Samstag, 5. April 2008

Politologe Ladner: Das gab es schon einmal!

Auch die SP hatte einen Fall Widmer

Ich zitiere blick-online 5. April 08:

Bundeshaus, 7. Dezember 1983: Die bürgerliche Mehrheit des Parlaments wählt nicht die offizielle SP-Kandidatin Liliane Uchtenhagen, sondern den wilden SP-Kandidaten Otto Stich in den Bundesrat. Der hatte in Geheimgesprächen vorher den damaligen FDP-Strippenzieh­­ern zugesagt, die Wahl auch anzunehmen. Skandal skandierten die Genossen damals landauf, landab, SP-Präsident Helmut Hubacher schäumte vor Wut,

die SP-Parteileitung verlangte den Auszug aus dem Bundesrat.

Ersetzt man die Namen Uchtenhagen und Stich durch Blocher und Widmer-Schlumpf, könnte man meinen, die Geschichte habe sich am 12. Dezember 2007 eins zu eins wiederholt. «Die Ausgangslage war sehr ähnlich», bestätigt der Politologe und Experte für Parteigeschichte Andreas Ladner. Die Verärgerung der Parteien sei auch in beiden Fällen verständlich, meint Ladner,

«jede Partei will schliesslich ihren Wunschkandidaten im Bundesrat».

Die heutige Empörung der anderen Parteien inklusive SP gegenüber der SVP ist für Ladner denn auch «vor allem politisch motiviert – man will dem Gegner schaden».

Auch das Argument, die SP hätte damals ihren Konflikt demokratisch gelöst, die SVP hingegen nicht, lässt Ladner nicht gelten:

«In beiden Fällen wurden die offiziellen Regeln der Statuten eingehalten, der Entscheid demokratisch gefällt.» Die SP trommelte im Februar 1984 einen Parteitag zusammen und liess abstimmen. Die Parteileitung unterlag, die SP blieb im Bundesrat.

Parallel läufts bei der SVP: Zuerst entschied die Parteileitung, gestern dann der Zentralvorstand, definitiv entscheiden wird die Delegiertenversammlung im Frühsommer. Ist die ganze Aufregung hochgespielt? «Nein. Es gibt trotzdem ­einen grundlegenden Unterschied», sagt Ladner. Bei den Debatten der SP gings damals darum, ob es überhaupt noch Sinn mache, dass eine linke Partei in der Regierung ist. Und um die Stellung der Frau in der Politik – schliesslich war gerade die Wahl der ersten Frau in den Bundesrat verhindert worden. Ladner: «Es ging also primär um politische Probleme, nicht um die Person Stich.» Nach dem Entscheid arbeitete die SP dann auch regulär mit Stich zusammen, er wurde ein beliebter SP-Bundesrat.

«Im Streit SVP gegen Widmer-Schlumpf gehts aber nicht um Sachfragen, sondern primär um Rache, Abrechnung und den Personenkult um den unantastbaren Parteiführer», erklärt Ladner. Aber er zweifelt auch nicht daran, dass Stich aus der Partei ausgeschlossen worden wäre, hätte die Parteibasis damals anders entschieden. «Er hätte den Marschbefehl erhalten und bei Nichtbefolgen wäre er ausgeschlossen worden.» Aber das wäre vor allem ein «politisch begründeter Entscheid gewesen und keine simple Abstrafung Stichs als sogenannter ‹Verräter›».

Auch wenn sich vieles ähnelt. Einfach wiederholt hat sich die Geschichte nicht.

Otto Stich (Dritter v. r.) wurde am 7. Dezember 1983 gegen den Willen der SP in den Bundesrat gewählt. (RDB)

Kommentar K+K: Es ist erstaunlich, wie vergesslich wir sind.

Mein Geschichtslehrer in der Kantonsschule sagte einmal: Das einzige, was wir aus der Geschichte lernen können ist, dass wir aus der Gescchichte nichts lernen.

Es lohnt sich - beim SVP-Widmer Dilemma - die Frage zu stellen: Was könnten wir nun aus den beiden politischen Geschichten Stich/Widmer lernen?

Vielleicht:

1. Die Emotionen steuern in erster Linie unsere Entscheide.

2. Es gibt keine generellen Rezepte. Der Fall Widmer muss neu analysiert werden.

Für mich ist der Widmer-Fall brisanter.

- Zu Vieles blieb bis heute offen und ist leider immer noch ungeklärt (Aussagen und Gegenaussagen)

- Es ist nicht gesagt, dass die neugewählte Bundesrätin in diesem vergifteten Klima dem Druck und der unablässigen Kritik standhalten kann. Nach dem schlaflosen Nächten könnte es bald zu psychosomatischen negativen Auswirkungen kommen und der SVP könnte es somit gelingen, doch noch ihr Ziel zu erreichen.

Es geht in beiden Fällen um Rachegefühle, um persönliche Verletzungen. Das Problem scheint nicht mehr rational gelöst werden zu können.

Aus meiner Sicht hat sich Widmer- Schlumpf viel zu spät erklärt und es wird für sie sehr schwer sein, ihre angeschlagene Reputation zu korrigieren.

Aussitzen und schweigen war in diesem Fall eine schlechte Strategie!

Ich bin nach wie vor überzeugt, die SVP hat sich defintiv festgebissen und krebst nicht mehr freiwillig zurück.

Der Zumbühl- Film hat wahrscheinlich bei der ganzen Geschichte ein wichtige Rolle gespielt. Die Bevölkerung wurde verunsichert und ist immer noch irritiert. Aussagen und Gegenaussagen, die im Fernsehen dokumentiert wurden, konnten leider die Frage nicht klären:

Wer hat nun eigentlich gelogen? Wer sagt die Wahrheit?

Die Zweifel nagen seit Tagen und Wochen am Image der neugewählten Bundesrätin und das wirkt destabilisierend!