Erstmals hat sich Bundesrat Johann Schneider-Ammann in einem
Interview zur Ausschaffungsinitiative der SVP geäussert.
Ob die Antworten des schriftlich geführten Interviews der «Berner
Zeitung» wirklich aus der Feder Schneider-Ammanns stammen, ist jedoch
fraglich. Ein Bericht der «Basler Zeitung» lässt den Schluss zu, dass
sie von Schneider-Ammanns PR-Abteilung beantwortet wurden.
Johann Schneider-Ammann im Stresstest
Schneider-Ammanns Aussagen im BZ-Interview
Bundesrat Johann Schneider-Ammann schliesst Probleme mit der EU
nicht aus, falls die Ausschaffungsinitiative der SVP angenommen werden
sollte. Das Problem sei die automatische Ausschaffung von ausländischen
Straftätern ohne Prüfung des Einzelfalls.
Zwischen der Initiative und dem Freizügigkeitsabkommen besteht
tatsächlich ein Widerspruch, sagte Bundesrat Johann Schneider-Ammann in
einem schriftlich geführten Interview mit der «Berner Zeitung», das am
Donnerstag erschien. «Wir können Probleme mit Brüssel daher nicht
ausschliessen.»
Trotzdem zeigte Schneider-Ammann Verständnis dafür, dass sich
economiesuisse nicht in einer Gegenkampagne engagiert: Der Verband müsse
«Prioritäten setzen» und könne nicht für alle Kampagnen Geld zur
Verfügung stellen. Schneider-Ammann war vor seiner Wahl in den Bundesrat
Vize-Präsident von economiesuisse. Das Fernbleiben von des
Dachverbandes der Wirtschaft im Abstimmungskampf wurde von den
bürgerlichen Parteien, welche sich für den Gegenvorschlag zur Initiative
einsetzen, kritisiert. Dazu sagte Schneider-Ammann: «Vertreter der
Wirtschaft melden sich sehr wohl zu Wort.» Gesellschaftspolitische
Fragen dürften der Wirtschaft nicht egal sein. (sda)
So zumindest wäre es gelaufen, wenn die «Basler Zeitung» auf ein
Angebot aus dem Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement (EVD)
eingestiegen wäre, vermutet die Zeitung. Gemäss Bericht habe sich das
EVD Anfang Woche auf die Suche nach einer Tageszeitung gemacht, welche
ein exklusives Interview mit Schneider-Ammann zur
Steuergerechtigkeitsinitiative führen sollte.
Dass
Bundesratsinterviews nicht immer auf Wunsch der Journalisten, sondern
auch dann zustande kommen, wenn Bundesräte gerne eine Botschaft
platzieren wollen, ist ein offenes Geheimnis. Besonders ist am
vorliegenden Fall aber, dass Schneider-Ammann die Kriterien für das
Interview diktieren wollte. Da der Departementschef zu beschäftigt für
ein Interviewtermin sei, müsse das Interview schriftlich geführt werden,
habe es aus dem EVD geheissen.
«Basler Zeitung» verzichtete auf Interview
Die
«Basler Zeitung» verzichtete auf das Angebot. «Wir wären bereit
gewesen, mit Schneider-Ammann ein mündliches Interview zu führen»,
erklärt der stellvertretende Chefredaktor Urs Buess auf Anfrage. Uns
leuchtete nicht ein, weshalb jemand Zeit haben sollte, ein Interview
schriftlich zu beantworten, wenn er keine 20 Minuten Zeit hat für ein
Treffen.
EVD-Informationschef Christophe Hans versteht die
Aufregung nicht. Schneider-Ammann habe Justizministerin Simonetta
Sommaruga und Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf zugesichert, sich
für die beiden Abstimmungen vom 28. November zu engagieren. Dies, weil
beide Vorlagen wirtschaftspolitische Aspekte beträfen und ihm wichtig
seien. «Da die Agenda stark belastet und die Zeit knapp ist und mehrere
Anfragen von Medien eingegangen waren, hat Bundesrat Johann
Schneider-Ammann entschieden, zwei schriftliche Interviews zu geben -
eines zur Ausschaffungs- und eines zur Steuergerechtigkeitsinitiative
und that's it», sagt Hans zu 20 Minuten Online.
Weiteres Interview noch diese Woche
Das
Interview zur Ausschaffungsinitiative hat die «Berner Zeitung»
publiziert. Wer das Interview zur Steuergerechtigkeitsinitiative drucken
wird, wollte Hans nicht sagen. Es werde aber noch in dieser Woche
erscheinen. Den Vorwurf, dass der FDP-Bundesrat im Abstimmungskampf im
Interesse der Wirtschaftsverbände handelt, wollte der
Departementssprecher nicht gelten lassen: «Bundesrat Schneider-Ammann
vertritt aus voller Überzeugung die Meinung des Bundesrats. Bundesräte
äussern sich im Vorfeld von Abstimmungen oft zu Vorlagen ihrer
Kollegen.»
Die Interviewpraxis Schneider-Ammanns löst in
zahlreichen Redaktionen Irritationen aus. David Sieber, Chefredaktor der
«Südostschweiz», sagt beispielsweise, es sei nichts Aussergewöhnliches,
wenn Bundesräte einer Zeitung ein Interview anböten. Wenn jemand aber
die Konditionen diktieren wolle, sei das sonderbar. «Wir stimmen
Interviews mit Bundesräten zu, wenn diese eine Botschaft verbreiten
wollen. Gleichzeitig müssen sie aber auch bereit sein, über Themen zu
sprechen, die wir setzen», so Sieber.
Schneider-Ammanns PR-Stelle
«Nie
und nimmer würden wir uns auf solche Bedingungen einlassen», sagt Iwan
Städler, Inlandchef des «Tages-Anzeigers», auf Anfrage. Damit würden die
Leser irregeführt.
«Denn jeder Journalist weiss genau, dass bei einem
schriftlichen Interview die Antworten nicht von Schneider-Ammann,
sondern von seiner PR-Stelle beantwortet und vom Bundesrat nur noch
abgenickt werden.» Zwar gebe es Situationen, in denen ein schriftliches
Interview unumgänglich sei, beispielsweise wenn sich ein Bundesrat gegen
schwere Vorwürfe verteidige, aber keine Zeit für ein mündliches
Gespräch finde. «Hier war das aber eindeutig nicht der Fall», sagt
Städler.
«Berner Zeitung» hatte keine Bedenken
Keine
Bedenken zum Abdrucken des Interviews mit Schneider-Ammann zur
Ausschaffungsinitiative hatte die «Berner Zeitung». Der zuständige
Redaktor sagt auf Anfrage, er habe ursprünglich ein Interview mit
Sommaruga führen wollen: «Weil diese aber erst kurz vor dem
Abstimmungstag Zeit gehabt hätte, bot Sommarugas Medienstelle als Ersatz
ein Interview mit dem EVD-Chef an.» Bei diesem seien im Übrigen auch
zwei, drei schriftliche Nachfragen möglich gewesen.
FAZIT: Dass sich ein Bundesrat von Experten beraten lässt, ist im Medienzeitalter eine Selbstverständlichkeit. Doch geht es bei Medienkommunikationsprozesse auch um die Wirkung der Kommunikations- Strategie. Bei Schneider Ammann wurde die Strategie im TAGI entlarvt. Ich bin sicher, dass ihm der Verzicht auf mündliche Interviews mehr geschadet hat, als wenn er - gut vorbereitet und professionell gebrieft- mündlich geantwortet hätte.