Freitag, 23. Mai 2008

Einmal mehr: Couchepins Begründung überzeugt nicht

Bei seinen verbalen Attacken und Ausrutschern verstand es Bunderat Couchepin immer, beleidigende Aussagen zu relativieren (Mengele Vergleich usw). Auch bei der fragwürdigen Aktenvernichtungsgeschichte überzeugt uns Couchepins Argumentation nicht.

Zitat news.ch:

Freitag, 23. Mai 2008 /

Bundesrat vernichtet Akten mit «gefährlichem Material»

Der Bundesrat hat Akten der mutmasslichen Schweizer Atomschmuggler vernichten lassen, um zu vermeiden, dass dieses «gefährliche Material» in falsche Hände gerät. So hat Bundespräsident Pascal Couchepin die Aktion begründet.

Die vernichteten Dokumente haben gemäss Couchepin ein erhebliches Sicherheitsrisiko dargestellt.
Die bei drei Rheintaler Ingenieuren sichergestellten Dokumente hätten detaillierte Baupläne für Nuklearwaffen, für Gasultrazentrifugen zur Anreicherung von waffenfähigem Uran sowie für Lenkwaffenträgersysteme enthalten, erklärte Couchepin vor den Medien in Bern.

Diese Dokumente hätten ein erhebliches Sicherheitsrisiko für die Schweiz und die Staatengemeinschaft dargestellt, sagte Couchepin.

Der Bundesrat habe unter allen Umständen verhindern wollen, dass diese Informationen in die Hände einer terroristischen Organisation oder eines «unberechtigten» Staates gelangten.

Um dieser Gefahr wirksam zu begegnen und den vertraglichen Verpflichtungen aus dem internationalen Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (NPT) nachzukommen, habe der Bundesrat am 14. November 2007 beschlossen, die Datenträger und Dokumente der Ingenieure zu vernichten.

IAEA verlangte Einsicht in «hochbrisante Dokumente»

Die Bundesanwaltschaft führt seit 2004 ein Verfahren wegen Verstosses gegen das Kriegsmaterial- und das Güterkontrollgesetz. 2006 hat der Bundesrat «aus Hinweisen geschlossen, dass verschiedene offizielle Atomwaffenstaaten Kenntnis erhalten hatten, dass die Schweiz im Besitze von hochbrisanten Dokumenten war».

Diese Dokumente stammten laut Couchepin aus dem Umfeld des «Vaters» der pakistanischen Atombombe, Abdul Qader Khan. Daraufhin sei die IAEA an die Schweiz gelangt und habe offiziell um Einsicht in den Datenbestand ersucht. Der damalige Justizminister Christoph Blocher habe die Sache abklären lassen.

Störung der Sicherheit abgewehrt

Bei seinem Reisswolf-Entscheid habe sich der Bundesrat auf die Bundesverfassung gestützt, welche ihm die Kompetenz einräumt, zur Wahrung der aussenpolitischen Interessen des Landes Entscheide zu treffen und Massnahmen zu ergreifen, um schwere Störungen der inneren oder äusseren Sicherheit abzuwehren, sagte Couchepin.

Nicht vernichtet wurden die übrigen Strafakten der Bundesanwaltschaft wie Einvernahmeprotokolle und Rechtsschriften. Das Strafverfahren gegen die Rheintaler Ingenieure - ein Vater und zwei Söhne - ist zur Zeit beim Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt (URA) hängig.

Kommentar: Wenn es sich tatsächlich um hochbrisante Informationen gehandelt hat, wäre es bestimmt möglich gewesen, die Beweise und Unterlagen in einem Hochsicherheitstrakt sicherstellen zu können. Nun setzt sich der Bundesrat Gerüchten und Vermutungen aus. Bereits ist zu lesen, dass man auf Druck der USA die Akten vernichten liess. Diese Geschichte ist mit Couchepins Begründung noch lange nicht zu Ende.

Nachtrag : Kritische Fragen werden gestellt!

blick.ch (24. Mai):

Hüllt sich in Schweigen: Bundesrat Pascal Couchepin. (Reuters)

Die Aktenvernichtungsaktion des Bundesrates wird nicht nur von politischer, sondern auch von juristischer Seite in Frage gestellt. Der Strafrechtler Niklaus Oberholzer bezeichnet sie als «ungeheuerlich».

Er habe noch nie von einem ähnlichen Fall von Aktenvernichtung gehört, und dies sei für ihn «das Ungeheuerliche daran», sagte der Präsident der Anklagekammer des Kantons St. Gallen in einem Interview, das heute im «St. Galler Tagblatt» und im «Bund» erschien.

Gewaltentrennung verletzt?

Das Vorgehen des Bundesrates greife «massiv» in das Prinzip der Gewaltentrennung ein, sagte er zudem in einem Interview der «Thurgauer Zeitung». In einem Rechtsstaat mit Gewaltentrennung sei eine direkte Intervention der Regierung in ein laufendes Verfahren nicht vorgesehen.

Er könne sich nicht vorstellen, wie das Gericht noch zu einer Verurteilung gelangen könne, nachdem die Akten von einer politischen Behörde «gesäubert» worden seien. Die Verteidigung könne jederzeit einwenden, entlastendes Material sei ebenfalls vernichtet worden.

Begründung nicht stichhaltig

Die Begründung des Bundesrates für die Aktenvernichtung lässt Oberholzer nicht gelten. Der Bundesrat berufe sich auf eine Bestimmung der Bundesverfassung, die auf ausserordentliche Krisenlagen zugeschnitten sei. Auch die Begründung, der Besitz solcher Akten sei unvereinbar mit dem Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen, stellt der Jurist in Frage. Um den Vertrag zu erfüllen, hätte es gereicht, die Dokumente sicher zu verwahren und erst nach Abschluss des Strafverfahrens zu vernichten, gibt er zu bedenken.

Nicht die ganze Wahrheit?

Kritik übt auch der Europaratsermittler und Nationalrat Dick Marty (FDP/TI). Er verstehe nicht, warum die Dokumente zerstört worden seien, sagte er gestern in der «Tagesschau» des Westschweizer Fernsehens. Er gehe davon aus, dass «noch nicht die ganze Wahrheit» gesagt sei.

Baupläne für Atomwaffen Bundespräsident Pascal Couchepin hatte am Donnerstag die Aktion vor den Medien verteidigt. Der Bundesrat habe die Akten der mutmasslichen Atomschmuggler aus der Schweiz vernichten lassen, um zu vermeiden, dass sie in falsche Hände gerieten. Die bei drei Rheintaler Ingenieuren sichergestellten Dokumente hätten detaillierte Baupläne für Nuklearwaffen enthalten. Die Ingenieure sollen von 2001 bis 2003 für Abdul Qader Khan, den «Vater der pakistanischen Atombombe», gearbeitet haben. Dieser führte ein geheimes Atomwaffenprogramm für Libyen durch .

Couchepin hatte sich nicht zu Spekulationen geäussert, wonach die Vernichtung möglicherweise aus Gefälligkeit gegenüber den USA erfolgte, damit sich Verbindungen der Ingenieure zum CIA nicht nachweisen lassen.

Kommentar: Weshalb schweigt Couchepin zur brisantesten Frage? Das gibt uns zu denken!

nzz-online nimmt die Kritik des Juristen auch auf: