FDP-Nationalrat Filippo Leutenegger
will der Sozialdemokratin Corine Mauch das Stadtpräsidium abjagen. Ein
Streitgespräch über neue Jobs in Zürich, rote Zahlen – und wo die Beiden
am liebsten essen.(Quelle Tagi)
Streitgespräch: Corine Mauch und ihr Herausforderer Filippo Leutenegger.
Bild: Dominique Meienberg
Frau Mauch, Sie schreiben in einer Broschüre: Wenn Sie Gästen Zürich
zeigten, staunten diese über die Qualität und Vielfalt des kulturellen
Angebots. Welche Veranstaltung haben Sie privat als letzte besucht?
Corine Mauch:
Privates und Offizielles ist kaum mehr zu trennen. Letzte Woche
besuchte ich ein Konzert von Irène Schweizer am Jazzfestival Unerhört.
Und Sie, Herr Leutenegger?
Filippo Leutenegger: Ich besuche mit den Kindern sehr oft die Märlibühne, das Kunsthaus und die Filmfestivals in Zürich, Solothurn und Locarno.
Ihre Kontrahentin will das Literaturmuseum schliessen. Würden Sie das als Stadtpräsident auch tun, Herr Leutenegger?
Leutenegger: Ich habe nur darüber gelesen – und kritisiere Frau Mauch nicht für das, was sie macht.
Die «Süddeutsche Zeitung» spricht von einem Skandal. Und beide wollen Sie das Museum schliessen.
Leutenegger: Nein, ich nicht, ich bin ja noch nicht im Amt. Die Hintergründe zum Entscheid kenne ich zu wenig.
Frau
Mauch, für Jugendliche wollen Sie dort ein Schreiblabor einrichten. Ist
das ein richtungsweisender Schritt weg von der etablierten Kultur zur
Kultur für alle?
Mauch: Nein, das wäre eine falsche Interpretation. Im
Zusammenhang mit der Pensionierung des Leiters, der das Museum geprägt
hat, und seiner Assistentin haben wir den Literaturbereich überprüft.
Laut Kulturleitbild wollen wir die Vermittlungsarbeit verstärken und die
Zielgruppe der Jungen stärker berücksichtigen. Darum liessen wir das
Konzept des Jungen Literaturlabors ausarbeiten. Das Projekt finde ich
unglaublich spannend.
Es gibt aber Widerstand: 4000 Leute haben eine Petition unterschrieben.
Leutenegger: Mich hat dieser riesige Mais erstaunt. Da muss in der Kommunikation etwas schiefgelaufen sein.
Mauch:
Der Widerstand hat mich nicht erstaunt, im Gegenteil. Dass die
Angestellten nicht glücklich sind, dafür habe ich vollstes Verständnis.
Die 4000 Unterschriften zeigen ein lebendiges Interesse am Kulturleben.
Mich hätte mehr beunruhigt, wenn nichts passiert wäre.
Literaturausstellungen sollen in Zürich weiterhin stattfinden – an
verschiedenen Orten.
Was würden Sie als Kulturchef verändern, Herr Leutenegger?
Leutenegger: Kultur ist etwas Lebendiges, darum müssen wir priorisieren. Veränderungen sehe ich dabei dynamisch.
Dynamisch? Was meinen Sie damit?
Leutenegger: Das Theater Rigiblick ist mit viel Eigeninitiative
gewachsen und hat eine hohe Eigenfinanzierung. Darum sollte es mehr
Anerkennung erhalten. Wir müssen die Verhältnisse, wer wie viel erhält,
überprüfen. Heute werden solche Veränderungsprozesse zu wenig
thematisiert. Besitzstandswahrung ist der falsche Weg.
Mauch: Wir machen nicht auf Besitzstandswahrung. Früher
investierten wir stark in grosse Institutionen wie das Museum Rietberg,
das Kunsthaus und das Schauspielhaus. Nun setzten wir einen Schwerpunkt
bei kleineren Institutionen und haben in der Förderung der freien Szene
viel bewirkt.
Würden Sie als Kulturchef in der Kultur sparen, Herr Leutenegger?
Leutenegger: Nein, nicht die Kultur verursacht die
Finanzprobleme, sondern das grosse Ausgabenwachstum der Stadt. Und ich
rede auch da nicht vom Sparen, sondern davon, dieses Wachstum
runterzufahren. Auf die Kultur bezogen heisst das: kein
Subventionswachstum.
Sie wollen also Geld umlagern. Wem würden Sie etwas wegnehmen?
Leutenegger: Das kann ich nicht sagen, ich bin noch nicht Stadtpräsident. Ich will aber die Richtung aufzeigen.
Die Stadtpräsidentin gibt der Stadt ein Gesicht. Was glauben Sie, wie dieses ausschaut, Frau Mauch?
Mauch: Ich gebe Zürich ein Gesicht einer weltoffenen,
solidarischen Stadt. Einer Stadt, die sich nicht selber genügt, sondern
sich bewusst ist, Hauptstadt des Kantons und grösste Schweizer Stadt zu
sein, die elf Prozent des Bruttoinlandprodukts erwirtschaftet. Sie ist
sich auch bewusst, dass sie mit Partnern zusammenarbeiten muss. Ohne das
Umland wäre Zürich nicht die Stadt, die sie ist.
Stimmt das Bild von Frau Mauch für Sie, Herr Leutenegger?
Leutenegger: Nicht ganz. Zürich ist für mich das grösste Dorf der
Schweiz und die kleinste Weltstadt. Beide Seiten müssen wir
zusammenbringen. Offenheit braucht es auch gegenüber Unternehmen und dem
Finanzplatz. In Finanzplatzfragen dürfte sich die Stadt gegenüber dem
Bund durchaus auch lauter artikulieren. Sie macht das zu verschämt. Die
Stadt muss verlässlich sein – bei den Finanzen, bei der
Stadtentwicklung.
Frau Mauch, wo haben Sie sich in den letzten Wochen konkret für den Finanzplatz Zürich eingesetzt?
Mauch: In den letzten vier Wochen traf ich die Spitzen der ZKB,
der UBS, der CS sowie etwa 20 Vertreter verschiedener Banken. Was wir
den Finanzunternehmen in erster Linie bieten müssen, sind hervorragende
Infrastrukturen und Rahmenbedingungen. Vor allem für Mitarbeitende
internationaler Finanzdienstleister ist das extrem wichtig.
Mit tiefen Steuern zum Beispiel?
Mauch: Es braucht ein spannendes Kulturangebot, ein gutes
Bildungsangebot, verlässliche Infrastrukturen für ausserfamiliäre
Betreuung und eine hohe Sicherheit. Das sind die Faktoren.
Leutenegger:
Immer mehr grosse Firmen behalten zwar ihren Hauptsitz aus Imagegründen
in Zürich, die Arbeitsplätze lagern sie aber aus. Finanzinstitute
machen das, aber auch Firmen der Technologiebranche. Das hat
Auswirkungen auf die Steuern: Die Zahl der juristischen Personen steigt
zwar, die Steuereinnahmen hingegen kaum.
Mauch: Und wie lautet Ihre Lösung?
Leutenegger: Man muss den Firmen bessere Rahmenbedingungen geben, aber auch das Gefühl, willkommen zu sein.
Mit einem Essen im Muraltengut?
Leutenegger: Nein, nein. Der Stadtpräsident muss mit dem Stadtrat
eine Stimmung schaffen, damit Zürich wieder attraktiv wird für
wertschöpfungsintensive Unternehmen.
Mauch: Seit 2009 wurden in der Stadt Zürich 15'000 Arbeitsplätze geschaffen . . .
Leutenegger: . . . die Steuereinnahmen sind nicht gestiegen . . .
Mauch:
. . . 2008 hatten wir wegen der Finanzkrise 400 Millionen Franken
Steuerausfälle bei den Banken. Einen Teil davon konnten wir bei den
natürlichen Personen kompensieren, einen Teil im Versicherungsbereich,
der stark gewachsen ist. Und in der Internetbranche.
Leutenegger: Wir haben zwar mehr Arbeitsplätze, aber nicht mehr Steuern . . .
Mauch: . . . und trotzdem haben wir rekordhohe Steuereinnahmen.
Leutenegger: Ja,
wegen der natürlichen Personen. Das Problem ist, dass die Ausgaben
doppelt so schnell wachsen wie die Einwohnerzahl. Das führt zu den
Defiziten und irgendwann zu höheren Steuern. Die sind ein
Unsicherheitsfaktor für Ansiedlungen von Firmen.
Von Steuererhöhungen spricht aber niemand, nicht einmal die SP.
Leutenegger: Ich glaube nur die Hälfte von dem, was Frau Mauch
sagt. Ich möchte von ihr das Bekenntnis, dass sie sich die ganze nächste
Legislaturperiode gegen Steuererhöhungen wehrt. Gegen höhere Steuern
werde ich mich mit Händen und Füssen wehren.
Mauch:
Unter Druck in Zürich kommt das produzierende Gewerbe. Es wandert ab,
weil Grundstücke ausserhalb der Stadt günstiger sind. Dort setzen wir
an: Für dieses Gewerbe wollen wir Flächen sichern, damit wir auch
künftig eine durchmischte Stadt haben.
Leutenegger: Was nützt das, wenn das Gewerbe bei Zufahrten geplagt wird und die Stadt laufend Parkplätze abbaut?
Mauch: Wir haben in der Stadt einen historischen Verkehrskompromiss . . .
Leutenegger:
. . . ich meine nicht in der City, sondern ausserhalb. Und ich meine
auch die Schikanen mit Tempo 30. Die Stadt macht eine ideologische
Verkehrspolitik: Sie behindert den Individualverkehr und beschleunigt
dadurch nicht einmal den öffentlichen Verkehr. Gewerbler nerven sich.
Mauch:
Das ist kreuzfalsch. Oberstes Ziel unserer Verkehrspolitik ist, den
Verkehr flüssig zu halten. Der Raum ist aber begrenzt. Um möglichst
effizient zu sein, hat der ÖV erste Priorität.
Frau Mauch, die Stadt rutscht in tiefrote Zahlen. Wird es Ihnen nicht angst und bange?
Mauch: Die Situation ist ganz eindeutig schwieriger geworden. Wir
haben es aber geschafft, Eigenkapital zu halten. Das Budget, das wir
dem Gemeinderat vorlegen, schreibt bei Gesamteinnahmen von 8,2
Milliarden ein Defizit von über 200 Millionen Franken. Klar ist, dass
wir das Eigenkapital von einer halben Milliarde, die wir heute haben,
nicht aufbrauchen wollen. 2017 wollen wir wieder schwarze Zahlen
schreiben.
Sie sind also zuversichtlich?
Mauch: Wir sind gefordert und werden das packen. Panikmache
bringt nichts. Wir müssen die Gesamtsicht wahren und mittel- und
langfristig planen. Darum haben wir vor einem Jahr eine
Leistungsüberprüfung in Auftrag gegeben.
Wo wollen Sie genau sparen?
Mauch: Ein Beispiel: Beim Wettbewerb für das Schulhaus
Schauenberg haben wir Vorgaben gemacht: 10 Prozent weniger Kosten, 15
Prozent weniger Fläche. Lehrer- und Elternschaft müssen wir aber
überzeugen können, dass der Lernerfolg der Kinder damit gewährleistet
bleibt.
Herr Leutenegger, Sie werfen dem Stadtrat vor, er handle ruinös.
Leutenegger: Die Stadt hat 2,5 Milliarden Franken
Steuereinnahmen. Wir budgetieren über zehn Steuerprozente Defizit, das
hausgemacht ist. Wir leben massiv über den Verhältnissen. Die Stadt hält
die Stellenplafonierung nicht ein. Für 2014 sind 350 neue Stellen
geplant – bei 230 Millionen Franken Defizit. Das ist keine seriöse
Politik. Zwei Monate vor den Wahlen gibt der Stadtrat nicht einmal die
Ergebnisse der Leistungsüberprüfung bekannt.
Mauch: Der Finanzvorstand hat das im September bei der Vorstellung des Budgets veröffentlicht . . .
Leutenegger: . . . aber nicht die konkreten Resultate . . .
Mauch: . . . aber selbstverständlich. Die arbeiten wir nun ja bereits aus.
Wo würden Sie als Stadtpräsident sparen?
Leutenegger: Für mich sind die 350 neuen Stellen nicht
nachvollziehbar. Das Problem könnte man über die natürliche Fluktuation
lösen. Es braucht eine Schuldenbremse und einen Abbau der Defizite.
Zum Schluss drei kurze Fragen: Braucht es einen Mindestlohn, und wie hoch muss er allenfalls sein?
Mauch: 4000 Franken. Wer 100 Prozent arbeitet, muss davon leben können. Andernfalls werden Leute in die Sozialhilfe abgedrängt.
Leutenegger: Ein Mindestlohn nützt Betroffenen mit tiefen Löhnen nicht, sondern vernichtet Arbeitsplätze.
In welches Restaurant laden Sie Ihre Partnerinnen ein?
Leutenegger: Am Dienstag habe ich meine Frau ins «Stadelhöfli» eingeladen.
Mauch: Am liebsten lade ich sie daheim zu Spaghetti ein. Da ich so viel unterwegs bin, ist das ein Highlight.
Was muss ein Tourist in Zürich unbedingt sehen?
Leutenegger: Den geschichtsträchtigen Lindenhof und New Oerlikon.
Mauch: Die Vielfältigkeit Zürichs: den See im Zentrum, aber auch die dynamische Entwicklung in Zürich-West.
(Tages-Anzeiger)