Das Komitee «Nein zum Wasserwirtschaftsgesetz» befürchtet eine
teilweise Trockenlegung des Naturspektakels: Der Rheinfall bei Neuhausen
SH. Foto: Steffen Schmidt (Keystone)
Das Thema der Schaffhauser Abstimmung vom 18. Mai klingt unspektakulär:
Geändert werden soll der Artikel 19 des kantonalen
Wasserwirtschaftsgesetzes (WWG). Doch das unschuldig wirkende Begehren
birgt Sprengstoff. Denn die Änderung des Artikels 19 soll es
ermöglichen, am Rheinfall ein Wasserkraftwerk zu bauen. In den
Abstimmungsunterlagen wird ein mögliches Wasserkraftwerk am Rheinfall
zwar nicht erwähnt. Doch Naturschützer, Fischer und zahlreiche
Privatpersonen sind überzeugt, dass die Gesetzesänderung einem möglichen
Rheinfallkraftwerk Tür und Tor öffnet. Ausserdem bedrohe die
Aufweichung von Artikel 19 seltene Äschenlaichgebiete oberhalb des
Kraftwerks Schaffhausen, schreibt das Komitee «Nein zum
Wasserwirtschaftsgesetz». Am Rheinfall wäre bei einem Ja
zur Änderung des WWG auch das Zürcher Kantonsgebiet mit den
Rheinfall-Anrainergemeinden Laufen-Uhwiesen und Dachsen betroffen. Nach
geltendem Schaffhauser Recht ist die «Nutzbarmachung der Wasserkraft des
Rheins grundsätzlich auf das heutige Mass der Ausnützung beschränkt».
Erlaubt ist lediglich ein höherer Ausbeutungsgrad bestehender Kraftwerke
mittels technischer Optimierung. Doch die Stromkonzerne Axpo und
Enalpin, die bereits ein kleines Rheinfallkraftwerk auf Schaffhauser
Seite betreiben, würden das 25 Meter hohe Gefälle gerne für ein weiteres
Kraftwerk nutzen.
Politiker wollen Wasserkraft
Angesichts
der kommenden Energiewende kann ihrer Ansicht nach auf den Ausbau der
Wasserkraft nicht verzichtet werden. Die Mehrheit der Schaffhauser
Politiker sieht das genauso. Reto Dubach, Schaffhauser Baudirektor und
Verwaltungsrat der Axpo, setzt sich klar für die Aufweichung von Artikel
19 ein. Kantons- und Regierungsrat haben der Änderung des WWG bereits
zugestimmt. Das Abstimmungsbüchlein empfiehlt sie auch dem Stimmvolk zur
Annahme.
Axpo und Enalpin versuchen, die Existenz von
Plänen zum Bau eines zweiten Rheinfallkraftwerks herunterzuspielen.
Schon jetzt betreiben die beiden Energiegiganten ein kleines
Rheinfallkraftwerk. Die Projektstudie zu einem bedeutend grösseren
Kraftwerk möchte die Axpo nicht herausgeben. Sie verweist darauf, dass
sie die Studie nur im Auftrag von Enalpin erstellt habe. Doch auch
Auftraggeberin Enalpin möchte die Projektstudie nicht herausgeben und
verweist an die Energiedienst Holding AG, die zusammen mit der Axpo eine
Reihe von Kraftwerken am Rhein betreibt.
Martin
Steiger, Verwaltungsratspräsident der Rheinkraftwerk Neuhausen AG und
Chef der Energiedienst Holding, sagt, die Bedeutung der Projektstudie
werde völlig überbewertet: «Bei den aktuellen Strompreisen ist der Bau
eines neuen Kraftwerks sowieso nicht wirtschaftlich.» Die Studie sei
eine Ideensammlung. Selbst wenn die Strompreise sich wieder erholen,
«hängt die Rentabilität eines Kraftwerks davon ab, wie viel Wasser wann
verarbeitet werden kann», sagt Steiger.
Das Komitee «Nein
zum Wasserwirtschaftsgesetz» befürchtet, dass die Kraftwerksbetreiber
am Rheinfall auf die Nutzung einer Wassermenge von 100 bis 150
Kubikmeter pro Sekunde abzielen. Statt wie gewohnt über die Felsen zu
rauschen, zu spritzen und kleine Regenbogen in die Luft zu zaubern,
würde das Wasser durch einen unterirdischen Stollen geleitet und erst
oberhalb der Brücke bei Nohl wieder in den Rhein fliessen. Die
befürchtete Entnahme von 100 Kubikmetern pro Sekunde hat das
Nein-Komitee auf der Basis der «Potenzialstudie Wasserkraft für den
Kanton Schaffhausen» errechnet.
Das bereits existierende
Kraftwerk auf der rechten Seite entnimmt oberhalb des Rheinfalls
zwischen 20 und 30 Kubikmeter Wasser pro Sekunde. In einem
unterirdischen Stollen treibt das Wasser eine Turbine an, die 2012 rund
40 Gigawattstunden Strom produzierte. 2011 wurde das kaum sichtbare
Kraftwerk überholt und technisch optimiert. Die Stromproduktion konnte
damit nach Angaben der Rheinkraftwerk Neuhausen AG um rund 9 Prozent
gesteigert werden.
Die Wassermenge, die trotz des Kraftwerks noch über die Felsen tost,
liegt je nach Jahreszeit und Wasserführung zwischen 250 und 600
Kubikmetern pro Sekunde. Würden im Winter 100 von 250 Kubikmetern
abgezwackt, dürfte selbst das Laienauge dies bemerken.
Steiger
ist sich bewusst, dass sich Axpo und Enalpin mit einer Trockenlegung
des Rheinfalls keine Freunde machen würden. Der Energiemanager betont
denn auch, dass für den Betrieb eines allfälligen neuen Kraftwerks nur
so viel Wasser entnommen würde, dass das Tourismusspektakel Rheinfall
nicht beeinträchtigt würde. «Tagsüber wäre der Rheinfall so, wie man ihn
kennt», verspricht Steiger. Der Grossteil des Wassers würde nach
Vorstellung seines Unternehmens in der Nacht entnommen. «Auch wenn die
Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht, braucht man Strom», so
Steiger. Wer aus der Atomkraft und anderen grundlastfähigen Kraftwerken
aussteigen wolle, müsse Alternativen anbieten.
Von
Kraftwerksplänen zu reden, sei jedoch übertrieben, im Moment handle es
sich lediglich um «Denküberlegungen und Diskussionsanstösse». Auch für
Regierungsrat Reto Dubach ist die angestrebte Gesetzesänderung nur die
«Aufhebung eines Denkverbots». «Kein Kraftwerksbetreiber investiert auch
nur einen Franken in eine Projektstudie, wenn er damit rechnen muss,
dass die Bevölkerung den Bau am Ende ablehnt.» Wie Steiger betont auch
Dubach, dass es sich bei der existierenden Studie lediglich um eine
«Projektskizze» handle.
Ob die Änderung des Schaffhauser
WWG ausreicht, um das von Dubach beklagte Denkverbot aufzuheben, ist
fraglich. Denn auch der Kanton Zürich hat das zürcherische Rheinufer
beim Rheinfall sowie das Schloss Laufen und seine Umgebung zum
geschützten Gebiet erklärt. Gemäss der «Verordnung zum Schutze des
Landschaftsbildes beim Rheinfall» aus dem Jahr 1954 ist eine Bewilligung
für Bauten «zu verweigern, wenn eine nachteilige Beeinflussung des
Fluss-, Ufer-, Landschafts- oder Ortsbildes oder eines im Interesse des
Natur- und Heimatschutzes erhaltungswürdigen Objektes zu befürchten
ist».
Kraftwerk auf Zürcher Seite
Gemäss
der Projektstudie der Axpo käme ein neues Rheinfallkraftwerk mit
höherer Wahrscheinlichkeit auf der Zürcher Seite zustande, wo das
Schloss Laufen mit der Jugendherberge steht. Anstatt die Zuschauer auf
den erst 2010 ausgebauten Stegen nass zu spritzen, würde ein Teil des
Rheinwassers auf der Gemarkung der Gemeinden Dachsen oder
Laufen-Uhwiesen durch einen unterirdischen Stollen geleitet. Je nachdem,
wo das Wasser wieder in den Rhein geleitet würde, hätte nebst den
Kantonen Schaffhausen und Zürich auch das Bundesamt für Energie in Bern
noch ein Wort mitzureden oder nicht.
Bereits in diese
Überlegungen involviert ist die Eidgenössische Natur- und
Heimatschutzkomission (ENHK). Da der Rheinfall sich im Bundesinventar
der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN)
befindet, muss die ENHK Stellung nehmen, bevor Bauprojekte in Angriff
genommen werden. Der Bau eines Velostegs über die Brücke oberhalb des
Rheinfalls ist vor wenigen Jahren an den Einwänden der ENHK gescheitert.
Schutzkommission ist kritisch
In
einem Gutachten bezeichnet die ENHK den Rheinfall als Wasserfall, «der
in Mitteleuropa einmalig ist». Bei Bauvorhaben sei die «ungeschmälerte
Erhaltung der attraktiven Fluss- und Kulturlandschaft» zu gewährleisten.
Die ENHK betont, dass sie der Produktion erneuerbarer und
klimaverträglicher Energien grundsätzlich positiv gegenübersteht.
Dennoch sei sie der Ansicht, dass nicht genutzte natürliche Gewässer
zumindest innerhalb von BLN-Objekten nicht durch zusätzliche
Wasserkraftanlagen beeinträchtigt werden sollen.
Grundsätzlich
sollten neue Projekte zur Erzeugung von erneuerbaren Energien
ausserhalb von Schutzgebieten, insbesondere auch von BLN-Gebieten,
realisiert werden. Eine allfällige Wasserentnahme dürfe die «Dynamik des
Falls nicht in einem Ausmass beeinträchtigen, dass die
Lebensraumqualität und der Erlebniswert geschmälert würden. Diese
Bedingung könne nur bei der «Entnahme einer gegenüber dem Abfluss klar
untergeordneten Wassermenge» erreicht werden. Was das genau heisst,
müssten im Falle eines Kraftwerksbaus «vertiefte Analysen und
Abflusssimulationen» durch Experten ergeben. Die Schaffhauser
entscheiden am 18. Mai letztlich auch darüber, ob am Ende Hydrologen
und Ingenieure bestimmen, wie viel Wasser noch den Rheinfall
hinunterrauscht. (Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 06.05.2014, 02:23 Uhr)
Rheinkraftwerke. Zum Vergrössern auf Grafik klicken.
Kraftwerk brächte Fische in Gefahr
Die Änderung des Schaffhauser Wasserwirtschaftsgesetzes bedroht
gemäss der Naturschutzorganisation Aqua Viva – Rheinaubund nebst dem
Rheinfall auch Laichgebiete der selten gewordenen Äsche. Ausserdem sehen
die Vertreter des Nein-Komitees die Schaffhauser Schaaren in Gefahr.
Das Naturschutzgebiet oberhalb des bestehenden Kraftwerks
Schaffhausen ist ein beliebtes Naherholungsgebiet, in dem auch Tiere wie
der Eisvogel noch anzutreffen sind. Wird die Staumauer des Kraftwerks
Schaffhausen erhöht – was erst durch die Gesetzesänderung möglich würde
–, stiege auf der 14 Kilometer langen Konzessionsstrecke der
Wasserspiegel. Das würde auch den Wasserhaushalt des Feuchtgebietes
beeinträchtigen.
Fische könnten nicht laichen
Gemäss Aqua Viva würde der angestrebte Höherstau zudem die
Ablagerung von Schwebstoffen fördern und die Flusssohle oberhalb der
Staumauer verdichten. Kieslaichende Fische wie die bedrohte Äsche seien
aber auf eine lockere Flusssohle angewiesen. «Die Äsche legt ihre Eier
in lockere Kiesböden, verdichtet sich die Flusssohle, können die Fische
keine Laichgruben mehr in den Flussboden schlagen», schreibt Aqua Viva.
«Die Sauerstoffzufuhr im Sediment wird durch die Verdichtung der
Flusssohle unterbunden, was zum Absterben der Eier und frisch
geschlüpften Larven führt», heisst es in einem Abstimmungsflugblatt des
Nein-Komitees.
Ein Diagramm zeigt, wie der Rhein vom Bodensee bis Basel durch eine
Kette von Kraftwerken gestaut wird und dass die Äsche nur noch auf vier
kurzen Abschnitten zu finden ist, auf denen der Rhein einigermassen
frei fliesst.