Das Politmarketing ist im vollen Gang
Wie zu erwarten war, haben verschiedene Parteien nach den grauenhaften Attentaten unverzüglich damit begonnen, die Katastrophe in Norwegen parteipolitisch auszuschlachten.
Ich zitiere 20 Min:
Polit-Marketing um ein Massaker
Die Schlacht um die
Deutungshoheit von Anders Breiviks Tat ist in vollem Gange. Hüben wie
drüben ziehen Diskutanten ihre ganz eigenen Schlüsse aus der Tat.
Als der Massenmord des Anders Breivik bekannt wurde, reagierte
der Ministerpräsident umgehend. «Unsere Antwort wird mehr Offenheit und
mehr Demokratie sein»,
verkündete Landesvater Jens Stoltenberg,
nachdem der Killer die Nation in Schock, Trauer und Wut versetzt hat.
Während Norwegen dem unerhörten Verbrechen seine freiheitlichen Ideale
entgegensetzt, wird in Resteuropa kontrovers über das diffuse Weltbild
des 32-Jährigen diskutiert. Zwar distanziert sich dort jedermann von
seiner kaltblütigen Wahnsinnstat, doch gleichzeitig suchen die
Protagonisten in den Mord-Motiven des Psychopathen Munition für ihre
eigenen Kämpfe.
Norwegen steht zusammen und trauert.(Bild: Keystone)
Doppelanschlag in Norwegen
Hilflose Mitte: mehr Staat, mehr Überwachung
Das
Verbrechen ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die nach einem
stärkeren Staat rufen. Schon vor den Geschehnissen des 22. Juli hat
Bundesrätin Simonetta Sommaruga eine Novelle des Post- und Fernmeldegesetzes
angestossen, die jedoch nicht von den Schweizer Abgeordneten in Bern
abgesegnet wird, sondern als Verordnung ihres Justizministeriums
daherkommt. Grund für die Veränderungen ist der Kampf gegen
Kinderpornographie, doch nach den Schüssen in Norwegen haben es
Sommarugas Kritiker schwerer, die der SP-Frau einen Einstieg in die
Vorratsdatenspeicherung vorwerfen: Wer will schon derjenige sein, der
den Schutz der Privatsphäre höher gewichtet als das Leben vieler
unschuldiger Menschen?
Linke: Hilflose Verbotsforderungen und Schuldzuweisungen gen SVP
Der
Ruf nach dem Staat endet nicht bei der Überwachung der Bürger, sondern
ertönt auch in der politischen Landschaft. SPD-Generalsekretärin Andrea
Nahles forderte ein erneutes Verbotsverfahren gegen die NPD: «Das
verhindert zwar keinen Anschlag, trocknet aber die finanziellen
Ressourcen der Rechten aus», glaubt die SPD-Generalsekretärin. Dass der
gesellschaftliche Diskurs mit der Partei so ebenso erschwert wird wie
ihre Überwachung, lässt sie dabei ausser Acht. Ihr Kollege David Roth
von den Schweizer Jusos ging weniger weit, sagte jedoch: «Der Hass, die
Intoleranz und die Fremdenfeindlichkeit, welche von rechtspopulistischen
Parteien geschürt wird, schlägt sich nicht nur in den Wählerprozenten
nieder, sondern in letzter Konsequenz auch in solchen Verbrechen.»
Gemeint
haben dürfte der Politiker die SVP und ihre Debatte um Zuwanderung,
Integration und Religion – und hat damit seiner eigenen Sache einen
Bärendienst erwiesen. Derartige Schuldzuweisungen sind im Kalkül des
Psychopathen, der in seinem Pamphlet auch die politische Landschaft der
Schweiz in Schwarz und Weiss unterteilt. Ad-hoc-Reaktionen wie etwa
gegen die SVP und ihre Sicht der Dinge werten nicht nur die Ansichten
des Täters auf, sondern manifestieren den von Breivik gezogenen Graben.
Nicht zuletzt fordern sie den politischen Gegner auf, sich ebenfalls auf
das perfide Schuld-Spiel einzulassen – und ausserdem hat auch linke
Ignoranz zur Popularität der Rechtspopulisten überall in Europa
beigetragen.
Retourkutsche: Entrückte Polit-Eliten formten den «Wutbürger»
Die Schweizer Rechte distanzierte sich im Angesicht der Bluttat vom Mörder.
«Fiebrig versuchen die Medien und die roten Kommentatoren eine
Verbindungslinie zwischen Breivik und der SVP zu konstruieren», wettert
denn auch «
Weltwoche»-Autor
Urs Paul Engeler. Deutlich distanziert er sich von den
«Amateur-Analytikern» der «Süddeutschen Zeitung», die in dem Mord eine
politische Tat sehen.
Er selbst macht einen klassischen
«Massenmörder vom Pseudo-Kommando-Typus» aus: «Dass der Attentäter
lediglich ein schwadronierender Psychopath sein kann ohne eine Mission,
das ziehen die hektischen Nutzniesser des Massakers nicht einmal in
Betracht.» Ob Engeler mit seinem Kommentar den eigenen Chef gemeint hat?
Roger Köppel spricht nur wenige Seiten zuvor davon, dass der 32-Jährige
«höchstwahrscheinlich ein politischer Einzeltäter» sei. Der Zürcher hat
eine ganz eigene Theorie davon, was den Mörder radikalisiert hat: eine
«Unzufriedenheit und Ohnmacht, die europaweit von der elitären, der
Lebensrealität der Leute immer stärker entrückten politischen Klasse
verursacht werden. Breivik ist die pervertierte Variante des
europäischen ‹Wutbürgers›». Und das hänge mit der «unbewältigten
Zuwanderung aus muslimischen und/oder afrikanischen Ländern» zusammen.
Kulturkämpfer und Rechtsextreme finden «des Pudels Kern»
Noch
weiter gehen die Vertreter der Kulturkampf-These, die offen
anti-islamisch agitieren. Die «Weltwoche» druckte einen Artikel des
US-Autors und Exil-Norwegers Bruce Bawer ab, der weinte, als er von den
Anschlägen erfuhr, von denen es anfangs hiess, Islamisten hätten sie
verübt. Doch der Buchautor hoffte auch, dass «Politiker nach diesem
Terrorakt künftig verantwortungsbewusster auf die Probleme reagieren,
die sich im Zusammenhang mit dem Islam stellen». Dann erfuhr er, dass es
Breivik gewesen war: Die Tränen des Mitleids versiegten offenbar. «Mir
war sofort klar, dass diese Gewalttat einem wichtigen Anliegen schweren
Schaden zufügen wird.» Sein Buch «Surrender. Appeasing Islam,
Sacrificing Freedom» wird von Breivik zitiert. Brawer wiederum findet
die Islam-Analyse im ersten Teil des Pamphlets des Täters
«hochintelligent».
Rechtspopulisten sind nicht gleich
Rechtsextreme: Erstere stellen wie auch Anders Breivik Faschismus mit
Marxismus und dem Islam per se auf eine Stufe.
Trotz der Grabenkämpfe zwischen links und
rechts sind sich die Lager in einem Punkt einig: Die
Themenkomplexe
Einwanderung, Religion und Integration müssen in der europäischen
Gesellschaft breiter diskutiert werden. Nur bei dem Warum sind sich die
Lager uneinig: Auf der einen Seite warnt die «Weltwoche» vor einer
schleichenden Islamisierung, auf der anderen die «Zeit» vor einer «Verharmlosung der wachsenden Islamfeindlichkeit».
Das
die Themen auf die Agenda kamen, war die Intention eines verrückten
Psychopathen. Dass er ausserhalb Norwegens auf diese Art und Weise ernst
genommen wird, zeigt, dass er ein Ziel schon erreicht hat.
Kommentar: Der Massenmörder hat eigentlich mit dem Massaker seiner Ideologie einen Bärendienst erwiesen. Die Wahnsinns-Tat brachte der norwegischen Arbeiterpartei einen enormen Zulauf und den Sozialdemokraten wurden nicht geschwächt. Anderseits werden vermutlich die Rechtsaussenpartei bei den bevorstehenden Wahlen in ganz Europa Einbussen erleben.
Wenn nun aber der Irrsinns-Tat eines Einzelnen dazu führen würde, dass die Einwanderungs- und der Terrorismus der extremen Kämpfer für den heiligen Krieg nicht mehr angesprochen werden dürften, so wäre dies genau so falsch, wie wenn die Staaten ermächtigt würden einen Polizeistaat einzurichten (Abhöraktionen, Fichen usw.).
In einer offenen Gesellschaft müssen wir Diskussionen immer zulassen. Doch dürfen diese Meinungen nie mit Gewalt durchgesetzt werden. Auseinandersetzungen gilt es verbal auszutragen. Versuche, nach der Katastrophe einen totalitären Uebewachungsstaat oder Maulkörbe einzuführen, dürfen wir nicht zulassen.
Man muss bei der Weltwoche nicht immer einverstanden sein, doch fand ich Köppel Kritiker, welche mit folgenden Aussagen des Weltwoche -Chefredaktors völlig einverstanden sind:
"Wer kritisch über Zuwanderung redet, ist noch kein Breivik, sondern einfach ein besorgter Mensch, der die Probleme nicht unter den Teppich gekehrt haben möchte."
Und fährt fort:
"In der Schweiz können Leute über Minarette abstimmen und müssen nicht zu anderen Methoden greifen."
Mit dieser Formulierung hat Köppel bei der Thematik "Wahnsinnstat und Politik" den Nagel auf den Kopf getroffen.
Ein Leser mailte mir gestern folgende Zeilen dazu:
Breivik liebt Lacoste Kleider. Wer nun alle Menschen, die ebenfalls Lacoste Pullover tragen, als Breivik Sympathisanten bezeichen würde, könnte nicht logisch denken. Nur weil der Massenmörder ein Flair für Mont-Blanc Stifte hatte, dürften wir künftig auch nicht solche Füllis oder Kugelschreiber verbieten.
Ich bin überzeugt, dass in den kommenden Wochen von verschiedensten Seiten versucht wird, aus der Katastrophe in Norwegen politisches Kapital zu schlagen.
FAZIT:
Wenn eine Partei, eine Marke wie beispielsweise das Logo Lacoste auf dem Pullover des Massenmörders im Umfeld eines Massenmörders zu sehen ist, besteht immer die Gefahr, dass dies zu einem Imageschaden führt. Aber nur dann, wenn das assozierte Wertegerüst der entsprechenden Marke weniger stark ist als die Wahnsinnstat. Obschon nicht alle Marken aus einem negativen Anlass Schaden genommen haben (Beispielsweise der weisse Ford Modell Bronco, mit dem der des zweifachen Mordes verdächtigten O.J. Simson geflüchtet ist). Dennoch ist es immer Gift, wenn eine Marke oder Partei mit einem Verbrecher in Verbindung gebracht wird.