Die Schwelle für einen Beitritt ist heute vielen zu hoch: Rotary Club in Frankreich (um 1956).
Foto: Three Lions, Getty Images
In der Schweiz gibt es mehr als 200 Rotary Clubs, rund 40 davon im
Kanton Zürich. Einer der ältesten und sicherlich der renommierteste
unter ihnen ist der Rotary Club (RC) Zürich. Seine Mitgliederliste um
Hans Vontobel, Walter Kielholz, Ulrich Bremi oder Anton Scherrer liest
sich wie ein etwas in die Jahre gekommenes «Who Is Who» der Schweizer
Wirtschaft.
In die Jahre gekommen ist auch die Organisation Rotary
selbst, sie hat Nachwuchsprobleme. Diese sind derart gravierend, dass
der weltweit höchste Rotarier im Mai verlauten liess, direkt nach der
Ausrottung der Kinderlähmung habe die Erhöhung der Mitgliederzahlen die
oberste Priorität. 1 185 000 Mitglieder hat Rotary weltweit – die
tiefste Zahl der letzten 10 Jahre. England, USA, Kanada, Japan – sie
alle verzeichneten Mitgliederverluste von bis zu 20 Prozent im
vergangenen Jahrzehnt. Nun hat der Vorstand gar 3 Millionen Dollar für
«die Erstellung und Unterstützung regionaler Mitgliedschaftspläne»
gesprochen.
In der Schweiz ist die Situation zwar nicht
gleichermassen dramatisch: Die Zahl der Rotarier wachse konstant, sagt
Rotary Schweiz, auf 1000 Einwohner kämen 15,5 Rotarier, das sei ein
globaler Spitzenwert. Aber: Die Clubs leiden an der Überalterung. Ein
Beispiel ist der RC Zürich West: Gründungsjahr 1973, 72 Mitglieder,
keine Frauen, Durchschnittsalter 64,5 Jahre, 22,2 Prozent gar über
79 Jahre alt, nur gerade 3 Mitglieder sind jünger als 40. «Junge
Mitglieder finden, die Zeit haben, ist nicht einfach», sagt Clubsekretär
Max Roesle. Ein Problem, das sich die Rotarier zum Teil selbst
eingebrockt haben: Weil bislang nur aufgenommen wurde, wer in seinem
Beruf etwas erreicht hatte, fehlt frisches Blut in den Reihen.
Zu viele Regeln und Pflichten
Die
Jungen bleiben fern, weil sie das hohe Durchschnittsalter und die
oftmals tiefe Frauenquote abschrecken. Dazu kommen zahlreiche Regeln und
Pflichten: Wöchentlich trifft man sich zum Essen, meist in
gutbürgerlichen Restaurants, es gilt 50 Prozent Anwesenheitspflicht,
über die Absenzen wird Buch geführt. Nur durch den Vorschlag eines
anderen Mitglieds kommt man in den Club. Man zahlt Jahresbeiträge und
ist angehalten, Referate zu geben oder Ausflüge zu organisieren. Dazu
verlor der Schweizer Milizgedanke – der auf Freiwilligenarbeit beruht –
durch die Internationalisierung der Wirtschaftswelt an Gewicht.
Anekdoten
über Rotarier gibt es zuhauf: Noch 2009 bestand die Mehrheit (5 von 8)
des Verwaltungsrats des Flughafenbetreibers Unique aus Rotariern. Oder
der Fall Renato Fassbind: 2002 wurde er Rotarier, traf im Club auf
Walter Kielholz, dieser holte ihn zur Credit Suisse, wo er 2004 als
Finanzchef installiert wurde. Alles Geschichten, die in der Gesellschaft
den Gedanken prägten, Rotary Clubs agieren als Kaderschmiede der
Schweizer Wirtschaft. Der Gedanke erntet bei jedem angefragten Rotarier
Kopfschütteln: Man sei in erster Linie im Club, um Gutes zu tun.
Geschäfte machen sei verpönt.
Headhunter Bjorn Johansson
bezweifelt die soziale Idee nicht, relativiert aber: «Selbstverständlich
wird das Netzwerk genutzt, und Geschäfte werden abgewickelt.» Der
Einfluss von Organisationen wie Rotary oder Lions habe aber stark
abgenommen – auch wegen Corporate-Governance-Regelungen. «Heute kann man
es sich gar nicht mehr erlauben, hohe Ämter ohne Auswahlgremium zu
besetzen», sagt Johansson. Der gesunkene gesellschaftliche Einfluss habe
dazu geführt, dass Rotary Clubs gerade bei ambitionierten, jungen
Karrieremenschen an Attraktivität verloren hätten.
Dies spüren
die Rotarier: Noch 2006 hatte der Governor – in der Rotary-Hierarchie
der höchste Posten im Land – in der NZZ gesagt, man wolle nicht
Steigbügelhalter für jene sein, die beruflich einfach schnell nach oben
kommen möchten. Gleichzeitig plädierte er für ein Eintrittsalter über
40. Der heutige Governor will die «Rekrutierungsanstrengungen» auf 30-
bis 45-Jährige mit Führungspotenzial legen. Die Mitglieder sollen also
das Potenzial eines zukünftigen CEO erkennen und ihn in den Club holen.
Treffen vor dem Computer
Einer,
der mit Traditionen gebrochen hat, ist Peter von Gunten. Die Mitglieder
seines Clubs treffen sich online – dreimal im Monat, immer montags, am
vierten Montag tafelt man im Restaurant St. Gotthard in Zürich. «Das ist
die Zukunft», sagt der 65-jährige Präsident des ersten Schweizer
E-Clubs, «die jüngere Generation kommuniziert heute anders als jene vor
40 Jahren.» So sitzen regelmässig 25 Mitglieder montags um 20.30 Uhr vor
dem Computer, diskutieren via Videokonferenz, oftmals begleitet durch
einen Gastreferenten. Die Rotarier sehen einander meist nicht reden,
sondern bloss ein Standbild, «für eine gute Übertragungsqualität». Bei
besonders guten Beiträgen könne man zudem einen Applausknopf betätigen,
sagt von Gunten.
Der E-Club ist gemäss von Gunten eine
Möglichkeit, den Bedürfnissen der Jungen gerecht zu werden, eine andere
ist die Gründung neuer Clubs. Ein Beispiel ist der RC Adlisberg, dieser
spaltete sich 2005 vom RC Dübendorf ab. Die Mitglieder konnten sich
damals nicht einigen, ob sie Frauen aufnehmen wollten. Eine Frau, die
dem Club beitrat, ist Anna Kulp, 36 Jahre alt, selbstständig in der
Kulturbranche. «Als ich angefragt wurde, war ich sehr skeptisch. Ich
hatte viele Vorurteile über einen Altherrenclub im Kopf», sagt Kulp. Das
sei falsch gewesen, es habe im Club viele Frauen, und auch das Gespräch
mit den älteren Herren sei inspirierend. In einen überalterten,
männerdominierten Club wäre sie jedoch nicht eingetreten.
Für
Franz Schultheis, HSG-Professor in Soziologie, sind die Anstrengungen
der Rotarier letztlich «hilflose Versuche gegen einen evolutionären
Prozess»: «Vereine kämpfen dagegen, das Militär kämpft dagegen, die
Kirche kämpft dagegen», sagt Schultheis. Junge Menschen wollen sich
nicht mehr binden. Die Generation Y, Menschen, die um die
Jahrtausendwende Teenager waren, hätten ein ganz anderes soziales
Verhalten als die Mehrheit der Rotarier, sagt Schultheis. «Sie haben es
gerne informell, locker, unverbindlich. Im Gegenzug verkörpern die
Rotarier gesellschaftliche Werte, welche die jungen Menschen als relativ
verstaubt wahrnehmen», sagt der Soziologieprofessor. Die Rotarier
würden zwar nicht aussterben, doch ihre Blütezeit sei vorbei.
(Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 26.06.2014, 07:25 Uhr)
Mittwoch, 21. Oktober 2009; 19:09
Mein Aha-Erlebnis vor vielen Jahren war (Noam Chomskys?) TV-Doku “Manufacturing consent”. Sehr empfehlenswert.
Donnerstag, 22. Oktober 2009; 10:16
Doch die Medien und ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit haben sich durch diesen Film nicht wirklich geändert.
Donnerstag, 22. Oktober 2009; 14:42
Seither habe ich so meine liebe Mühe mit den Medien. Werde mir bei Gelegenheit ‘Manufacturing Consent’ mal ansehen.
Montag, 26. Oktober 2009; 07:11
Setzen wir im kleinen an und seien wir uns bewusst, wie weit die Unternehmen schon gehen um uns manipulieren zu können.
Montag, 26. Oktober 2009; 09:20
Hervorragend nachvollziehen lassen sich diese Mechanismen der Manipulation (und noch weitere von Knill nicht genannte) übrigens im Film “Eine unbequeme Wahrheit” (“An Inconvenient Truth”).
Ebenfalls gefunden:
„Leser wollen keine Selbstschutzbehauptungen von Verlierern“