Berlin – Die Affäre Wulff - und jeden Tag
neue Vorwürfe. Kaum einer blickt noch durch. Was ist wirklich
schwerwiegend, was haarspalterisch und was einfach nur an den Haaren
herbeigezogen? BILD schafft Ordnung.
SCHWERWIEGEND
Hauskredit: Christian
Wulff kaufte 2008 ein Haus in Großburgwedel bei Hannover. Dafür lieh er
sich 500 000 Euro zu damals günstigen Bedingungen von der Frau seines
niedersächsischen Unternehmer-Freundes Egon Geerkens. Auf eine Frage der
Grünen im Landtag, ob er geschäftliche Beziehungen zu Herrn Geerkens
unterhalte, ließ Wulff 2010 mit „Nein“ antworten. Egon Geerkens räumte
später ein, er habe Wulff wegen seiner Scheidung helfen wollen und den
Geldtransfer organisiert. Wulff entschuldigte sich später für die
irreführenden Auskünfte im Landtag.
BILD meint: Das ist der gravierendste von allen
Fällen. Zentrale Fagen sind weiterhin offen, z. B. woher Frau Geerkens
die 500 000 Euro hatte. Außerdem hat Wulff den Landtag in die Irre
geführt.
BWBank- Kredite: Kurz nach der Anfrage im Landtag zu Egon
Geerkens
wandelte Wulff 2010 das Privatdarlehen (auf Vermittlung von Geerkens)
in einen Kredit der Stuttgarter BW-Bank um – zu extrem günstigen
Bedingungen, wie sie laut Praxistest des „Handelsblatts“ kaum ein
anderer Kunde bekommt. Nachdem Wulff im Herbst 2011 von konkreten
BILD-Recherchen zu seinem Hauskauf erfuhr, wandelte er diesen günstigen
BW-Bankkredit in einen neuen Kredit zu einem gängigen Zinsatz um. Wulff
sieht die Vorgänge als normales Bankgeschäft an.
BILD meint:
Wulff korrigierte mehrfach wichtige Angaben zu den Bankgeschäften. Doch
immer noch sind diverse Fragen offen, z. B. warum Wulff den so
günstigen ersten Kredit bekam. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart und die
BW-Bank legten den Fall zu den Akten. Jetzt ist die
Generalstaatsanwaltschaft Baden-Württemberg eingeschaltet.
Mailbox-Anruf:
Am Abend vor der Veröffentlichung des ersten BILD-Berichtes über das
Geerkens-Darlehen versuchte Bundespräsident Wulff am 12.12.2011,
BILD-Chefredakteur Kai Diekmann telefonisch zu erreichen. Als das nicht
gelang, sprach er ihm auf die
Mailbox.
Zwar bat Wulff auch darum, den BILD-Bericht einen weiteren Tag zu
verschieben – vor allem aber wollte er die Berichterstattung verhindern
und deshalb drohte er mit strafrechtlichen Konsequenzen und dem
endgültigen Bruch mit dem gesamten Springer-Verlag (BILD, WELT) für den
Fall einer Veröffentlichung. In seinem TV-Interview (Januar 2012) sagte
Wulff, er habe den Bericht „nicht verhindern“ wollen.
BILD meint:
Wulff hat in dem Punkt vor 11 Mio. TV-Zuschauern die Unwahrheit gesagt.
Laut Staatsanwaltschaft Hannover darf man Wulff „Lügner“ nennen.
Olaf Glaeseker:
Eine Woche nach Bekanntwerden der Hauskauf-Affäre trennte sich Wulff
ohne Angabe von Gründen von seinem langjährig engsten Vertrauten und
Sprecher Olaf Glaeseker. Am 19.1.2012 durchsuchte die Staatsanwaltschaft
u. a. Glaesekers Privathaus wegen des Verdachtes der Bestechlichkeit.
Grund: Glaeseker soll als Sprecher des damaligen Ministerpräsidenten
Wulff den Veranstaltungsmanager Manfred Schmidt begünstigt und dafür u.
a. Gratis-Urlaube in dessen Ferienhäusern erhalten haben. Wulff
erklärte, davon nichts gewusst zu haben.
BILD meint: Das ist unglaubwürdig: Wulff und
Glaeseker standen sich extrem nahe. Wulff wörtlich: „Wir sind siamesische Zwillinge.“
PROBLEMATISCH
Wahlkampfhilfe : AWD-Gründer Carsten Maschmeyer
zahlte 42 731 Euro für Anzeigen für ein Wulff-Wahlkampf- Buch („Besser
die Wahrheit“, 2007). Wulff erklärt, davon nichts gewusst zu haben.
BILD meint: Das ist schwer zu glauben, weil Wulff und Maschmeyer einander als enge Freunde bezeichnen.
„Nord- Süd- Dialog“: Veranstaltungsmanager
Schmidt organisierte auf eigene Rechnung drei - mal ein großes Treffen
niedersächsischer und baden- württembergischer Polit- wie
Wirtschaftsprominenz. Auf Anfrage der Opposition erklärte die
niedersächsische Landesregierung im April 2010, unter Ministerpräsident
Wulff sei besagter „Nord-Süd-Dialog“ nicht gefördert oder mit Geld
unterstützt worden. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die
Landesregierung ein Kochbuch-Geschenk für die Gäste finanzierte.
Wulff-Sprecher Glaeseker organisierte zudem Helfer-Personal und warb
aktiv um Sponsoren.
BILD meint: Die Landesregierung hat falsche Angaben gemacht, die Wulff persönlich abgezeichnet hatte.
Gratis-Urlaube :
Ohne dafür zu bezahlen, machte Wulff als Ministerpräsident insgesamt
sechsmal in luxuriösen Anwesen von Unternehmer-Freunden privat Ferien,
darunter während seiner Hochzeitsreise.
BILD meint:
Die Unternehmer hatten wirtschaftliche Interessen in Niedersachsen.
Laut niedersächsischem Gesetz ist selbst der „Anschein“ einer
Vorteilsnahme zu vermeiden.
Flug-Upgrades :
Wulff wurde bei privaten Ferienflügen (u. a. USA) mehrfach auf bessere,
teurere Sitze platziert (Upgrade). Er erklärte, diese Vergünstigung
privat beglichen zu haben.
BILD meint: Ob eine Vorteilsnahme und damit ein weiterer Verstoß gegen das niedersächsische Ministergesetz vorliegt, muss geprüft werden.
David Groenewold: Der Filmunternehmer suchte ab 2003 die Nähe zu Wulff. Er zahlte dem Autor eines
Wulff-Werbebuches
10 000 Euro und bezahlte für Wulff ein Hotel-Upgrade in München. Laut
von BILD am Dienstag veröffentlichten Hotelnotizen verpflichtete
Groenewold das Personal eines Sylter Hotels erst kürzlich zum
Stillschweigen über einen gemeinsamen Aufenthalt mit Wulff im Jahr 2007,
den Groenewold gebucht und zunächst bezahlt hatte. Groenewold sagt, er
habe das Hotel um Stillschweigen gebeten. Wulffs Anwalt erklärt, die
Kosten des
Sylter Aufenthalts
hätte Wulff Groenevold später vor Ort in bar erstattet. Zeitlich
parallel profitierte Groenewolds Firma von der Filmförderung
Niedersachsen und von der Zusage einer Landesbürgschaft.
BILD meint: Es bleibt die Frage, wie viele Gefälligkeiten ein Ministerpräsident annehmen darf, ohne dass mindestens sein Ruf leidet.
LÄPPISCH, UNSINNIG
Bobby Car: Laut „Berliner Zeitung“ hat ein Berliner Autohaus den Wulffs im Zuge eine Autokaufs einen Kinder-Bobby-Car geschenkt.
Gratis-Auto: Laut „Berliner Zeitung“ soll Bettina
Wulff wochenlang einen Audi Q 3 gratis genutzt haben. Die Zeitung
erklärte gestern, der Bericht sei in wichtigen Teilen nicht zutreffend.
Leih-Kleider: Laut „Focus“ sollen Bettina Wulff Designer-Kleider gratis geliehen worden sein.
Einladungen: Laut „Spiegel“ haben die Wulffs private Bekannte zu offiziellen Großveranstaltungen eingeladen.
Zentis: Laut „Abendzeitung“ hat der Marmeladen-Hersteller Zentis
Wulff zum Filmball München eingeladen.
BILD meint: Alle diese Vorwürfe haben kein nennenswertes Gewicht und werden in der Öffentlichkeit zu Recht als aufgeblasen kritisiert.