Redensarten sind Rosinen in der Mediensprache
Bewahren wir diesen Wortschatz
Wenn die Sprache s' Chalb macht
Mundart verstehen ist das eine – alte Redensarten zu begreifen, etwas ganz anderes.
Nehmen wir zur Erklärung die EU. Unnachgiebig fordert sie, dass unser Bundesrat dem Rahmenabkommen zustimmt. Weil sonst die bestehenden bilateralen Verträge nicht mehr aktualisiert würden. Doch die Schweizer und Chefverhandler Roberto Balzaretti werden nicht müde, zu beteuern, wie hart sie Gegensteuer gäben, um Brüssel doch noch ein paar Zugeständnisse abzuringen. Und kommen doch jedes Mal nur mit blutten Knien zurück.
Dem chalberet na de Mälchschtuel.
So hiess es landläufig, wenn einer sehr viel Glück hatte im Leben. Der Schweizer Bauernverband wäre deshalb sicher entzückt davon gewesen, hätte Federer damals die beiden in Gstaad gewonnenen Kühe Juliette und Désirée selber gemolken. Er wäre heute wohl der erfolgreichste Bauer der Nation.
Er isch nöd hinder em Haag füregschloffe.
Damit meinte man, jemand komme aus gutem, reichem Haus. Zum Glück ist diese Redensart heute nicht mehr verbreitet, man könnte sonst meinen, alle nicht reich Geborenen seien Einschleicher und quasi illegal da, bei Nacht und Nebel «hinder em Haag füregschloffe».
D Wält isch en eewige Höiet.
... tatsächlich chaotisch, ein Gheu. Aber die alte Redensart ist viel präziser und teilt die Welt in zwei Lager: «Di äinte mached Schöchli, und die andere verzettleds wider.»
Bisig schlüüfft na mängi Muus in en anders Loch.
Könnte auch ein Leitspruch für EU-Verhandlungen sein. Relativieren, beruhigen und abwarten.
S isch em wider en Röiff aab.
Während unsere Bäume mit den Jahren immer schöner werden und jedes Jahr einen Röiff zulegen, war es bei den Menschen in der Vor-Botox-Ära umgekehrt. Wie bei einem Holzfass: Wenn das Holz langsam austrocknet, fallen die Metallringe ab.
Mit diine Bäine rüer i na Nussen abe.
Hat da jemand besonders lange Beine? Ist nicht etwa als Kompliment für die langen Beine gemeint, sondern ein fieser Spruch. Heisst nämlich: Dich werde ich noch überleben, sogar mit deinen Gebeinen die Nüsse vom Baum runterholen.
Dä ghöört s nächscht Jaar de Gugger nüme rüeffe.
Wenn Sie dieses Sprichwort einen Alten im ländlichen Wirtshaus sagen hören, dann ist damit nicht gemeint, dass Ihr Nachbar bald auszieht, sondern dass er nicht mehr lange lebt. Um solche eventuell peinlichen Missverständnisse zu vermeiden, empfehlen wir eine präzisere alte Ausdrucksweise: «Er isst kä Hampfle Salz me.»
D Zää tüend em nüme wee.
Eigentlich wäre dies eine gute Botschaft. Wenn der Satz aber nicht vom Zahnarzt kommt, ist Vorsicht geboten. Diese Redewendung bedeutet nämlich: Der Betreffende ist gestorben.
Da isch d Hebamm au nüme gschuld.
Meint das natürliche Hinscheiden in hohem Alter. Heute wäre abzuklären, bis zu welchem Alter der Verstorbenen die Hebammen juristisch verantwortlich sind. Eine Aufgabe für Juristen: A: 100, B: 95 oder C: 90 Jahre? Wir brauchen ein neues Gesetz!
Dä rüert de Bängel hööch.
Kein Bluffsack, der zu viel will und grandios scheitert, sondern einer, der hohe Anforderungen stellt. Bängel heisst übrigens Stecken.
Er hät em s Mösch putzt.
Diese Redewendung führt einem aus heutiger Wahrnehmung eher ins Schlafzimmer. Tatsächlich hiess aber Mösch der Messingbeschlag am Pferdegeschirr. Was aber nicht heisst, dass derjenige, der jemandem das Mösch putzt, ein unterwürfiger Stallknecht ist. Im Gegenteil, er ist einer, der jemandem die Meinung sagt.
Er trait de Chopf über em Huet.
Eine wahrlich diplomatische Art, einen Hochmütigen zu bezeichnen. Apropos Hut: Dieser stünde manch Hochmütigem besser als eine gewagte Föhnfrisur.
Er hät Schpatze under em Huet.
Meint weder einen Idioten noch einen Zauberkünstler, sondern jemanden, der nicht den Anstand hat, zur Begrüssung den Hut zu ziehen, wie es früher zu einem höflichen Mann gehörte. Weil in Zürich die Spatzenpopulation seit Jahren dramatisch sinkt, hoffen die Ornithologen, der alte Brauch möge zurückkehren. Und die vielen jungen Hutträger, die sich in den letzten Jahren deutlich vermehrt haben, würden im nächsten Frühling vermehrt ihre Hüte ziehen und die Spatzen fliegen lassen.
Er schtellt de Chambe.
Meint den Gockel, der mit aufgestelltem Kamm von seinen Hühnern den ihm scheinbar gebührenden Respekt einfordert. Heute würde man einfach sagen: Er hängt wieder den Macho raus.
Sii verschniidt d Wääe.
Soziologisch interessant, zeigt die alte Redewendung, dass, wer für das leibliche Wohl zuständig war, im Haus das Sagen hatte und oft auch darüber hinaus. Heute teilt die emanzipierte Frau keine Wähe mehr, sondern sie hat die Hosen an.
Er laat sich nöd a de Zääne la töggele.
Wer da an den Zahnarzt denkt, der nach Karies sucht, liegt komplett falsch. Es ist auch kein Spruch unter Boxern, im Stil: Der wird mir schon nicht die Zähne ausschlagen! Gemeint ist schlicht ein Mann, vor dem man sich in Acht nehmen muss, weil er keinerlei Spass versteht. Hoffentlich nicht Ihr Zahnarzt.
Si sind i de sibete Suppe es Tünkli verwandt.
Das klingt nach Jeremias-Gotthelf-Zeit, nach Grossmutterspruch und wenig wissenschaftlich, zeugt aber in Wahrheit von tief verankertem altem Wissen. Erst vor kurzem hat die moderne Soziologie das sogenannte Kleine-Welt-Phänomen bewiesen: Jeder kennt jeden über genau 6,6 Ecken.
En Maa und en Hund chasch gwööne, aber e Frau und e Chatz nööd.
Einen Hund kann man zähmen, «der dressierte Mann» (Esther Vilar, Siebzigerjahre). Eine Frau nicht.
Es Chalb git na e Chue, aber en Esel bliibt en Esel.
Hier scheinen punkto Intelligenz tatsächlich Hopfen und Malz verloren zu sein.
(Tages-Anzeiger)