Donnerstag, 30. August 2007

Micheline Calmy-Reys Schelte:

Ausrutscher oder notwendiger Klartext?

Die Abstimmungskampagne der SVP rief die Bundespräsidentin auf den Plan. Erneut zeigte sie ihre Zähne. Einmal mehr nicht beim Lachen! Nachdem sie jüngst erfolgreich Ihre Rede an der Frauenrütliveranstaltung durchgeboxt hatte, griff sie heute in unüblicher Weise als Bundespräsidentin und SP Parteimitglied persönlich in den Wahlkampf ein und verurteilte (gemäss Rendez-vous - DRS 1 vom 30. Aug) die Plakataktion der SVP mit scharfen Worten.

Die Kampagne mit den weissen Schäfchen und dem schwarzen Schaf, das ausgestossen wird, sei abstossend und unverantwortlich! Sie fühle sich angeekelt von dieser Darstellung! Sie verabscheue, wenn Menschen isoliert werden, statt sie zu vereinen. Die Kampagne der SVP stachle die Leute an - zu Hass und Rassismus. Dies sei unverantwortlich! Diese harten Worte einer Magistratin gegen die SVP waren aussergewöhnlich und erstaunlich. Als Bundespräsidentin rief sie sogar die Bevölkerung auf, sich gegen diese Kampagne zur Wehr zu setzen. Sie gebe zwar zu, dass es Probleme gebe - bezüglich "Ausländerkriminalität". Die SVP wähle jedoch den falschen Weg, um diese Probleme zu lösen.

Auf der Parteizentrale der Schweizerischen Volkspartei löste die Attacke der Bundespräsidentin Kopfschütteln aus.

Generalsekretär Gregor Utz:

"Ich finde, dass es nicht Aufgabe des Bundesrates ist, Abstimmungs- und Wahlkampagnen zu beurteilen. Ich bin sehr erstaunt darüber. Ich halte diese Aeusserungen für einen Ausrutscher." Er sagte dann zum Plakat: "Jeder kennt das Sprichwort vom schwarzen Schaf. Das kennt jedes Kind. Jeder weiss, was mit dem schwarzen Schaf gemeint ist. Das ist derjenige, der die Regeln nicht akzeptiert." In diesem Sinne habe die SVP nichts gegen die Ausländer, die friedlich in der Schweiz leben und arbeiten, "Aber jene Leute, die nur Schwierigkeiten bereiten - gegenüber diesen Leuten ist jegliche Toleranz fehl am Platz."

Calmy-Rey kritisierte übrigens schon einmal die SVP-Ausschaffungsinitiative mit scharfen Worten. Sie sei das Letzte, was die Schweiz brauche, sagte sie vor Tagen an der Delegiertenversammlung der SP in Olten. Mit der Drohung, Störefriede aus dem Land zu werfen, könne Kriminalität nicht verhindert werden. Dass die Kriminalitätsrate bei ausländischen Jugendlichen überproportional hoch sei, liege nicht an deren Herkunft. Es brauche Integration, und Integration heisse Chancengleichheit. Und diese müsse gefördert werden. Diese pointierten Worte fielen aber an einer Parteiversammlung.

Die Rüge im Westschweizer Radio war jedoch eine offizielle Aussage als Bundespräsidentin an die Oeffentlichkeit und hatte damit ein anderes Gewicht.

Kommentar: Das ungewöhnliche Eingreifen der SP Bundespräsidentin in den Wahlkampf gegen eine Konkurrenzpartei ist aus meiner Sicht mehr als ungeschickt, wird möglicherweise sogar kontraproduktiv sein. Ich bin überzeugt, dass ein grosser Teil der Bevölkerung nicht einverstanden ist, wenn Mehrfachtäter und uneinsichtige Kriminelle mit enormem Aufwand und Kosten jahrelang therapiert (integriert) werden. Ich kann mir sogar gut vorstellen, dass die Initiative eine Chance hat, angenommen zu werden. Vielleicht ist damit die Nervosität auf der SP Seite zu erklären. Wer nämlich den Text der Initiative genau liest, erkennt, dass mit dem schwarzen Schaf keine "Schwarzen" gemeint sind, sondern lediglich jene betroffen sich, die sich nicht integrieren lassen wollen, die uneinsichtig beliben und immer wieder straffällig werden. Nur jene würden als "schwarze Schafe" ausgeschafft, die sich nicht an unserer Spielregeln halten wollen. Auch im Sport gibt es bekanntlich Spielregeln. Wer sich nicht an diese Regeln hält, muss auch hier mit einem Ausschluss oder einem Wettkampfverbot rechnen. Die Nachsicht und Grosszügigkeit bei Uebertretungen hat Grenzen. Obwohl die Bundespräsidentin eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung geniesst, zweifle ich daran, dass sie die Stimmberechtigten mit ihrem unbeherrschten Angriff überzeugen konnte. Auch ich zähle die emotional überladene Schelte Calmy- Reys gegen die Kampagne der Konkurrenzpartei als bedauerlichen Patzer. Die Glaubwürdigkeit der populären Bundesrätin hat sehr wahrscheinlich mit ihrer unüblichen Schelte gelitten. Ich gehe davon aus, dass die Magistratin vor diesem Medienauftritt schlecht beraten worden war. Als Chefin der Diplomaten war der Ton und das "Wie" der Rüge alles andere als diplomatisch. Schade!

Nachlese:

Micheline Calmy-Reys Hofnärrin müsste sie heute darauf aufmerksam machen, dass man nach Erfolgen nicht übermütig werden darf. Wer hochgejubelt wird, kann unverhofft das Mass verlieren. Wir erinnern uns: Ruth Metzler und Anita Fetz stiegen auch von Erfolg zu Erfolg. Plötzlich befanden sie sich wie in einem Höhenrausch und wurden blind. Der Erfolg stieg ihnen gleichsam in den Kopf. Sie glaubten im Rausch des Erfolges: "Mir kann nichts mehr passieren!" Die Folgen waren jedoch fatal. Micheline Calmy-Rey muss somit aufpassen, dass sie nicht plötzlich in ein noch gravierender Fettnäpfchen tritt und dann der Fehler folgenschwer sein kann.

Entführungen lohnen sich doch!

Nach wochenlangem Nervenkrieg haben die radikal-islamischen Taliban zwölf ihrer 19 Geiseln aus Südkorea freigelassen.

Ein Taliban-Sprecher sagte, die sieben weiterhin festgehaltenen Südkoreaner würden bis Donnerstag auch frei gelassen. Den Forderungen der Entführer mussten einmal mehr weitgehend entsprochen werden. Bei den Verhandlungen ist es üblich, dass Lösegelder bezahlt werden. Es gibt in diesem Fall Gerüchte, dass bis zu 50 000 Euro Lösegelder pro Person bezahlt wurden. Die Freilassung der Koreaner ändert nach Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel jedoch nichts am Umgang der Bundesregierung mit der Entführung deutscher Staatsbürger und den Bemühungen, um den in Afghanistan verschleppten Ingenieur Rudolf B. ebenfalls freizubekommen. Auch Deutschland wird somit nichts anderes übrig bleiben, als zu zahlen.

Bei den Verhandlungen um die Freilassung der christlichen Aufbauhelfer verpflichtete sich sich die Regierung in Seoul im Gegenzug, die Missionstätigkeit ihrer Kirchen in Afghanistan einzustellen und ihre Soldaten - wie ohnehin geplant - zum Jahresende abzuziehen. Die Taliban sind im Grunde genommen die Nutzniesser auch bei dieser Geiselnahme. Sie erschossen zu Beginn der Geiselnahme den Leiter der Gruppe und einen weiteren Mann. Später liessen sie zwei kranke Frauen frei, was sie als Geste des guten Willens bezeichneten. Man muss Ihnen noch dankbar sein. Die Erschiessungen werden keine juristischen Folgen haben. Im Gegenteil: Dank der harten Linie haben die Bittsteller in den meisten Punkten nachgegeben. Es darf damit gerechnet werden, dass die Ablösesummen auch nach oben angepasst werden mussten.

Auch Angela Merkel wird die deutsche Geisel los kaufen müssen, damit die Regierung das Gesicht nach Aussen wahren kann. Ein zweiter Tote kann sie sich nicht leisten.

Einen Tag vor den Koreanern waren zwei Deutsche in Afghanistan entführt worden, von denen einer ermordet wurde. Kanzlerin Merkel sagte in Tokio in gewohnter Airbagrhetorikmanier:

"Die Bundesregierung ist natürlich BEMUEHT darum, die Geisel, die wir in Afghanistan haben, freizubekommen", und fügte hinzu, es werde ALLES MOEGLICHE getan. "Der Krisenstab ist voll engagiert."

Kommentar: Die Aussage - "Wir bemühen uns"- heisst meist nichts anderes, als wir sprechen die Höhe der Lösesumme ab. Die Regierung weiss genau: Wir müssen einen Erfolg vorweisen können. Ueber die Eingeständnisse erfährt bekanntlich bei den geheimen Verhandlungen niemand etwas. Die Regierung kann aber nach der Bezahlung den gewünschten Verhandlungserfolg vorweisen. Das "Nachgeben" bei Entführungen , wie auch bei Erpressungen haben jedoch einen gravierenden Nachteil. Man legt gleichsam den Nährboden für neue Entführungen. Die wenigsten Regierungen denken an diese Folgen. Sie sind nur darauf bedacht, kurzfristig Ruhe zu haben. Da die derzeitigen Lösungen durch Verhandlungen mit vorschnellem Eingehen auf die Forderungen der Entführer ohne zuvor gemeinsam mit anderen internationalen Sicherheitskräften in Afghanistan das Problem anzugehen, wurde kritisiert, dass damit ein gefährliches Präjudiz geschaffen wurde.