Freitag, 18. Januar 2013

Armstrong Interview - ein Medienereignis

Ich habe dieses Interview heute Nacht um 3 Uhr beobachtet und analysiert (Text folgt):
Die Medien werden schreiben, Armstrong habe Reue gezeigt und beweisen dies mit folgender Aussage:

«Wenn ich Ausschnitte von damals sehe, denke ich, was ich doch für ein arroganter Scheisskerl gewesen bin», kommentiert Armstrong Ausschnitte, die zeigen, wie er in Interviews und bei gerichtlichen Befragungen lügt.

Ich komme zu einem anderen Schluss:
Armstrong hat Fehler eingestanden. Das Interview war gut vorbereitet, Armstrong argumentierte professionell, aber mir fehlt die Reue, die von innen kommt.
Ich zitiere mein Interview im Tagi online und BUND mit Capodici Vincenzo:

«Armstrong hätte wohl auch Lügendetektoren täuschen können»

Lance Armstrong hat im TV seine Dopingbeichte abgelegt. Hat er das glaubwürdig gemacht? Was hat seine Körpersprache verraten? Antworten gibt der Kommunikationsexperte Marcus Knill. Mehr...


«Armstrong hätte wohl auch Lügendetektoren täuschen können»

Aktualisiert vor 23 Minuten 58 Kommentare
Lance Armstrong hat im TV seine Dopingbeichte abgelegt. Hat er das glaubwürdig gemacht? Was hat seine Körpersprache verraten? Antworten gibt der Kommunikationsberater Marcus Knill.
Er konnte nur eine Frage mit Nein beantworten – jene, dass er die Tour-de-France-Siege ohne Doping nicht geschafft hätte: Lance Armstrong im Gespräch mit Oprah Winfrey.


«Nach der Beichte versuchte Armstrong, seine Dopingvergehen abzuschwächen und als normale Vorgänge darzustellen»: Marcus Knill, Kommunikationsberater und Coach.
Hat Lance Armstrong in seiner TV-Beichte aufrichtige Reue gezeigt? Oder nur schauspielerisches Talent offenbart?

Marcus Knill: Der Auftritt von Armstrong war sehr gut vorbereitet und gut inszeniert. Dennoch nimmt man ihm seine Aussagen nicht als echte Reue ab. Es genügt nicht zu sagen, dass es ihm leid tue. Echte Reue müsste von tiefstem Herzen kommen. Und ich erinnere an das Sprichwort «Wer einmal lügt...». Während des Interviews wurden immer wieder alte TV-Sequenzen ausgestrahlt, bei denen Armstrong professionell gelogen hatte. Diese Bilder schaden ihm nun enorm: Sie machen alle noch so glaubwürdig wirkenden Interviewantworten unglaubwürdig. Weshalb soll man bei so einem durchtriebenen Falschspieler sein inszeniertes Geständnis ernst nehmen? Armstrong hat zu lange und zu perfekt als Lügenmanager alle getäuscht und erstaunlich glaubwürdig erklärt, er sei sauber. Als Dopingsünder war Armstrong ein Ausnahmetalent. Er hätte wohl mit seinen Beteuerungen auch Lügendetektoren täuschen können. Vielleicht hatte er mit der Zeit begonnen, selbst daran zu glauben, dass er sauber sei.

Mit welchen Argumentationsketten versuchte Armstrong zu punkten?

Armstrong machte zuerst eindeutige Geständnisse. Die heiklen Fragen beantwortete er kurz und bündig mit Ja. «Ja, ich habe verbotene Substanzen eingenommen», sagte er zum Beispiel. Oder auch: «Ich habe den Entscheid gefällt. Es ist mein Fehler gewesen.» Er verzichtete darauf, andere Fahrer zu beschuldigen. Nach dieser Beichte versuchte Armstrong, seine Dopingvergehen abzuschwächen und als normale Vorgänge darzustellen. Doping sei im Radsport üblich gewesen. Ich zitiere Armstrong: «Doping war für mich Teil des Jobs – wie Reifenaufpumpen und Wasserflaschenauffüllen.» Ohne Doping sei es auch nicht möglich gewesen, zu gewinnen. «Ich wollte siegen, ich musste dopen», sagte Armstrong. Und mit der Aussage, dass er das Doping nicht erfunden habe, verlagerte Armstrong die Schuld auf die Erfinder von Dopingmitteln. Schliesslich versuchte er, die Dopingübertretungen mit seiner Krebserkrankung zu koppeln. Es sei erst das zweite Mal gewesen, dass er die Kontrolle über das Geschehen nicht mehr gehabt habe. «Das erste Mal war beim Krebs.»

Können Sie diese Argumentation von Armstrong genauer erläutern?

Armstrong zeichnete von sich das Bild eines furchtlosen Kämpfers. Ich zitiere ihn: «Ich wuchs auf als Kämpfer auf. Wir standen immer mit dem Rücken zur Wand. Und vor der Diagnose war ich ein Kämpfer. Aber nach dem Krebs war ich ein furchtloser Kämpfer.» So wie bei der Diagnose Krebs habe er als Kämpfernatur Medikamente respektive Dopingmittel eingesetzt, gab Armstrong zu verstehen. Ich vermute, dass Armstrong diese clevere Argumentationskette professionell trainiert hatte. Trotz eingeübter Argumentation und trotz betont lockerer Sitzhaltung während des TV-Interviews zeigten viele kleine Signale, dass etwas nicht stimmen kann.

Sie sprechen die Körpersprache von Armstrong an. Was ist Ihnen besonders aufgefallen?

Armstrong griff sich immer wieder ins Gesicht. Beim Zuhören und nach dem Sprechen presste er die Lippen eigenartig zusammen – im Sinne von «Pass auf, dass du nichts Falsches sagst». Armstrongs Lachen huschte wie antrainiert über sein Gesicht. Bei heiklen Fragen stockte der Sprechfluss. Während des Sprechens brach er den Blickkontakt zur Moderatorin zu oft ab. Manchmal hatte man den Eindruck, Armstrong suche konzentriert die antrainierte Formulierung auf einem Teleprompter. Jedenfalls stimmte die sonore ruhige Stimme von Armstrong nicht mit dem Inhalt der Aussagen und den nonverbalen Signalen überein. Ungewöhnliche Signale waren nicht nur bei der Lippen-, sondern auch bei der Augensprache festzustellen. Beispielsweise zog Armstrong das untere Lid plötzlich leicht nach oben. Solche Signale werden vom Publikum unbewusst wahrgenommen und interpretiert.

Zurück zum Inhalt des Interviews. Die Verquickung von Dopingvergehen und Krebserkrankung haben Sie als geschickt bezeichnet. Hat Armstrong nicht aber auch Aussagen gemacht, die ihm ganz klar schaden?

Plump und unglaubwürdig war zum Beispiel Armstrongs Behauptung, die Spende von 125'000 Dollar an die Anti-Doping-Behörde sei dazumal kein Bestechungsversuch gewesen. Auch das Unrechtsempfinden Armstrongs gibt zu denken. Ich zitiere Armstrong: «Ich habe nicht gedacht, dass ich betrüge. Doping war damals kein Betrug für mich.» Doping sei für ihn sozusagen das Sicherstellen von Waffengleichheit im Radsport gewesen. Solche Aussagen sind aus meiner Sicht kontraproduktiv. Damit signalisierte Armstrong Uneinsichtigkeit – und er entwertete seine Geständnisse.

Was ist im zweiten Teil des TV-Interviews, das in der Nacht auf Samstag ausgestrahlt wird, zu erwarten?

Ich bin keine Kaffeesatzleser. Dennoch müssen wir damit rechnen, dass Armstrong strategisch handeln wird. Dabei geht es um das Thema «Kronzeugenaussage gegen die Funktionäre des Weltradsportverbands». Armstrong wird sich an die Anweisungen seiner Berater halten. Dass er die Radsportfunktionäre konkret anschwärzt, glaube ich nach dem ersten Teil des TV-Interviews weniger. Er wird wohl durchblicken lassen, dass die Dopingsünder keine Angst haben mussten. Jahrelang sei nichts geschehen. Damit werden die Dopingkontrolleure indirekt beschuldigt, versagt zu haben.

Macht es bei einer Beichte Sinn, auf Fehler und Versäumnisse von Radsportfunktionären und Dopingkontrolleuren hinzuweisen?

Seine Rechtsberater werden Armstrong klargemacht haben, bei welcher Version er am besten wegkommen kann. Falls sich seine Kronzeugenaussagen und das Mit-Aufdecken von Missständen auf das Strafmass günstig auswirken, wird Armstrong die mutmasslichen Versäumnisse der Radsportbehörden konkret benennen. Diese Thematik wird vermutlich im zweiten Teil des TV-Interviews wiederum genau inszeniert worden sein.

Die TV-Beichte ist nur ein Teil von Armstrongs «Gang nach Canossa». Welches Prozedere muss er noch durchlaufen?

Wenn es Armstrong gelingt zu vermitteln, dass auch noch eine Prise echte Reue durchschimmert, könnte er zusätzliche Punkte holen. Ein echtes Mea culpa würde heissen: er nimmt die Schuld auf sich – damit würde er ENT-schuldigt. Wenn ein Angeschuldigter die Schuld auf sich nimmt, fällt es schwer, ihn noch mehr zu belasten.

Mit welchem öffentlichen «Urteil» muss Armstrong rechnen?

Nebst der lebenslangen Sperre, der Aberkennung der sportlichen Erfolge und einer allfälligen Gefängnisstrafe – man rechnet zwar beim Meineid mit einer Verjährung – wird Armstrong trotz dieses TV-Interviews von echten Sportfreunden geächtet bleiben. Sein Image ist dahin. Promis liegt enorm viel am Image.

Ist die Dopingvergangenheit ein grosses Hindernis für das weitere Berufsleben von Armstrong oder für den Fall, dass er in ein paar Jahren Politiker werden möchte?

Bei solchen gravierenden Vorkommnissen sehe ich kaum ein Revival, obschon Armstrong Aufmerksamkeit gewonnen hat, wie ich es im Sport selten gesehen habe. Ein dermassen negativer Bekanntheitsgrad ist kaum zu übertreffen. Die traurige Geschichte ist noch nicht fertig. Jedenfalls geht Armstrong in die Sportgeschichte ein. Der Fall ist einmalig. (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)
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ERSTAUNLICH, WIE DIESES THEMA DIE BEVOELKERUNG INTERESSIERT.
UM 1200 GING  DER BEITRAG ONLINE. 1700 Uhr hatte es bereits 97 Kommentare. (Tagi-online)
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 Video abspielen

 
Vor der Armstrong-Beichte im TV (0300 Uhr wurden mir von Vincenzo Capodici am Morgen  folgende  Fragen gestellt - Mein Kommentar dazu:

 - Wie glaubwürdig ist Armstrong aufgetreten? Zeigte er  aufrichtige Reue? Oder  schauspielerische Fähigkeiten?

Armstrong hat zu lange, zu perfekt als Lügenmanager alle getäuscht und jahrelang erstaunlich glaubwürdig versprochen, er sei sauber. Als Doping Sünder war er für mich ein Ausnahmetalent. Er hätte wohl auch mit seinen glaubwürdigen Beteuerungen auch Lügendetektoren täuschen können. Vielleicht hatte er selbst daran geglaubt, sauber zu sein.   Denn es kann nachgewiesen werden, dass wenn jemand, der das glaubt, was er sagt,  keine Signale der Lüge mehr vermittelt. Das konnte man bei Tests von Lügen-Detektoren bei Zeugenaussagen nachweisen. Schauspielerische Fähigkeiten allein genügen nicht.
Der heutige - ebenfalls sehr gut vorbereitete und gut inszenierte Auftritt - nimmt man Armstrong  in seiner jüngsten Beichte nicht als echte Reue ab. Er sagt zwar "Tut mir leid" Doch fehlt mir die echte Reue. Ein echtes MEA CULPA, das von Herzen kommt. Er hat die Vergehen nur zugegeben - aber nicht bereut.
Das Sprichwort: Wer einmal lügt..... Müsste man bei Armstrong ergänzen: Wer so lange so glaubwürdig gelogen wird auch bei seinem gut präsentierten Eingeständnis das verlorene VerTRAUEN zurückgewinnen können. Wie können wir jetzt seinen Worten TRAUEN? 
Im Interview wurden immer wieder alte Sequenzen eingespielt, bei denen Armstrong professionell gelogen hatte. Diese Bilder schaden heute dem angeklagten Sportler enorm. Sie stellen alle noch so glaubwürdig wirkenden Interview - Antworten in Frage . Weshalb sollte man einem so durchtriebenen Falschspieler das inszenierte Eingeständnis ernst nehmen?
Plump und  unglaubwürdig ist  vor allem Armstrongs Behauptung angekommen:
Die Spende von 125 000 Dollar an die Anti - Doping - Behörde sei dazumal kein Bestechungsversuch gewesen.



- Punkto Rhetorik, inhaltlicher Argumentation,  Körpersprache etc: Was hat er  gut gemacht? Was  weniger?

Rhetorisch  ist jemand dann gut, wenn er verstanden wird, wenn er adressatengerecht und natürlich, echt und glaubwürdig spricht.

Zur Argumentationskette:

Die Argumentation baute Armstrong oder seine Berater auf folgendem Gerüst auf: Der Dopingsünder muss zuerst die uebertretungen ohne wenn und aber eindeutig zugeben. Die heiklen Fragen wurden kurz und bündig   mit JA beantwortet "Ja ich habe verbotene Substanzen genommen!"
"ICH habe den Entscheid gefällt. Es ist MEIN Fehler gewesen".
Er beschuldigt die anderen Fahrer nicht.
Nach dieser Beichte musste versucht werden, seine Vergehen abzuschwächen. Die Schuld stellt er in einen anderen Rahmen   (Framing):

 Das haben die meisten so gemacht (nur 5 nicht)
Armstrong schildert konkret, welche Substanzen (EPO, Transfusion, Testeron) verabreicht worden sind und verdeutlicht, wie das ausgeklügelte System erfolgreich funktioniert hatte (Uebergabe mit Motorradfahrern).
Mit der Aussage, ohne Doping sei heute kein Sieg mehr möglich, wird  implizit gesagt, jeder der gewinnen will, MUSS  dopen. Armstrong unterstreicht diese Sicht:
 Ich wollte siegen- Ich musste dopen. Mit der Formulierung " Ich habe Doping nicht erfunden." verlagert er sogar die Schuld auf die Erfinder.
Die Absicht zielt auf die analoge billige Rechtfertigung wie es Jugendliche tun, wenn sie Hasch konsumiert haben: Andere machen es auch! Drogen zu nehmen ist heute etwas Normales! Ich zitiere Armstrong: «Doping war für mich Teil des Jobs – wie Reifen aufpumpen und Wasserflaschen auffüllen."


 Er versuchte beim Publikum die Uebertretung mit der Krebskrankheit zu koppeln.
Es sei erst das zweite Mal, dass er die Kontrolle über das Geschehen nicht mehr habe. «Das erste Mal war beim Krebs.»
«Ich wuchs auf als Kämpfer auf. Wir standen immer mit dem Rücken zur Wand. Und vor der Diagnose war ich ein Kämpfer. Aber nach dem Krebs war ich ein furchtloser Kämpfer.» Damit wird suggeriert: Ich war ein furchtloser Kämpfer.  So wie bei der Diagnose Krebs  habe in als Kämpfernatur das Doping eingesetzt.
Ich vermute, dass diese clevere Argumentationskette professionell trainiert wurde.
Bei der Körpersprache verraten  in der Startphase viele kleine Signale, dass trotz bewusster lockerer Sitzhaltung, trotz eingeübter Argumentation, etwas nicht stimmen kann:
- Armstrong greift immer wieder ins Gesicht.
- Beim Zuhören und nach dem Reden werden die Lippen eigenartig zusammengepresst (Pass auf , dass Du nichts Falsches sagst!)
- Das Lachen huscht wie antrainiert über das Gesicht.
- Bei heiklen Fragen stockt der Sprechfluss.

-Hals verfärbt sich immer wieder - er wir röter und die Halsschlagader zucken.
- Beim Augenkontakt stelle ich fest: Der Blickkontakt wird während des Sprechens zur Moderatorin zu viel unterbrochen. Manchmal hat man das Gefühl, Armstrong suche konzentriert die antrainierte Formulierung auf einem Teleprompter.
Jedenfalls stimmt Ton (die sonore ruhige Stimme) nicht mit dem Inhalt und den nonverbalen Signalen überein.
Heute interessieren beim Zoll und bei Verhören vor allen ungewöhnliche oder abweichende Signale. Bei Armstrong zeigt sich das nicht nur bei der Lippen- auch bei der Augensprache. Das untere Lid wird plötzlich leicht nach oben gezogen. Dies kann einfach festgestellt werden. Doch wird es unbewusst von Publikum wahrgenommen und interpretiert. 



Das Unrechtsempfinden Armstrongs gibt zu denken:  "Ich habe nicht gedacht, dass ich betrüge. Doping war damals kein Betrug für mich. Es war quasi nur ein Sicherstellen von Waffengleichheit.» war aus meiner Sicht kontraproduktiv. Damit signalisiert er Uneinsichtigkeit und entwertet die Eingeständnisse.



 - Was ist im zweiten Teil des Interviews - in der Nacht auf  Samstag - zu  erwarten?

Ich bin keine Kaffeesatzleser. Dennoch müssen wir damit rechnen, dass Armstrong hinsichtlich "Kronzeugenaussage gegen die Funktionäre" strategisch  handeln wird. Er wird sich an die Anweisungen der Berater halten. Ob er die Sportunktionäre konkret anschwärzt, glaube ich nach dem ersten Teil des Interviews weniger. Indem er durchblicken liess, dass die Dopingsünder keine Angst haben mussten (jahrelang wurden die Augen zugedrückt) - werden die Kontrolleure indirekt beschuldigt, versagt zu haben



 - Macht es Sinn, auf die Fehler und Versäumnisse von  Funktionären  hinzuweisen? (Was er vermutlich tun wird...)

Seine Rechtsberater werden Armstrong klar gemacht haben, bei welcher Version er am besten wegkommt. Falls sich die Kronzeugenaussage und das Aufdecken von Fehlern auf das Strafmass günstig auswirkt, wird er auch noch  mutmasslichen Versäumnisse konkret nennen. Dies könnte vermutlich im zweiten Teil wiederum genau inszeniert worden sein. Ich zweifle daran, dass die Fehler der Funktionäre detailliert auf den Tisch kommen. Dies hängt von der Strategie der juristischen Berater ab.



- Die Beichte im TV ist Teil eines "Gangs nach Canossa". Welches Prozedere muss  Armstrong noch durchlaufen?

Wenn es Armstrong gelingt,  im zweiten Teil glaubhaft dar zu legen, dass auch noch ein Prise echte Reue durchschimmert, könnte er noch zusätzlich punkten. Echtes Mea Culpa bedeutet: Ich nehme die Schuld voll und ganz auf mich. Damit würde er ENT-schuldigt. Wenn jemand die ganze Schuld auf sich nimmt, fällt es schwer, ihn noch mehr zu belasten.



- Mit welchem "Urteil" des "Gerichts der Öffentlichkeit"  muss Armstrong rechnen?

Nebst der lebenslangen Sperre, der Aberkennung der Bronze Medaille (Olympiade 2000 in Sidney) und einer allfälligen Gefängnisstrafe (man rechnet in Fachkreisen beim Meineid mit einer Verjährung) bleibt Armstrong trotz dieses Interviews von echten Sportfreunden geächtet. Sein Image ist dahin.



 - Ist die Doping-Vergangenheit ein grosses Hindernis, falls  Armstrong in ein  paar Jahren Politiker werden möchte?

Bei solch  gravierenden Vorkommnissen, die dem ganzen Radsport demontieren konnten, sehe ich  kaum ein Revival Armstrongs, obschon er  Aufmerksamkeit (auch negative) erhalten hat, wie kaum je ein Sportler . Die traurige Geschichte ist noch wohl noch nicht fertig.  Der Fall ist einmalig. Armstrong  wird dennoch in die Sportgeschichte eingehen. 
 






Nachlese 20 Min hat mich gefreut. Hier wird im Gegensatz zu anderen Medien meine Analyse geteilt:

Das scheint tatsächlich Armstrongs Verteidigungsstrategie zu sein: Er kann nichts für sein Tun, denn es ist halt sein Charakter. oder wie er es sagt: «Ja, ich habe einen fehlerhaften Charakter.» Er sei ein Kämpfer. Und der unbedingte Wille zu siegen sei ihm im Kampf gegen den Hodenkrebs sehr zustattengekommen, habe sich danach aber in eine Richtung entwickelt, die nicht mehr gut war.
«Ich wollte schon immer gewinnen», sagte Armstrong an einer Stelle, «aber nach dem Krebs wurde ich zum ruchlosen Kämpfer, der dem Sieg alles unterordnete.» Und was sich ihm in den Weg stellte, wurde niedergewalzt.

Ausweichmöglichkeiten für Armstrong

In den ersten 90 Minuten des Interviews, das mit Filmeinspielungen auf das Doppelte der ursprünglichen Länge gestreckt wurde, um Oprahs nicht mit grossem Erfolg gesegnetem TV-Kanal mehr Quote und Werbeeinnahmen zu bringen, blieb Oprah Winfrey nah am Thema Doping. Sie wollte genau wissen, wie sich das Doping abspielte, aber wenn Lance auswich, liess sie ihn.
Dem «Guardian» war das zu wenig journalistisch, sie wollten mehr Details. Immerhin drückte Winfrey nicht auf die Tränendrüse, sondern gab öfters ihrer Fassungslosigkeit Ausdruck: Wie kann man bloss solch ein Idiot sein?
Armstrong erwiderte daraufhin sinngemäss immer und immer wieder: Weil ich einer bin. Das tat er allerdings so distanziert und emotionslos, dass der «Guardian» auf erneutes Doping tippt: «Er sah erstaunlich gut aus, gesund, nur etwas grauer. Für einen Mann, dessen Welt in den letzten sechs Monaten zusammenkrachte, wirkte er bemerkenswert ungestresst. Was immer er derzeit schluckt, ich will es auch.»

Wer einmal lügt ...

Die «WashingtonPost»-Kolumnistin Tracee Hamilton hingegen will von Lance und seinen Lügen nichts mehr wissen: «Ich bin nicht mehr länger interessiert an dem, was Lance Armstrong zu sagen hat. Weshalb sollte ich zwei Nächte vor dem TV verbringen mit einem Mann, der jahrelang gelogen hat und sich jetzt entschuldigt, weil es seinem Bankkonto und seiner Karriere nützen könnte?»
Und wieder der «Guardian»: «Hat er sich überhaupt bei jemandem entschuldigt?» Die Frage ist berechtigt. Eigentlich hat er nicht. Dafür erzählte er, wie er mit Menschen telefoniert habe, die ihn eingeklagt hatten. Eine davon war Betsy Andreu, die Frau eines ehemaligen Teamkollegen. Er habe sie einst als «fette Bitch und Lügnerin» bezeichnet, so der Vorwurf. Armstrong wollte auf dieses Gespräch nicht eingehen, erklärte lediglich, dass er ihr gesagt habe, dass er sie nie als «fett» bezeichnete. Ob er sich für «Bitch» und Lügnerin entschuldigt habe, liess er offen.

Selbst Djokovic äussert sich zu Armstrong

Auch auf Twitter wirft das Geständnis hohe Wellen. Armstrong kriegt dabei sein Fett ab, da er eigentlich nichts Neues sagte und wenig bedrückt wirkte.
Selbst Novak Djokovic habe nach seinem Sieg in der 3. Runde an der Pressekonferenz gesagt: «Er soll für seine Lügen büssen», wie der amerikaniche Tennis-Journalist Douglas Robson schreibt.

KOMMENTAR: Ich finde folgende NZZ Analyse beispielhaft. Details wurden genau beobachtet, wahrgenommen und beschrieben! Wer analysiert, muss gut zuhören und beschreiben können.

Abwiegeln und einschränken

Lance Armstrong hat gestanden, sich seit den 1990er Jahren gedopt zu haben. «Hast du je verbotene Substanzen zu dir genommen?» – «Ja.» – «EPO?» – «Ja.» – «Bluttransfusionen?» – «Ja.» – «Andere Substanzen, Wachstumshormone, Kortison, Testosteron?» – «Ja.» – «Bei allen sieben Tour-Siegen?» – «Ja.» – «War es damals möglich, die Tour ohne Doping zu gewinnen?» – «Ich glaube nicht.»
Aber er hat nichts gesagt, was durch den tausendseitigen Ermittlungsbericht der amerikanischen Antidopingagentur (Usada) und die 26 Zeugen nicht bereits aufgedeckt worden wäre. Im Gegenteil. Er bestritt, während des Comebacks gedopt gewesen zu sein. Er bestritt, den Weltverband UCI bezahlt zu haben, um eine positive Probe zu vertuschen. Er bestritt, Teamkollegen zu Doping gezwungen zu haben. Und er stellte auch in Abrede, über «das ausgeklügeltste Dopingsystem der Geschichte» verfügt zu haben, wie es der Usada-Chef Travis Tygart formuliert hatte. Armstrong sagte tatsächlich: «Zu sagen, das Programm war grösser als jenes in Ostdeutschland in den 1970er und 1980er Jahren – das wäre absolut falsch.» Als ob das noch einen Unterschied machen würde.
Armstrong sagte, was er sagen musste. Und wo immer er konnte, wiegelte er ab und schränkte ein. Die Methode ist hinlänglich bekannt. Es geht darum, selbst im Untergang den Anschein von Gutartigkeit zu bewahren.
Das Gespräch war ein Lehrstück des Kalküls. Daran ändert wohl auch der zweite Teil in der Nacht auf Samstag nichts. Wie sollte er auch. Seit dem letzten Jahr, als die Usada ihm gleich zweimal ermöglichte, als Kronzeuge aufzutreten und mit einem blauen Auge davonzukommen, hat Armstrong kaum sein ganzes Weltbild auf den Kopf gestellt und aus dem Nichts ein Unrechtsbewusstsein entwickelt.
Ob er sich als Betrüger vorgekommen sei, fragte Winfrey. Armstrong antwortete: «Ich hörte ständig, ich sei ein Betrüger. Ich erkundigte mich nach der Definition von Betrüger. Ein Betrüger ist, wer sich einen unrechtmässigen Vorteil verschafft. Als das habe ich mich nie gesehen.» Der erstaunlichste Moment der 90-minütigen Sendung war der, als sich Armstrong als «arroganten Deppen» bezeichnete, so also, wie ihn viele Weggefährten schon lange sehen.
Für einen wie ihn, der zeit seiner Karriere auf einem anderen Planeten zu leben schien und der sein Selbstbewusstsein und seine Stärke jedem um die Ohren haute, der ihm in die Quere kam, kämen solcherlei Einsichten selbst dann nicht leicht über die Lippen, wenn er sie nur äussern würde, um Sympathiepunkte zu erhaschen. Er sei «zutiefst fehlerhaft», sagte er, «ich verstehe, dass ich am Anfang des Prozesses der Entschuldigung stehe, der bis ans Ende meines Lebens fortdauert».