Das Rad kann nicht mehr zurückgedreht werden.
Bei jedem neuen Vorfall werden von Betroffenen Bilder und Kommentare ins Netz gestellt.
Das bringt Korrespondenten und Journalisten unter Druck.
Ich zitiere SRF:
Das Netz bringt die Medien unter Druck
Die Anschläge von Paris sind auf allen Kanälen das vorherrschende Thema.
Die Informationsflut ist für die Medien zugleich Fluch und Segen. Peter
Hogenkamp, ehemaliger Digitalchef der NZZ, spricht über Zeitdruck,
Fehler und neuen Ansätzen für gute Berichterstattung.
Bildlegende:
Das Fernsehen kommt durch die sozialen Medien unter Druck, schnell Live-Schaltungen zu machen.
Reuters
SRF: Welche Unterschiede haben Sie bei der Berichterstattung zwischen den klassischen und den neueren Medien ausgemacht?
Peter Hogenkamp
Keystone
Peter Hogenkamp war Leiter Digitale Medien bei der NZZ und arbeitet heute als Berater im Bereich Social Media.
Peter Hogenkamp: Alle wollen natürlich sehr aktuell sein und
bemühen sich, Social Media einzubinden. Dadurch hat man seine
Korrespondenten vor Ort. Das gelingt unterschiedlich gut. Insbesondere
beim Fernsehen merkt man, dass sie unter einen enormen Zeitdruck kommen,
wenn sie versuchen, die neusten Twitter-Meldungen in die aktuelle
Berichterstattung einzubinden. Da macht sich oft ein Stück weit
Ratlosigkeit breit, wenn man versucht, das wirklich live zu machen.
Der
Zeitdruck kommt also von den sozialen Medien und zeigt sich dann in den
klassischen Medien, zum Beispiel im Fernsehen, das noch gar nicht so
viel berichten kann?
Das Problem ist, dass alle genau
gleichviel wissen. Im Prinzip sitzen am Anfang alle an der gleichen
Quelle, den sozialen Medien. Es gibt immer irgendwelche Leute vor Ort,
Augenzeugen, die Aufnahmen machen. Das ist das Neue. Die Journalisten
können eigentlich nur diesen Nachrichtenstrom analysieren, den auch jede
Privatperson analysieren kann. Dadurch kommen die Leute im Fernsehen,
die als Korrespondenten professionelle Einschätzungen abgeben sollen, in
einen enormen Stress.
Was macht das mit der Qualität der Berichterstattung in den klassischen Medien?
Ich
will nicht sagen, dass es notwendigerweise die Qualität verschlechtert.
Oft sitzt man aber vor dem Fernseher und erlebt diese Momente der
Ratlosigkeit, in dem sich das Fernsehen gezwungen fühlt, eine
Live-Schaltung zu machen. Man merkt, die Frau, die da steht, die weiss
noch gar nichts. Die kann gar nichts sagen, nur ob es auf den Strassen
ruhig ist oder nicht. Man denkt, vielleicht hätte man eine halbe Stunde
warten sollen, bevor man sowas macht. Andererseits scheint das schwer
möglich, weil ja sämtliche Online-Medien die Diskussion im Minutentakt
befeuern. Dann erwartet man natürlich, dass das Fernsehen nachzieht.
Teilen
Sie den Eindruck, dass bei fehlenden Fakten einfach auf Emotionen
gesetzt wird? Setzt sich bei den klassischen Medien eine
Boulevardisierung durch?
Das gibt es natürlich schon, dass man
sagt: «Wir haben eigentlich nichts zu berichten, also zeigen wir einen
besonders berührenden Facebook-Eintrag, der weder die Nachrichtenlage
wiedergibt, noch die Situation weiterbringt.» Ich würde das aber nicht
generalisieren. Ich würde nicht sagen, dass das alle machen. Ich finde,
dass sich mittlerweile viele Redaktionen sehr bemühen, Social Media
sinnvoll einzusetzen. Man merkt, da sind jetzt Leute in den Redaktionen,
die gewohnt sind, damit umzugehen, die das wertsteigernd einsetzen
können.
Bei den Anschlägen in Paris haben «Spiegel Online» und
andere Portale laufen die neusten Fakten zusammengefasst und
Falschmeldungen korrigiert. Ist das eine neue Entwicklung?
Das
ist eine Art des Online-Mediums erwachsen zu werden. Wir sind jetzt
ungefähr zwanzig Jahre dran. Ich denke, man hat schon einiges gelernt.
Die zweite Generation der Journalisten, die berühmten «digital natives»,
ist jetzt auch in den Redaktionen. Es gibt diese stehenden «best
practices»: Sachen, die sich irgendjemand ausgedacht hat, die andere für
gut befanden und dann übernommen haben. Zum Beispiel: «Zu Beginn jedes
Livetickers schreiben wir nur Übersicht, das ist gesichert, das nicht …»
Ich denke, dass ist eine reifere Art mit dem Thema
Online-Berichterstattung umzugehen.
Wie können es Medien bei so einem Ereignis schaffen, eine adäquate Berichterstattung zu leisten?
Man
muss sich in den Nachrichtenräumen immer wieder fragen, was zur
Aufklärung beiträgt und was eher effekthascherisch ist. Man darf sich
dann nicht von den Boulevardmedien treiben lassen, die das natürlich
nach wie vor machen. Seriöser Journalismus kann zu einer höheren
Qualität kommen, auch durch den Einbezug von Social Media.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt,