Analyse der ersten grossen Rede von Gauck
Quelle BILD:
Gauck tritt er ans Rednerpult und hält seine erste große Rede an die Deutschen.
Noch
vor den ersten Worten dreht sich Gauck zu Bundestagspräsident Norbert
Lammert (CDU) um und dankt ihm, dass er auch von der „Freude im Amt“
gesprochen hat.
► Dieser Präsident wird
kein steifer Präsident, der sein Manuskript stur durchzieht, sondern ein
wacher, munterer, heiterer Präsident.
Der
erste Satz von Gaucks Rede setzt das Thema: „Wie soll es nun aussehen,
dieses Land, zu dem unsere Kinder und Enkel `unser Land` sagen sollen?“
► Dieser Präsident brennt auf sein Amt, will über die ganz großen Themen reden, über Deutschland!
„Ängste
vermindern unseren Mut wie unser Selbstvertrauen manchmal so
entscheidend, dass wir beides ganz und gar verlieren können – bis wir
gar Feigheit für Tugend halten und Flucht für eine legitime Haltung im
politischen Raum.“
► Dieser Präsident will Mut machen, nicht
nur den Menschen, sondern er schreibt auch den Politikern ins Stammbuch:
Drückt euch nicht davor, unbequeme Dinge zu sagen und zu tun.
„Stattdessen will ich meine Erinnerung als Kraft nutzen, mich und uns zu lehren und zu motivieren.“
► Die Erinnerungen Gaucks werden in seiner Amtszeit immer wieder durchscheinen. An ihnen wird er Gegenwart und Zukunft erklären.
„Trotz
aller Irrwege, die sich mit dem Aufbegehren der 68er verbanden, hat sie
die historische Schuld ins kollektive Bewusstsein gerückt.“
► Gauck
würdigt die 68er-Generation, ohne sie zu idealisieren. Das freut seine
Unterstützer bei den Grünen, die Union kann mit dieser Wertung aber auch
gut leben.
„Das entschlossene Ja der
Westdeutschen zu Europa ist ein weiteres kostbares Gut der deutschen
Nachkriegsgeschichte. Konrad Adenauer, Kanzler des Landes, das eben noch
geprägt und dann ruiniert war vom Nationalismus, wird zu einem der
Gründungsväter einer zukunftsgerichteten europäischen Integration.“
► Gauck wird den Pro-Europa-Kurs fortsetzen. Der Verweis auf Adenauer ist ein klares Zeichen an die Union.
„Es
soll `unser Land` sein, weil 'unser Land‘ soziale Gerechtigkeit,
Teilhabe und Aufstiegschancen verbindet. Der Weg dazu ist nicht der
einer paternalistischen Fürsorgepolitik, sondern ein Sozialstaat, der
vorsorgt und ermächtigt.“
► Signal an SPD und Linke: Gauck steht zum
Sozialstaat und zu sozialer Gerechtigkeit. Aber er ist nicht für den
Versorgungsstaat. „Ermächtigung“ ist eines seiner Schlüsselwörter: Jeder
soll immer auch versuchen, selbst Kraft zu schöpfen.
„Wir
leben inzwischen in einem Staat, in dem neben die ganz
selbstverständliche deutschsprachige und christliche Tradition
Religionen wie der Islam treten, auch andere Sprachen, andere
Traditionen. (...) Wir wären allerdings schlecht beraten, wenn wir aus
Ignoranz oder falsch verstandener Korrektheit vor realen Problemen die
Augen verschließen würden.“
► Gauck
setzt die Bemühungen um Integration seines Vorgängers Christian Wulff
fort. Setzt aber eigene, deutlich kritischere Akzente.
„Nicht
nur bei uns, sondern auch in Europa und darüber hinaus ist die
repräsentative Demokratie das einzig geeignete System, Gruppeninteressen
und Gemeinwohl-Interessen auszugleichen.“
► Gauck ist ein überzeugter Demokrat, weil unsere Demokratie offen und lernfähig ist.
„Und
speziell zu den rechtsextremen Verächtern unserer Demokratie sagen wir
in aller Deutlichkeit: Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser
Land nicht im Stich. Wir schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr
werdet Vergangenheit sein und unsere Demokratie wird leben.“
► Klare Kampfansage an Nazis und Neonazis. Besonders lauter Applaus von den Antifa-Aktivisten der Linkspartei.
„Meine
Bitte an Regierende wie Regierte: Findet euch nicht ab mit dieser
zunehmenden Distanz. Für die politisch Handelnden heißt dies: Redet
offen und klar, dann kann verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen
werden.“
► Gauck will gegen Politikverdrossenheit kämpfen und scheut sich nicht, Politikern und Bürgern unbequeme Dinge zu sagen.
„Zuletzt
bitte ich Sie um Vertrauen in meine Person. Davor aber bitte ich Sie um
Vertrauen zu denen, die in unserem Land Verantwortung tragen, wie ich
diese um Vertrauen zu all den Bewohnern dieses wieder vereinigten und
erwachsen gewordenen Landes bitte. Und davor wiederum bitte ich Sie,
mutig und immer wieder damit zu beginnen, Vertrauen in sich selbst zu
setzen.“
► Dieser Präsident ist Pfarrer,
und man wird es immer wieder spüren, wenn er Menschen anspricht, wenn
er zu uns allen redet und bei allen Themen auch die Gefühle anspricht.
„Gott und den Menschen sei Dank: Dieses Erbe dürfen sie erwarten.“
► Dieser Präsident wird sein Christentum nicht verstecken, sondern offen, werbend leben.
KOMMENTAR: Die Rede war pastoral. Kommentatoren fanden zwar, Gauck habe geredet und fast nichts gesagt. Ich finde, Gauck hat es immerhin fertig gebracht, alle anzusprechen. Selbst die Linken, die ihn vor der Wahl nicht unterstützt hatten, schätzen die deutliche Positionierung gegen den Rechtsextremismus und das Einstehen für die soziale Gerechtigkeit. Selbst der umstrittene Vorgänger kam noch zu Ehren. Die Kernworte
MUT
SELBSTVERTRAUEN
stellte der ehemalige ostdeutsche Theologe in den Mittelpunkt.
Ich gehe davon aus, dass diese "Predigt" selbst geschrieben wurde. Gauck glückte jedenfalls mit dieser emotionalen Rede ein würdiger Einstand und er baute damit das Fundament zum Vertrauen, das beim Vorgänger leider verloren gegangen war.
Gauck hat die Medien, die Parteien und die Bevölkerung überzeugt.
Nachtrag ZEIT:
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Applaus von CSU bis Linke: Der neue Bundespräsident zeigt zur
Vereidigung, wie er unterschiedliche Menschen begeistern kann. Aber
auch, was er von ihnen erwartet.
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