Schuster bleib bei deinem Leisten
Ob sich Leutenegger bei Giaccobbo mit seinem Auftritt lächerlich gemacht hat, entscheidet das Publikum und nicht der Experte. Die Meinung der befragten Zuschauer (nach meiner Umfrage) ist eindeutig: Leutenegger hat sich lächerlich gemacht, nicht nur beim Singen.
Ich zitiere 20 Min:
Bei
«Giacobbo/Müller» gab FDP-Nationalrat Filippo Leutenegger den
Gassenhauer «O sole mio» zum Besten. Sein Gesang entzückt
«MusicStar»-Jurorin Noëmi Nadelmann.
Als Gast bei «Giacobbo/Müller» wartete Leutenegger mit einer
dicken Überraschung auf: Begleitet von Trompetenklängen von Frölein Da
Capo schmetterte der FDP-Nationalrat mit inbrünstiger Stimme den
italienischen Klassiker «O sole mio». Giacobbo war sichtlich angetan vom
Gesangstalent seines Gastes: «Du hast wunderbar gesungen.» Gegenüber 20
Minuten zeigt sich auch Opernsängerin Noëmi Nadelmann begeistert: «Der
Auftritt hat mich positiv überrascht. Der erste Ton war noch etwas zu
tief, danach ist er immer besser in Fahrt gekommen. Dieser Mann hat eine
Stimme!», so die «MusicStar»-Jurorin. «Ich würde 8 von 10 Punkten
geben.»
Nüchterner ist Politologe Georg Lutz:
«Er wollte sich volksnah
geben. Ich glaube aber nicht, dass dies sein Wahlresultat verbessern
wird.» Immerhin befinde sich Leutenegger in guter Gesellschaft: «Auch so
‹grosse› Staatsmänner wie Berlusconi und Putin haben schon am TV
gesungen.»
Kein Gefallen am Auftritt des Ex-«Arena»-Moderators findet
hingegen Kommunikations-Experte Marcus Knill:
«Ich weiss nicht, weshalb er sich als
Medienprofi bei Giacobbo so lächerlich macht. Das war schlicht
unbegreiflich.»
Leutenegger selbst sagt, er habe viele positive Reaktionen bekommen:
«Ich wollte mich sicher nicht bei Wählern anbiedern, sondern meine
Lebensfreude ausdrücken.»
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Wenn das Selbstdarstellungsbedürfnis Medienprofis zu fragwürdigen Auftritten treibt
Es gibt genügend Beispiele von Promis und Politiker, die unter dem Virus Mediengeilheit keine Grenze mehr ziehen zwischen Privatheit und Oeffentlichkeit.
Die Verlockung ist für viele zu gross, wenn die Boulevardmedien das Privatleben ausleuchten wollen. Vielen fällt es dann schwer, NEIN zu sagen. Ich habe Sportler und Fernsehjournalisten kennen gelernt, die sich bei der Illustrierten und Magazinen recht unbeliebt gemacht haben, weil sie zwischen Job und Privatleben einen klaren Trennungsstrich gezogen haben. Als Berater hatte ich Einblick in Briefe von Redaktionen die den Verweigerern von Homestorys unter Druck gebracht haben- sogar mit Drohungen. "Wenn Sie nicht willig sind, dann.....". Doch jene Profis, die gelernt hatten, Privates nicht ins Schaufenster zu stellen sind dank ihrer Standfestigkeit langfristig sehr gut gefahren. Es lohnt sich deshalb, den Verlockungen der Regenbogenpresse zu widerstehen, obwohl Politiker und Prominente auf Publizität angewiesen sind.
Ich kenne die Versuchungen der Medienpräsenz und das Phänomen: "Nur wenn ich in den Medien komme, bin ich jemand". Kurt Felix sagte sogar einmal treffend: "Früher wollten die Leute in den Himmel, heute ins Fernsehen." Kamerateams im Bundeshaus bestätigen mir, dass es immer wieder Politiker gibt, die sich bewusst hinter der Kamera positionieren, nur damit sie am Bildschirm gesehen werden. Mediensüchtige Politiker, die vom Fernsehen geschnitten werden, spüren gleichsam Phantomschmerzen, so wie ein Körper, dem ein Bein amputiert worden ist.
Es gibt eine ganze Reihe von Persönlichkeiten, die so stark vom Virus "Mediengeilheit" befallen sind, dass sie zu allem bereit sind, nur um den Kopf im Bildschirm zeigen zu können (Wir sehen sie dann mitunter an in einer Medizinsendung , wo sie ihre Kampfadern zeigen dürfen. Hauptsache ist: Man sieht die Person im Fernsehen).
Beispielsweise war für mich unbegreiflich , dass sich die Medienprofis Katia Stauber und Florian Inhauser in der "Schweizer "Illustrierten" Nr. 49 / 2010 bereit erklärt hatten, eine höchst private Angelegenheit - eine Krankengeschichte mit persönlichen Details publizieren zu lassen.
Für mich ist so etwas unverständlich.
Auch der Auftritt von Filippo Leutenegger bei Giaccobbo und Müller (am 12. Dezember) ist mir unbegreiflich. Wenn sich ein so erfahrener Politiker und Medienprofi dazu hinreissen lässt, vor dem Publikum "O Sole Mio" zu singen, so ist dies nicht mutig, sondern höchstens peinlich. Leutenegger wusste ganz genau, auf was er sich einlässt. Er kannte das Konzept der Kollegen bestens und wusste, dass man in diesem Sendegefäss keine ernsthaft Diskussion führen kann und sich auf Glatteis bewegt. Sicherlich hat sich Medienprofi Leutenegger vor dem Auftritt etwas dabei überlegt.
Beispielsweise:
Ich kann mich bei dieser Unterhaltungssendung beliebt machen!
Medienauftritte sind immer eine Chance!
Die Mutprobe "Ein Lied zu singen" könnte mir politisch nützen und mir zusätzliche Stimmen bringen!
Mein Bekanntheitsgrad steigt - auch wenn ich versage!
Wenn ich eine Minute lang singe, so können mich Giaccobbo oder Müller während dieser Zeit nicht "in die Pfanne hauen"!
usw.
Solche Auftritte von Politikeren (z.B. von Calmy-Rey, Belusconi und Putin, die sich alle als Sänger exponiert hatten) stelle ich grundsätzlich in Frage.
Wenn Filippo Leutenegger im privatem Rahmen an einem Party, in einer famliliären Runde oder in der Badewanne "O Solo Mio" singt, so ist nichts einzuwenden. Aber nicht vor einem Millionenpublikum.
Es sind nicht Experten, die zu beurteilen haben, ob so ein Auftritt peinlich ist. Ausschlaggebend ist das Urteil des Publikums. Meine Umfragen beim Auftritt Filippo Leuteneggers kam beim grössten Teil der Zuschauer und Journalisten - die ich kontaktiert habe - schlecht weg:
Leutenegger habe einige Töne nicht richtig intoniert, d.h. Es habe oft falsch geklungen. Gestört hat viele die gepresste Stimme. Fazit: Wenn ein Politiker das Unprofessionelle zelebriere, so schade er sich selbst und seinem Ruf.
Der Spruch "Schuster bleib bei deinem Leisten" gilt auch für Medienprofis.
Den Zuschauern ist sogar aufgefallen, dass Filippo Leutenegger immer wieder mit der linken Hand in die linke Jackentasche gegriffen hatte, so, als suche er etwas.
Ich habe mir den Auftritt nochmals visioniert. Tatsächlich griff Leutenegger 17 Mal in seine linke Jackentasche - ohne Grund. Es sah so aus, als suche er etwas Wichtiges, das er am Schluss den Gesprächspartnern überreichen möchte. Das war aber nicht der Fall. Aus meiner Sicht war die Griffmarotte ein pures Verlegenheitsverhalten bei heiklen Fragen. Dieses Detail und die Fingersprache machten mir bewusst, dass das Duo Giaccobbo/Müller den ehemaligen Dompteur in der ARENA destabilisieren konnte.
FAZIT:
Prominente Persönlichkeiten sind gut beraten, wenn sie ihre Privatsphäre von der öffentlichen Neugier schützen.
Wer sich den Privatbereich der Klatschpresse preisgibt, hat es zwar am Anfang einfacher. Die Geschichten werden geschätzt. Doch langfristig ist das "mediengeile" Verhalten kontraproduktiv. Man kann später nicht mehr zurück.
Was können wir daraus lernen?
Wir haben es selbst in der Hand, die Trennungslinie zwischen Privatheit und Oeffentlichkeit zu ziehen. Viele Medienopfer sind selbstverschuldet Opfer geworden, weil sie "das Nein sagen" nicht gelernt haben.
Jede Person kann selbst entscheiden, wie weit Sie gehen möchte mit dem Offenlegen Ihrer Privatsphäre in den Medien.
Aus meiner Erfahrung hat sich Zurückhaltung immer bewährt.
Beim Preisgeben privater Informationen ist es, wie beim Ausdrücken einer Zahnpastatube: Es ist einfach, die Tube auszupressen. Doch ist es nachher kaum mehr möglich, den ausgedrückten Inhalt in die Tube zurückzubringen.