Donnerstag, 11. Mai 2017

Zur spannenden Diskussion im Ringierhaus über das Verhalten der Presse im Fall Jegges

Da ich eine Analyse über Jegges Interview geschrieben hatte, besuchte ich die Diskussion vom 8. Mai. (Sie wird im neuen Heft PERSOENLICH publiziert).

Aus Persönlich.com

Verhindert Schnelligkeit das Fairness-Prinzip?

Haben die Journalisten von SRF über den Fall Jegge zu spät berichtet? Oder waren sie einfach sorgfältiger als die Kollegen anderer Medien, die aktueller reagierten? In einem Podiumsgespräch diskutierten Journalisten anhand dieses Falles über Grundsatzfragen.
Fall Jürg Jegge: Verhindert Schnelligkeit das Fairness-Prinzip?
Diskutierten über die Rolle der Medien im Fall «Jürg Jegge» (v.l.): Rainer Stadler (NZZ), Hugo Stamm (Co-Autor des Buches «Jürg Jegges dunkle Seite – Die Übergriffe des Musterpädagogen»), Gabriella Baumann-von Arx (Verlegerin desBuches im Wörterseh Verlag), Hannes Britschgi (Gesprächsleitung, Leiter der Ringier-Journalistenschule), Lis Borner (Chefredaktorin von Radio SRF) und Tristan Brenn (Chefredaktor TV von SRF). (Bild: Tim Frei)
KOMMENTAR: 
 Ungefähr 40  Journalisten besuchten die Diskussionsrunde des Vereins Qualität im Journalismus. Das Thema:
"Der Fall Jegge und die Fairness".
Es ging vor allem um die verspätete SRF Berichterstattung.
Die SRF-Informationssendungen hatten im Gegensatz zu den meisten anderen Medien erst drei Tage nach der Medienkonferenz über die Jegge vorgeworfenen sexuellen Übergriffe berichtet.
Lis Borner begründet das Zuwarten:
"Wir entschieden uns gegen eine sofortige Berichterstattung wegen dem in unseren Leitlinien festgeschriebenen Fairness-Prinzip". Das will heissen, dass der Angeschuldigte bei schwerwiegenden Vorwürfen das Recht habe, Stellung zu beziehen. "Es gab keinerlei Zeitdruck. Hätte sich Jegge nicht geäussert, wären wir ohne seine Stellungnahme rausgegangen."
Hugo Stamm kontert: "Das bedeutet doch, dass Täter in Zukunft einfach nichts sagen müssen, um eine Berichterstattung zu verzögern". Stamm ärgerte sich, dass bei ihm niemand nach den anderen Zeugen fragte. "Das sind doch alles nur Ausreden!" Tristan Brenn wehrt sich :
"Davon kann keine Rede sein. Wie Lis Borner gesagt hat: Es ging uns darum, dem Beschuldigten Zeit zu geben, sich zu den Vorwürfen zu äussern."
und Borner findet:
«Der Entscheid ist uns nicht leichtgefallen. Es hat sich um einen Grenzfall gehandelt."  "Wir fühlten uns alles andere als wohl dabei, aber ich stehe nach wie vor zu 100 Prozent hinter dem Entscheid", ergänzt Tristan Brenn.
Auch ich fand es sonderbar, dass das Schweizer Radio und Fernsehen drei Tage verstreichen lässt, bis über das Buch gesprochen wird.
Mich interessierte an dieser spannenden Veranstaltung die Frage: Warum hat man nicht über die Medienkonferenz informiert, ohne zu werten? Man hätte immerhin die Publikation des Buches sachlich beschreiben können. Dies hätte nicht gegen die journalistischen Spielregeln verstossen.
Die absolute Funkstille wirkte nach aussen, als wollten Radio und Fensehen die Publikation des Buches todschweigen.
Ich fand es gut, dass das Chefredaktorenteam bereit war, Selbstkritik zu üben.
Heute sieht man dieses Vorgehen am Leutschenbach eindeutig selbstkritischer. Brenn und Borner waren sich einig, "dass wir Jegge eine härtere Deadline hätten geben müssen". "Tagesschau"-Moderator Franz Fischlin, der als «QuaJou»-Mitglied ebenfalls im Publikum beim «Q-Club» sass, teilt diese Meinung: "Wir von SRF warteten wohl etwas zu lange und hätten Herrn Jegge in nützlicher Frist ein Ultimatum für eine Reaktion stellen sollen". 
 
Ich zitiere persönlich.com:

Franz Fischlin begrüsste den Beitrag von Borner im im «Echo der Zeit». «Ich würde mir aber wünschen, dass SRF die Kommentare wieder einführen würde», erklärte er gegenüber persoenlich.com. Darunter versteht er sowohl Kommentare zur eigenen Berichterstattung als auch Einordnungen von SRF-Journalisten von Ereignissen wie zum Beispiel bei Abstimmungen.

SRF-Kritik an anderen Medien

Ab Freitag nach der Publikation nahm Jegge erstmals Stellung zu den Vorwürfen Stellung. Die von da an einsetzende Berichterstattung von Schweizer Medien kritisiert Franz Fischlin: «Jegge konnte sich in diversen Online- und Printmedien sowie TV-Stationen äussern, ohne dass seine Aussagen von Experten wie beispielsweise Psychologen eingeordnet wurden. Damit hat man Jegge eine Plattform geboten.» Jegge habe sich doch mit seinen Aussagen selber demontiert, meinte Rainer Stadler. «Auch die Opfer konnten in diesen Beiträgen nicht Stellung beziehen. Insofern wurde auch die Ausgewogenheit verletzt», so Fischlin weiter.
Stamm lobte das NZZ-Interview mit Jürg Jegge und kritisierte gleichzeitig jenes im Tagi: «Während der Journalist der ‹Neuen Zürcher Zeitung› stets nachfragte, macht jener des ‹Tages-Anzeigers› dies nicht, und die Bezeichnung ‹sexueller Kontakt› für das Vergehen zog sich durch das Interview».
Gabriella Baumann-von Arx konnte zu Beginn des Podiums darlegen, wie es zum Buch kam. Sie bedauert, «dass sich das Buch schlecht verkauft. Jedenfalls viel schlechter als wir erwartet hätten».(Ende Zitat)

In der lebhaften Diskussion wies ich darauf hin, dass sich Jegge mit seinen Antworten seber demontiert habe.
Nach dem meine Aussage von einem Journalisten bezweifelt worden war,  schätze ich es, dass mich Rainer Stadler hinsichtlich dieser Feststellung nachträglich unterstützte.  Wer nämlich die sonderbaren Aussagen des Täters liest, kann nämlich nur den Kopf schütteln. Jegge demontierte sich selbst.
Ich teile  aber auch die Meinung Fischlins, dass man bei dem völlig uneinsichtigen "Lehrer der Nation" nachträglich viel professioneller hätte nachhaken müssen.

Die Veranstaltung machte den anwesenden Journalisten bewusst, dass die Qualität der Medien tagtäglich zusätzlichen Effort erheischt. Und die Medienschaffenden müssen dieser Qualität laufend Sorge tragen.