn man keine Argumente
nennen kann und daher die öffentliche Auseinandersetzung scheut“, ist
die Erfahrung von Horst Avenarius. „Mit Gegenwind aus Politik und Medien
umzugehen, dafür wird ein Vorstand bezahlt.“
Misslich ist es, wenn jemand zwar gute Argumente hat, aber sein
Lampenfieber nicht in den Griff bekommt. Damit erfüllt er zwar das
beliebte Trainingsziel, „authentisch“ zu sein, schadet aber dem
Aktienkurs seiner Firma, weil er den Eindruck erweckt, überfordert zu
sein. „Es kommt nicht darauf an, wie einer ist“, warnt deshalb Stefan
Wachtel, „sondern wie er wirkt.“ Was im Umkehrschluss ein wenig zynisch
klingen mag, weil es als Plädoyer fürs Schauspielern missverstanden
werden könnte. Davon wiederum rät Marcus Knill ganz entschieden ab: „Ein
Mensch muss echt sein. Wenn einer falsch spielt, wenn das, was er sagt,
nicht übereinstimmt mit dem Wie, das merkt sogar ein Hund.“
Quelle: Froitzheims Wortpresse