Dienstag, 19. Januar 2010

So täuschte das Fernsehen das Publikum

Aus 20 min:

Das Rätsel um den doppelten Prêtre

Als das Schweizer TV-Publikum vorletzten Samstag René Prêtre zum Schweizer des Jahres wählte, weilte dieser in Mosambik. Kein Problem – dachten wohl die meisten, für sowas gibt es ja modernste Technik. Die Sache liegt aber anders. Und: Warum stand ein People-Magazin in Mosambik bereit, als der Herzchirurg von der Nachricht «überrascht» wurde?

Nichts war live: Videobotschaft von Herzchirurg René Prêtre nach dem Gewinn des Swiss Award als Schweizer des Jahres im Zürcher Hallenstadion.
(Bild: Keystone)
Info-Box
Der beliebteste Arzt der Schweiz ist noch zu haben Mit komplizierten Herzoperationen rettet René Prêtre kleinen Kindern das Leben. Sein Herz hat der Star-Chirurg derzeit nicht verschenkt – er ist Single. René Prêtre hat alles, was einen Mann sexy macht: Er rettet Leben, sieht blendend aus und ist äusserst erfolgreich im Job – genau wie die Filmstars in den Krankenhausserien. Und aufgepasst, liebe Frauen, nun kommt aus: Prêtre ist Single! «Es stimmt, ich habe momentan keine Beziehung», bestätigt er auf Anfrage von «Sonntag» am Telefon. Doch Prêtre gibt sich bescheiden: «Über mein Privatleben möchte ich lieber nicht reden.» Eins ist klar: Eine Beziehung mit dem smarten Arzt ist für keine Frau einfach, denn René Prêtre ist als leidenschaftlicher Chirurg, der sich international engagiert, im Dauereinsatz. Seit acht Jahren ist er Chefarzt der Herz-Chirurgie am Zürcher Kinderspital (Kispi) und Professor an der Universität Zürich. Gut möglich, dass darum die Ehe mit Gabriela – auch sie Ärztin – in die Brüche ging. Trotzdem feierten die beiden die letzten Weihnachten mit ihren Töchtern Tatiana und Camille. «Wir sind gute Freunde geblieben», so Prêtre, der in seinen Ferien in den vergangen Wochen herzkranke Kinder in Moçambique operierte. Morgen landet er in Zürich, und am Kinderspital gibts einen grossen Empfang für den Publikumsliebling. René Prêtre: «Seit dem letzten Samstag habe ich mehr als 300 SMS und über 400 Email erhalten. Das ist unglaublich. Ich bin ja gespannt was mich in der Schweiz noch alles erwartet.»

Herzchirurg René Prêtre wurde zum Schweizer des Jahres gewählt. Jubel im Saal, doch war Prêtre zum damaligen Zeitpunkt in Mosambik. Dann die Moderatorin: «Wir haben ihm aber die frohe Botschaft überreichen können und wir schalten jetzt nochmal nach Maputo, nach Mosambik, zu ihm», so Sandra Studer. Sekunden später war auf der Grossleinwand im Studio ein freudig überrascht wirkender Prêtre in Arbeitskleidung zu sehen: «Wow, das ist einfach unglaublich, so eine Anerkennung!» Was SF nicht transparent machte, erklärt jetzt der «SonntagsBlick»: Prêtres Statement war Tage zuvor aufgezeichnet worden – für den Fall, dass er gewinnen würde. Sven Sarbach, SF-Redaktionsleiter Events, räumt ein: «Der Satz der Moderatorin wurde in der Hitze des Gefechts nicht ganz korrekt formuliert; sie hätte sagen sollen: 'Für diesen Fall haben wir eine Videobotschaft erhalten.'» Die Botschaft des Arztes aus Mosambik –

die der Rhetoriktrainer Marcus Knill in seinem Blog als spontan, verständlich auf dem Punkt und «hundertprozentig mediengerecht» lobt

– ist also vorproduziert gewesen: «Es sollte auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass das eine echte Live-Verbindung war,» so Sarbach weiter.

Just dieser Eindruck entstand aber, wie die Berichterstattung belegt: Sogar SF selber sprach auf seiner Website von einer «Videoschaltung nach Moçambique», schreibt die «SonntagsZeitung». Und die Täuschung dürfte die Wahl entscheidend beeinflusst haben. Denn René Prêtre, der gemäss Insidern seit Monaten Wahlkampf betrieb, konnte sich schon bei ­einer vermeintlichen Liveschaltung bedanken, als er zuvor einen Swiss Award gewann: «Der Arzt, über knuddelige afrikanische Kleinkinder gebeugt, musste der Nation an Herz und Nieren gehen», schrieb der «Bund».

War alles schon vor dem Voting entschieden? Fragen über Fragen. Klar ist aber: Vielen Zuschauern kam die Sache spanisch vor. Eine weitere Geschichte verwirrt ebenfalls: Weshalb standen die Journalisten im fernen Afrika bereit, als die Wahl aus 18 Nominierten auf Prêtre fiel? Die «Schweizer Illustrierte» gibt gegenüber der «SonntagsZeitung» zu, dass sie sich die künstlerische Freiheit nahm, also von Zürich aus die romantische Szene beschrieb und ein doppelseitiges Jubelfoto abdruckte, das von einem Teammitglied stammen soll.

Publikumsrat schaltet sich ein

«Wenn der Eindruck entstand, das sei live, finde ich das sehr ­bedenklich», sagt Manfred Pfiffner, der Präsident des Publikumsrates, zur «SonntagsZeitung». Sein Gremium habe die Swiss Awards nicht auf dem Radar. «Aber ich werde sie an der nächsten Sitzung zur Sprache bringen.»

(kub)

Auch im Tagi und in der Sonntagspresse wurde ich so zitiert.

Präzisierung:

Der erste Journalist zitierte mich aus meinem Blog und riss einen Satz heraus und vermischte meine positive Beurteilung mit der Täuschung. Alle anderen Medien übernahmen diese Formulierung.

Meine Beurteilung über die rhetorische Leistung des neu erkorenen "Schweizer des Jahres" anlässlich der Verdankung des Preises wurde in verschiedenen Zeitungen übernommen. Obschon sich mein Lob nur auf den rhetorischen Auftritt bezogen hatte, stellte ich heute in einigen Reaktionen (Mail und Tf) fest, dass es viele Leser gab, die davon ausgegangen sind, dass ich bei meiner Beurteilung vom fragwürdige Vorgehen des Schweizer Fernsehens Kenntnis gehabt und auch das Falschspiel des Fernsehens akzeptiert habe. Dies war aber nicht der Fall.

Es liegt mir deshalb daran, nochmals mit aller Deutlichkeit zu unterstreichen, dass sich mein Lob lediglich auf die kurzen, emotionalen, überzeugenden persönlichen Gedanken des Chirurgen bezogen hatte. Dazu sehe ich heute noch. Als ich die Analyse geschrieben hatte, wusste ich noch nichts von der Vorspiegelung falscher Tatsachen. Ich ging davon aus, dass das Fernsehen die Liveschaltungen vorher minutiös vorbereitet hatte. Wenn jedoch eine Sequenz so präsentiert wurde, als sei sie spontan, finde ich dies nicht nur äusserst unprofessionell. Dies ist und bleibt ein gravierender journalistischer Fehler. Uebrigens: Auch vorbereitet, hatte der neue Schweizer des Jahres aus dem Herzen gesprochen. Er nahm in glaubwürdiger Bescheidenheit die Auszeichnung im Namen aller anderen Helfer entgegen. Alles: Körpersprache, Emotionen, Stimme und Inhalte der Aussage stimmten völlig überein. Sie waren so oder so glaubwürdig! Die journalistische Fehlleistung darf nicht mit der rhetorischen Leistung des Herzchirurgen vermischt werden. Der Fehler im Studio wird bestimmt noch Einiges zu reden geben und die Macher werden aus dieser Panne hoffentlich etwas lernen.

Aus dem Medienspiegel:

Beispiel PERSOENLICH.COM:

SF
Trickserei beim "Swiss Award"
Publikumsrat wird sich mit Sendung beschäftigen.

Stand der "Schweizer des Jahres" schon fest, bevor ihn das Volk per Televoting bestimmte? Diese Frage wirft die "SonntagsZeitung" auf. In der Sendung "Swiss Award" verkündete Moderatorin Sandra Studer vor einer Woche den Überraschungssieger, den Zürcher Herzchirurgen René Prêtre, und sagte kurz darauf: "Wir schalten nochmals nach Maputo." Auf dem Bildschirm sahen die Zuschauer dann den Arzt, der jeweils zwei Wochen im Jahr in der Hauptstadt von Mozambique Kinder mit Herzproblemen operiert, in voller Montur der Arzt: "Wow - einfach unglaublich, so eine Anerkennung."

Ganz anders las sich die Szene gemäss der "SonntagsZeitung" in der "Schweizer Illustrierten", die das Patronat über den Anlass hat: "Als der Fisch serviert wird draussen am Strand, rauscht das Meer, die Luft flirrt bei 29 Grad, reicht Barbara, eine Krankenschwester, ihr iPhone über den Tisch und sagt: ‹Hey René, du bist Schweizer des Jahres!" Die "Schweizer Illustrierte" gibt zu, dass sie sich die künstlerische Freiheit nahm und die romantische Szene von Zürich aus beschrieb. Daneben druckte sie ein doppelseitiges Jubelfoto, das von einem Teammitglied stammen soll.

Und das Schweizer Fernsehen räumt ein, die Botschaft des Arztes aus Mozambique, die der Rhetoriktrainer Marcus Knill in seinem Blog als spontan, verständlich auf dem Punkt und "hundertprozentig mediengerecht" lobt, sei vorproduziert gewesen: "Es sollte auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass das eine echte Live-Verbindung war". Just dieser Eindruck sei aber entstanden, schreibt die "SonntagsZeitung" weiter. Sogar SF selber sprach auf seiner Website von einer "Videoschaltung nach Mozambique". Und die Täuschung dürfte die Wahl entscheidend beeinflusst haben. Denn Prêtre, der gemäss Insidern seit Monaten Wahlkampf betrieb, konnte sich schon bei einer vermeintlichen Liveschaltung bedanken, als er zuvor einen Swiss Award gewann: "Der Arzt, über knuddelige afrikanische Kleinkinder gebeugt, musste der Nation an Herz und Nieren gehen", schrieb der "Bund".

Nun wird sich der Publikumsrat mit der Sendung beschäftigen. "Wenn der Eindruck entstand, das sei live, finde ich das sehr bedenklich", sagt Manfred Pfiffner, der Präsident des Publikumsrates, zur "SonntagsZeitung". Sein Gremium habe die Swiss Awards nicht auf dem Radar. "Aber ich werde sie an der nächsten Sitzung zur Sprache bringen."