Da ich eine Analyse über Jegges Interview geschrieben hatte, besuchte ich die Diskussion vom 8. Mai. (Sie wird im neuen Heft PERSOENLICH publiziert).
Aus Persönlich.com
Verhindert Schnelligkeit das Fairness-Prinzip?
Haben die Journalisten von SRF über den Fall Jegge
zu spät berichtet? Oder waren sie einfach sorgfältiger als die Kollegen
anderer Medien, die aktueller reagierten? In einem Podiumsgespräch
diskutierten Journalisten anhand dieses Falles über Grundsatzfragen.
Diskutierten über die
Rolle der Medien im Fall «Jürg Jegge» (v.l.): Rainer Stadler (NZZ), Hugo
Stamm (Co-Autor des Buches «Jürg Jegges dunkle Seite – Die Übergriffe
des Musterpädagogen»), Gabriella Baumann-von Arx (Verlegerin desBuches im
Wörterseh Verlag), Hannes Britschgi (Gesprächsleitung, Leiter der
Ringier-Journalistenschule), Lis Borner (Chefredaktorin von Radio SRF)
und Tristan Brenn (Chefredaktor TV von SRF). (Bild: Tim Frei)
KOMMENTAR:
Ungefähr 40 Journalisten besuchten die Diskussionsrunde des Vereins Qualität im Journalismus. Das Thema:
"Der Fall Jegge und die
Fairness".
Es ging vor allem um die verspätete SRF Berichterstattung.
Die SRF-Informationssendungen hatten im Gegensatz zu den meisten
anderen Medien erst drei Tage nach der Medienkonferenz über die Jegge
vorgeworfenen sexuellen Übergriffe berichtet.
Lis Borner begründet das Zuwarten:
"Wir entschieden uns gegen eine sofortige Berichterstattung wegen dem
in unseren Leitlinien festgeschriebenen Fairness-Prinzip". Das will heissen, dass der Angeschuldigte bei schwerwiegenden
Vorwürfen das Recht habe, Stellung zu beziehen. "Es gab keinerlei Zeitdruck. Hätte sich Jegge nicht geäussert, wären
wir ohne seine Stellungnahme rausgegangen."
Hugo Stamm kontert: "Das bedeutet doch, dass Täter in Zukunft
einfach nichts sagen müssen, um eine Berichterstattung zu verzögern". Stamm ärgerte sich, dass bei ihm niemand nach den anderen
Zeugen fragte. "Das sind doch alles nur Ausreden!" Tristan Brenn wehrt sich :
"Davon kann keine Rede sein. Wie Lis Borner
gesagt hat: Es ging uns darum, dem Beschuldigten Zeit zu geben, sich zu
den Vorwürfen zu äussern."
und Borner findet:
«Der Entscheid ist uns nicht leichtgefallen. Es hat sich um einen
Grenzfall gehandelt." "Wir
fühlten uns alles andere als wohl dabei, aber ich stehe nach wie vor zu
100 Prozent hinter dem Entscheid", ergänzt Tristan Brenn.
Auch ich fand es sonderbar, dass das Schweizer Radio und Fernsehen drei Tage verstreichen lässt, bis über das Buch gesprochen wird.
Mich interessierte an dieser spannenden Veranstaltung die Frage: Warum hat man nicht über die Medienkonferenz informiert, ohne zu werten? Man hätte immerhin die Publikation des Buches sachlich beschreiben können. Dies hätte nicht gegen die journalistischen Spielregeln verstossen.
Die absolute Funkstille wirkte nach aussen, als wollten Radio und Fensehen die Publikation des Buches todschweigen.
Ich fand es gut, dass das Chefredaktorenteam bereit war, Selbstkritik zu üben.
Heute sieht man dieses Vorgehen am
Leutschenbach eindeutig selbstkritischer. Brenn und Borner waren sich einig, "dass
wir Jegge eine härtere Deadline hätten geben müssen". "Tagesschau"-Moderator Franz Fischlin, der als «QuaJou»-Mitglied
ebenfalls im Publikum beim «Q-Club» sass, teilt diese Meinung: "Wir von
SRF warteten wohl etwas zu lange und hätten Herrn Jegge in nützlicher
Frist ein Ultimatum für eine Reaktion stellen sollen".
Ich zitiere persönlich.com:
Franz Fischlin begrüsste den Beitrag von Borner im im «Echo der
Zeit». «Ich würde mir aber wünschen, dass SRF die Kommentare wieder
einführen würde», erklärte er gegenüber persoenlich.com. Darunter
versteht er sowohl Kommentare zur eigenen Berichterstattung als auch
Einordnungen von SRF-Journalisten von Ereignissen wie zum Beispiel bei
Abstimmungen.
SRF-Kritik an anderen Medien
Ab Freitag nach der Publikation nahm Jegge erstmals Stellung zu den
Vorwürfen Stellung. Die von da an einsetzende Berichterstattung von
Schweizer Medien kritisiert Franz Fischlin: «Jegge konnte sich in
diversen Online- und Printmedien sowie TV-Stationen äussern, ohne dass
seine Aussagen von Experten wie beispielsweise Psychologen eingeordnet
wurden. Damit hat man Jegge eine Plattform geboten.» Jegge habe sich
doch mit seinen Aussagen selber demontiert, meinte Rainer Stadler. «Auch
die Opfer konnten in diesen Beiträgen nicht Stellung beziehen. Insofern
wurde auch die Ausgewogenheit verletzt», so Fischlin weiter.
Stamm lobte das NZZ-Interview mit Jürg Jegge und kritisierte
gleichzeitig jenes im Tagi: «Während der Journalist der ‹Neuen Zürcher
Zeitung› stets nachfragte, macht jener des ‹Tages-Anzeigers› dies nicht,
und die Bezeichnung ‹sexueller Kontakt› für das Vergehen zog sich durch das Interview».
Gabriella Baumann-von Arx konnte zu Beginn des Podiums darlegen, wie
es zum Buch kam. Sie bedauert, «dass sich das Buch schlecht verkauft.
Jedenfalls viel schlechter als wir erwartet hätten».(Ende Zitat)
In der lebhaften Diskussion wies ich darauf hin, dass sich Jegge mit seinen Antworten seber demontiert habe.
Nach dem meine Aussage von einem Journalisten bezweifelt worden war, schätze ich es, dass mich Rainer Stadler hinsichtlich dieser Feststellung nachträglich unterstützte. Wer nämlich die sonderbaren Aussagen des Täters liest, kann nämlich nur den Kopf schütteln. Jegge demontierte sich selbst.
Ich teile aber auch die Meinung Fischlins, dass man bei dem völlig uneinsichtigen "Lehrer der Nation" nachträglich viel professioneller hätte nachhaken müssen.
Die Veranstaltung machte den anwesenden Journalisten bewusst, dass die Qualität der Medien tagtäglich zusätzlichen Effort erheischt. Und die Medienschaffenden müssen dieser Qualität laufend Sorge tragen.
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