Im Wahlkampf um die amerikanische Präsidentschaft kam es zur Entscheidung. Das Duell zwischen Barack Obama und John McCain ist nicht nur eines zwischen gegensätzlichen politischen Positionen. Auch im visuellen Auftritt könnte der Unterschied zwischen den beiden Kontrahenten kaum grösser sein: hier der behäbige, traditionsbewusste John McCain, der eher an einen erfolgreichen Autovertreter erinnert als an einen Präsidentschaftskandidaten; da der jugendliche Visionär Barack Obama, der wie der Klassenbeste einer Priesterschule wirkt.
Ein Blick auf die Wahlplakate von Politikern aus aller Welt zeigt, dass sich die Kandidaten fester Muster bedienen, um sich ein Image zu geben.
Entscheidend ist, wie sich ein Politiker auf dem Plakat inszeniert, welche Körper- und Kopfhaltung er wählt, das Zusammenspiel von Vorder- und Hintergrund. Die formelhafte Bildsprache des Plakats reicht zurück bis in die Anfänge der politischen Werbung Ende des 19. Jahrhunderts.
Der Mann von nebenan
Ein Klassiker unter den Bildformeln ist die Darstellung des Politikers als Mann von nebenan, als «common man». Der grenzt sich von der vermeintlich abgehobenen Politikerklasse ab, die längst taub ist für die wahren Probleme der Bürger. Der Mann von nebenan wird nah bei der Wählerschaft inszeniert, oft mittendrin wie der engagiert diskutierende Niederländer im Zentrum der Bildauswahl rechts. Vertreter der Bauern zeigen sich gern auf dem Feld, jene der Arbeiterschaft im industriellen Kontext: So werden visuelle Brücken geschaffen, die ein Wiedererkennen der eigenen Situation zum Ziel haben.
Auch die Kleidung des Kandidaten ist dem Anlass angepasst informell, und nicht selten wird sogar eher Unvorteilhaftes im Aussehen in Szene gesetzt, so wirkt der Kandidat ungeschminkt und echt. Die Botschaft ist klar: «Ich bin einer von euch, ich kenne eure Sorgen, ich werde mich für euch einsetzen.» Der «common man» steht also nicht primär für ein Programm, sondern preist sich an als Standesvertreter, der als «vox populi» die Wähler direkt vertritt.
Der Familienmensch
Eine Variante des Mannes von nebenan ist der Kinderfreund und Familienmensch. Die Thematisierung der Familie im Wahlkampf ist ein Phänomen des 20. Jahrhunderts, und immer wieder werden Kinder zur Kommunikation politischer Programme herangezogen. Sie sind die Zukunftsmetapher schlechthin und haben, ähnlich wie die Familie, einen unangefochtenen Stand in der Gesellschaft. Politiker, die sich so positionieren, können davon ausgehen, dass sie breite Bevölkerungsschichten ansprechen.
Neben der Inszenierung von Frau und Kindern ist in jüngerer Zeit auch die ausserfamiliäre Kinderbetreuung ein Thema; damit soll die Fortschrittlichkeit des Kandidaten unterstrichen werden. Carmen Walker Späh zeigt sich umzingelt von Stofftieren, während sie ein Kind in der Tagesschule abgibt. Alternativ setzt diese Strategie die traditionelle Bilderbuchfamilie in den Mittelpunkt: verheiratete Eltern, Kinder, Eigenheim. Die Abbildung der Familie bringt einen privaten Aspekt in den Wahlkampf; als emotionale Strategie drängt sie politische Inhalte eher in den Hintergrund.
Der Macher
Durch die ganze Geschichte der politischen Imagebildung zieht sich das Muster des «economic man», der als Garant für Professionalität und Wohlstand erscheint. Sei es als Planer von Industriekomplexen, als Baumeister ganzer Stadtquartiere oder schlicht als geschäftiger Organisator am Telefon. Der Macher hat eine klare Botschaft: Mit ihm werden die grossen Werke der Zukunft dynamisch in Angriff genommen. Typische Bildmotive waren lange Zeit Schiffe als Symbole des Handels, später auch rauchende Kamine und die Eisenbahn als Sinnbild des industriellen Fortschritts. Beim Macher ist der Hintergrund des Bildes besonders wichtig: Zwar zeigt sich im Beispiel Maos Oberkörper selbst zu einem Kraftwerk aufgeblasen, das Augenmerk gilt aber der mächtigen Industrieanlage und den offensichtlich grossen Plänen des Grossen Vorsitzenden.
Der Volksfreund
Ist ein Politiker ausreichend bekannt, bietet sich das Image des Volksfreunds an. Dieser liebt das Bad in der Menge, beispielsweise mit ausgedehnten Prozessionen zum Rednerpult, die ihm Gelegenheit geben, seinen begeisterten Anhängern theatralisch die Hand zu schütteln. In der autoritären Spielform mutiert der Volksfreund zum huldvoll Zuwinkenden über einer grossen Menschenansammlung. Die Kernaussage stellt hier auf die offensichtliche Beliebtheit des Politikers ab. Eine derart begeisterte Masse wird sich kaum täuschen können. Der Volksfreund erhebt einen uneingeschränkten Führungs- und Machtanspruch.
Diese Bildformel ist die moderne Version alter Königsdarstellungen, in denen der König als Kopf des Staates, als Personifizierung der politischen Einheit porträtiert wird, während das Volk den Körper, die Masse der Regierten bildet. Das gilt für Mussolini und Hitler ebenso wie für den hier abgebildeten Stalin: Dieser geht sogar so weit, seiner Anhängerschar zu applaudieren – er gibt vor, sein Volk zu lieben. In der Schweiz mit ihrer langen republikanischen Tradition ist dieses Muster unpopulär. Lässt sich ein Politiker hierzulande zu überhöht inszenieren, regt sich Widerstand. Das erlebte Christoph Blocher, einer der populärsten Schweizer Politiker der Gegenwart, der von seiner Anhängerschaft wie kein anderer gefeiert, aber vom Parlament als Bundesrat nicht bestätigt wurde.
Der Thronfolger
Die Ahnenstrategie zieht ihre Wirkung aus der Anziehungskraft von Zeugen, die für die Qualität des Kandidaten bürgen: Der Kandidat präsentiert sich als legitimer Nachfolger eines früheren Machthabers, ehemaligen Präsidenten oder Nationalhelden. So zeigt sich etwa Jean-Marie Le Pen mit Jeanne d’Arc im Hintergrund, die im 15. Jahrhundert die verhassten Engländer aus Frankreich vertrieb; Stalin legitimiert sich als politischer Erbe von Marx, Engels und Lenin. Das Heraufbeschwören historischer Grösse ist emotional sehr wirkungsvoll, denn der Ruhm eines Ehemaligen wird auf den jetzigen Kandidaten übertragen. Die Selbstprojektion in eine Ahnenreihe verspricht den Wählern Kontinuität und das Anknüpfen an eine heroische Vergangenheit.
Der Visionär
Seiner höheren Mission eingedenk, wendet der Visionär seinen Blick vom Gegenüber ab, den kommenden Herausforderungen entgegen. Die liegen generell ausserhalb des Bildes, dort, wo auch das Hauptlicht herkommt, das auf den Porträtierten fällt. Der Visionär zeigt sich sozusagen im Augenblick seiner «Erleuchtung». Im Gegenzug delegieren die Angesprochenen ihm Verantwortung und schenken ihm Vertrauen. Dies gilt für Barack Obama ebenso wie für seine politische Referenz John F. Kennedy. Beide zeigen sich im Profil. Während die Darstellung bei Kennedy noch als Bildseite einer Münze (dem ältesten «Medium» zur Verbreitung politischer Portraits) gelesen werden kann, scheint Obama bereits von einem Heiligenschein umgeben. Entsprechend bedient er die Wählerschaft mit Schlagworten wie «Change», «Progress» und «Hope». Aber auch François Mitterrand richtet sich im hier gezeigten Beispiel nicht mehr direkt an den Betrachter. Er gibt sich beinahe schon als Statue, inszeniert sich als unerschütterliche Verkörperung eines geeinten Frankreich.
Politiker wollen letztlich nur eines: gewählt werden. Darum bauen sie uns mit vielfältigen Strategien visuelle Brücken, um eine Mehrheit für sich zu gewinnen. Vielleicht vermissen wir deshalb bei den politischen Portraits oft eine herausragende Gestaltung. Denn in gestalterischen Fragen bedeutet Mehrheitsfähigkeit meist Mittelmass.
Christian Brändleist Direktor des Museums für Gestaltung Zürich und Kurator der Ausstellung «Kopf an Kopf – Politikerporträts». Die Ausstellung zu Imagebildung, Repräsentation und Demontage läuft bis am 22. Februar 2009 im Museum für Gestaltung Zürich. Das Rahmenprogramm und die Publikation zur Ausstellung finden Sie unter http://www.museum-gestaltung.ch/.