Niemand möchte in ihrer Haut stecken:
Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpfs Problemdossiers wurden im Tagi
treffend analysiert:
Die Verwalterin der ungelösten Problemdossiers
Eveline Widmer-Schlumpf ist die heimliche Regierungschefin. Die mächtige Finanzministerin laviert zwischen allen Fronten.
Steht bei Verhandlungen mit dem Ausland permanent unter Druck: Eveline Widmer-Schlumpf.
Bild: Georges Gobet/AFP
Im Schweizer
Bundesrat gibt
es eine eigentliche Begriffsverwirrung. Der Wirtschaftsminister ist de
facto Landwirtschaftsminister und die Leiterin des Finanzministeriums de
facto Krösus und Wirtschaftsministerin.
Am mächtigsten ist nicht der
jährlich wechselnde Bundespräsident, sondern die Finanzministerin hat am
meisten zu sagen und ist die heimliche Regierungschefin. Seit drei
Jahren besetzt Eveline Widmer-Schlumpf dieses
mächtige Amt, gar seit fünf Jahren beschäftigt sie sich an vorderster
Front mit der Transformation des Finanzplatzes in die Zeit nach dem Bankgeheimnis.
Und dies alles mit einer Partei im Rücken, die gerade mal 5 Prozent der
Wähler hinter sich hat. Ein Grosserfolg der Frau aus dem Bündnerland.
Ein
Grosserfolg für die Schweiz ist, dass in dieser Zeit trotz Finanz- und
Eurokrise weder die Arbeitslosigkeit ernsthaft anstieg noch die
Staatsfinanzen aus dem Ruder liefen. Doch langsam zeigt sich, dass es
für die Allgemeinheit nicht gratis ist, sich mit wechselnden Mehrheiten
durch den Bundesrat und das Parlament zu jonglieren. Heute, in der
Halbzeit der Legislatur und zwei Jahre vor der angestrebten Wiederwahl,
zeichnet sich ab, dass deswegen erstens der Staatshaushalt langsam aus
dem Ruder läuft und zweitens noch immer keines der Probleme rund ums
Bankgeheimnis gelöst ist.
Die effizienteste Art, sich
als Finanzpolitikerin Zustimmung zu verschaffen, ist Geld zu verteilen
oder für die eigene Klientel die Steuern zu senken. Dazu eignet sich die
Familienpolitik besonders gut, denn die CVP ist neben der eigenen
Partei die treueste Verbündete der Finanzministerin.
Finanzplatzpolitik eignet sich für linken Populismus
Zur
gleichen Zeit, in der Widmer-Schlumpf mit guten Argumenten die
SVP-Familieninitiative bekämpft, die zur Zementierung des traditionellen
Familienmodells zu Milliardenausfällen führen würde, heisst der
Bundesrat die Familieninitiative der CVP gut, wie den kürzlich
veröffentlichten «Steuerpolitischen Prioritäten des Bundes» zu entnehmen
ist. Laut diesen gibt es keine einzige Sparvorlage oder Steuererhöhung,
aber es soll mit «Priorität eins» in der Verfassung künftig folgender
Satz zu finden sein: «Die Ehe ist die auf Dauer angelegte und gesetzlich
geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau.» Dies, nachdem immerhin
auch im Wallis das Konkubinat erlaubt ist und eigentlich die
Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe auch verbrieft ist. Fast 2
Milliarden Franken kostet das, und trotzdem hat es laut offizieller
Verlautbarung für das EFD Priorität eins.
Gleiche
Priorität hat auch die Unternehmenssteuerreform 3, die «gewichtige»
Mindereinnahmen zur Folge haben wird. Auffällig ist, dass kein einziges
Projekt Priorität hat, das entweder Ausgaben spart oder Steuern erhöht.
Wie viel das alles kostet, wagt man nicht zu sagen. Das Defizit wird
Milliarden erreichen, wenn das alles durchkommt.
Für
etwas linken Populismus eignet sich die ehemals so trockene
Finanzplatzpolitik. Wenn man am Rande einer Parteiversammlung kurz
erwähnt, die Banken müssten eigentlich doppelt so viel Eigenkapital
haben wie bisher, ist die Zustimmung bei der SP und im Volk ebenso
gewiss wie der Absturz der Bankaktien an der Börse. Dass jetzt der
Sprecher des Finanzministeriums sagt, es gebe bis 2015 sicher keine
Änderung der geltenden Vorschriften, hört niemand mehr. Genauso, wie es
sich leicht sagen lässt, die gewissenlosen Banker hätten bei der
Steuerhinterziehung geholfen, obwohl das Bankgeheimnis geltendes Recht
war. Wenn es dann aber konkret wird, ist gewiss, dass die
Finanzmarktaufsicht in einer ihrer zahllosen Untersuchungen feststellen
wird, «es wurden zwar Fehler gemacht, aber das Management der Banken
wusste von nichts».
Ständig unter Druck
Wenn
es um die dringenden Fachfragen geht, nämlich um die Lösung des
Steuerstreits der Schweiz mit allen führenden Wirtschaftsnationen, ist
die Bilanz niederschmetternd. Weder Widerstand und das Beharren auf dem
Bankgeheimnis, wie von politisch rechts gefordert, noch der Bruch mit
der Vergangenheit, wie das die Linken wollen, ist mehrheitsfähig. Die
Folge: Der Disput mit den USA ist weiterhin in der Schwebe. Der Streit
mit den umliegenden Ländern Deutschland, Frankreich und Italien ist
ungelöst. Mit den Franzosen und den Italienern wird zwar auf technischer
Ebene verhandelt, aber spruchreif ist nichts. Im Fall von Deutschland
ist seit der Ablehnung der Abgeltungssteuer vor einem Jahr nichts mehr
geschehen. Man wartet auf die Bildung einer neuen Regierung. Mit der
aufstrebenden Wirtschaftsmacht Indien braut sich ein neuer Konfliktherd
zusammen, denn die Inder haben Kundendaten der HSBC Genf und wollen
Rechtshilfe, bekommen sie aber nicht. Das wird für die Exportindustrie
zum Problem.
Soll die Schweiz weiterhin ein Erfolgsmodell
bleiben, kann es nicht sein, dass wir von einer Finanzministerin ohne
Heimmacht regiert werden. Es braucht einen Richtungsentscheid, sonst
laufen die Finanzen aus dem Ruder, und der Finanzplatz kommt nicht aus
der Krise. Dass es sich die Bürgerlichen weiterhin leisten, dass sich
ihre Vertreter ins Aussen- und Verteidigungsdepartement verziehen und
mit Widmer-Schlumpf einfach einen linken Finanzminister verhindern, kann
auf Dauer nicht die Lösung sein.
KOMMENTAR: Nach meinem Dafürhalten besteht für die Finanzministerin heute noch keine Gefahr, abgestraft zu werden. Sie wird immer noch getragen von jenen Parteien, die den Dolch zum Stoss gegen Blocher gewetzt hatten. Auch die Medien werden wohl die Finanzministerin kaum demontieren. Dennoch könnten weitere Misserfolge dem Image der umstrittenen Bundesrätin folgenschweren Schaden zufügen.