Der unermüdliche Musiker, der nicht ans aufhören denkt
Ich zitiere DIE ZEIT:
Die Ära des weltberühmten Chorleiters Helmuth Rilling geht allmählich zu Ende – aber ans Aufhören ist trotzdem nicht zu denken.
Helmuth Rilling, Gründer der Internationalen Bachakademie Stuttgart
In einer Gegend, in der alles auf -ingen endet, liegt das Singen
buchstäblich in den Genen. Hier kommt man mit Anstand zur Probe und gern
auch wieder, hier muss kein Chorleiter seine Sänger einzeln verhaften,
er hat fleißig zu tun, und kein Wunder, dass in solchem Milieu einer wie
Gotthilf Fischer berühmt wurde, der Menschenfänger aus Plochingen, der
es unter der Chorstärke von Mahlers
Achter selten tat.
Einige Kilometer weiter liegt das Dorf Gächingen im Osten von
Reutlingen. Hier, mitten in der bauchigen Gemütlichkeit der Schwäbischen
Alb, schlug im Jahr 1954 ein blutjunger Chorleiter aus Stuttgart auf,
sie probten im Wochenendhaus eines befreundeten Architekten, natürlich
sang man a cappella, die ganz hohe Kunst, auf den Notenständern lagen
moderne Sachen und alte von Heinrich Schütz, Dieterich Buxtehude und
Johann Pachelbel – und irgendwann wurde die Idee der maximalen
Verdichtung von Aufwand und Vergnügen geboren. Die Proben fanden nur
einmal im Jahr statt, für knapp zwei Wochen gleich nach Weihnachten, und
am Dreikönigstag gab es das erste Konzert.
Dies ist der Gründungsmythos eines weltberühmten Chores und des Mannes, der ihn bis heute leitet:
Helmuth Rilling
und die Gächinger Kantorei. Irgendwann blieb keine Zeit mehr für die
automobile Gurkerei auf die Alb, viele Sänger kamen ohnedies aus
Stuttgart, und so zog man leichten Herzens um, behielt aber das Dorf auf
der Alb im Namen. Rilling, ein unerhörtes musikalisches Talent, war
ohnedies längst Kantor der Stuttgarter Gedächtniskirche und Dozent in
Berlin geworden. Unter ihm sang man leidenschaftlich gern, in seinem
Idealismus hatte er etwas Glühendes; vor ihm her, so schien es, wurde
die Fackel einer großen Idee getragen. Diese Idee konzentrierte sich
allmählich auf einen Namen:
Johann Sebastian Bach.
Helmuth Rilling und die Gächinger Kantorei wurden seine Wanderprediger,
und Stuttgart wurde Bachs heimliche Hauptstadt. 1981 gründete Rilling
dort die
Internationale Bachakademie, deren Künstlerischer Leiter er seitdem ist.
Jetzt geht Rilling mit leisen Schritten und wie stets im weißen
Rollkragenpullover auf einen Geburtstag zu, der ihm Arbeit abnehmen
soll, im Mai 2013 wird er 80 Jahre alt, von selbst kann ein Helmuth
Rilling vielleicht nur unter Schmerzen aufhören, die Fackel brennt ja
weiter, also musste er sich ein Datum auferlegen. Nun aber sind die
Dinge anders gekommen, der Vorstand der Bachakademie ist von sich aus
tätig geworden, hat Rillings Nachfolger gewählt und auch schon einen
neuen Intendanten gefunden, denn die Geschicke der Zukunft sollen nicht
mit Erblasten beschwert sein.
Im heimatlichen Stuttgart gab es zuletzt Ärger um Rilling
Über die Entwicklungen der vergangenen Wochen gibt es
unterschiedliche Versionen.
Jedenfalls warf Rilling sein Amt als Künstlerischer Leiter von
Bachakademie und Musikfest Stuttgart hin und beklagte das Prozedere.
Jetzt schauen alle betreten, das war eine von keinem gewollte
Katastrophe, und Stuttgart, die chormusikalische Schlangengrube, ist wie
von Gift geschwängert. Es gibt dort das fabulöse SWR-Vocalensemble
unter Marcus Creed, den polierten Kammerchor Stuttgart unter Frieder
Bernius oder den exzellenten Chor der Staatsoper, der mit seinem
langjährigen Dirigenten Michael Alber etliche Ehrungen als bester Chor
des Musiktheaters erlangt hat. Und keine Formation, die einer anderen
grün ist. Dabei ist die neue Personalie vortrefflich. Nüchterne
Beobachter sagen, Rademann sei ein Vorbild an Nachhaltigkeit, und in die
Bachakademie und die Gächinger Kantorei werde er einen neuen Geist
tragen, aber das Denkmal Rilling gewiss nicht demontieren. Rehrl gibt
sich peinlich berührt, dass die Dinge so unschön gelaufen seien,
bekundet aber ebenfalls Renovierungswillen.
Beide kennen Rilling recht gut, haben Kurse bei ihm absolviert – und
dies führt uns zurück zu dem charismatischen, viele Menschen
entflammenden Geist, der von Rilling ausgeht.
Diese Spiritualität, die
auch etwas schwäbisch Geschäftstüchtiges hat, ließ ihn zu einem globalen
Evangelisten in Sachen Bach werden, der sogar in Oregon eine Dependance
Stuttgarts installiert hat, wo das heidnische Amerika in einem Bachfest
die letzten Weihen empfängt, die es noch von dem großen
Barockkomponisten trennen. Rilling reiste in die DDR, als das noch ein
heikles diplomatisches Manöver war, er war in Russland und China
unterwegs, mit dem Israel Philharmonic Orchestra verbindet ihn eine enge
Freundschaft. Meistens führte man Bach auf, bisweilen auch Mendelssohn,
Brahms und Beethoven. Immer waren es die großen Oratorien, die das
System Rilling zuverlässig durchschritt.
Die Frage, ob Helmuth Rilling auch als Interpret eine Kapazität war,
kann man als Hörer vieler seiner Konzerte und Schallplatten nur
enthusiastisch bejahen. Rilling lebte und pflegte einen pragmatischen
Stil, der von Unsentimentalität diszipliniert war, es gab und gibt
keinen eigenen Rilling-Sound, am Radio identifizierte man den Musiker
nie direkt; nur wer im Besitz des absoluten Gehörs ist, erkannte das
moderne Instrumentarium mit moderner Stimmtonhöhe, er erkannte auch den
absolut gleichmäßig besetzten Chor mit weiblichen Altstimmen, einen sehr
lebendig geformten, nie steifen, professionell tönenden Klang, der
zugleich eine sehr deutsche Art der Imprägnierung besaß.
Kommentar: Ich habe Rilling persönlich kennengelernt und er hat mich als Mensch, Denker und Musiker tief beeindruckt.
LINK:
03 Juni 2009
Helmuth
Rilling, 1933 in Stuttgart geboren, ist Dirigent, Lehrer und
Botschafter Bachs in der ganzen Welt. 1954 gründete Helmuth Rilling die
Gächinger Kantorei, 1965 kam das Bach-Collegium Stuttgart als
instrumentaler ...
03 Feb. 2011
2007 trat Helmuth Rilling u. a. erneut in der New Yorker Carnegie Hall auf und . ...
Helmuth Rilling arbeitet immer noch leidenschaftlich, perfekt und
voller Lebenskraft . ... Helmuth Rilling gelang es, mich mit den
Solisten, .