Steet Parade 2012:
Heiss - laut - schräg - kreativ
Aus NZZ:
Das Phänomen der Masse
Menschenmengen faszinieren, sie wurden aber immer auch als bedrohlich und zerstörerisch wahrgenommen – Einblicke in die Anatomie der Masse.
Es
sind jedes Jahr Hunderttausende, die sich, vom strammen Bassgewitter
rhythmisiert, durch die Zürcher Innenstadt bewegen: Raver, Tanzwütige,
Erlebnissuchende, Schaulustige. Körper an Körper, dicht gedrängt, sind
sie an der Street Parade auf der Suche nach dem ekstatischen Erlebnis in
der Masse. Die Bilder davon gehen um die Welt und haben eine
verstörende Anziehungskraft. In Zeiten vermeintlicher
Über-Individualisierung geben sich Menschen einem kollektiven Rausch
hin. Die Parade, früher Laufsteg einer Subkultur und heute trotz
Kommerzialisierung noch immer als «Demonstration» etikettiert, hatte nie
eine politische Botschaft. Die Antriebsfeder der vielen scheint etwas
anderes zu sein.
Elias Canetti, Autor und Nobelpreisträger, der seinen Lebensabend in der Limmatstadt verbracht hatte, hätte das Phänomen wohl mit Interesse verfolgt. 1960 erschien sein Hauptwerk «Masse und Macht», an dem er mehr als 30 Jahre gearbeitet hatte. Von eigenen Erlebnissen in Menschenmengen elektrisiert, versuchte er in dieser literarisch-anthropologischen Studie Antworten zu finden auf die Frage, wie sich Vermassung beschreiben lässt.
Das Buch beginnt mit einer Behauptung: «Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes.»
Seit der Französischen Revolution galten die Massen, die sich in Grossstädten zusammenscharten, als gefährlich, böse, umstürzlerisch und vor allem als manipulierbar. Von Schwarmintelligenz, von einer Weisheit der vielen, sprach noch niemand. Einer der Ersten, die Massenbewegungen diagnostizierten, war der französische Arzt Gustave Le Bon. In seiner «Psychologie der Massen» von 1895 ging er davon aus, dass die alten Eliten durch die Macht der Masse bedroht und verdrängt würden. Wenn das Gebäude der Zivilisation morsch werde, seien es stets die Massen, die seinen Zusammensturz herbeiführten. Man musste sich also in acht nehmen und lernen, die Mechanismen der Masse zu verstehen.
Das gleiche Unbehagen verspürten die Stadtoberen angesichts rebellierender Jugendlicher. Sowohl in den 1960er Jahren wie Anfang der 1980er Jahre gingen Jugendliche auf die Strasse, forderten Freiräume, lebten Utopien nach. Nicht selten waren Ausschreitungen die Folge von Kundgebungen im öffentlichen Raum. Die Bilder von Heerscharen aufmüpfiger Jugendlicher und rigoros durchgreifenden Ordnungshütern prägten das Bild von Zürich, wie es in der ländlichen Schweiz wahrgenommen wurde. Dabei war es genau in jener Zeit, dass die ersten Rockkonzerte und -festivals Menschenmassen zusammenbrachten, zu verzaubern begannen und damit einen Grundstein dafür legten, wie ein Ereignis wie die Street Parade heute von vielen wahrgenommen wird: aufregend, faszinierend, aber auch irgendwie harmlos.
Elias Canetti, Autor und Nobelpreisträger, der seinen Lebensabend in der Limmatstadt verbracht hatte, hätte das Phänomen wohl mit Interesse verfolgt. 1960 erschien sein Hauptwerk «Masse und Macht», an dem er mehr als 30 Jahre gearbeitet hatte. Von eigenen Erlebnissen in Menschenmengen elektrisiert, versuchte er in dieser literarisch-anthropologischen Studie Antworten zu finden auf die Frage, wie sich Vermassung beschreiben lässt.
Das Buch beginnt mit einer Behauptung: «Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes.»
Einswerden im Kollektiv
Wer kennt das Unbehagen nicht angesichts voller S-Bahnen oder des Gedränges von Volksaufmärschen wie dem «Züri-Fäscht»? Diese Ur-Angst lässt sich laut Canetti aber paradoxerweise gerade in Menschenansammlungen überwinden: «Es ist die Masse allein, in der der Mensch von dieser Berührungsfurcht erlöst werden kann. (. . .) Sobald man sich der Masse einmal überlassen hat, fürchtet man ihre Berührung nicht. In ihrem idealen Falle sind sich alle gleich.» Dieser glückliche Augenblick des Sich-Befreiens von der Furcht und des Gleichwerdens im Kollektiv sei es, weshalb Menschen zur Masse werden wollten.Die Angst der Eliten
Die Masse selbst hat den Drang, stets weiter zu wachsen, und trägt für Canetti schliesslich trotz aller Faszination immer auch ein zerstörerisches Potenzial in sich. Diese pessimistische Sicht zeigt sich aber gerade in der Street Parade nicht. Das Unpolitische führt dort zu – von Exzessen Einzelner abgesehen – kollektiver Friedfertigkeit; ein Aufstand wird nicht geprobt. Damit verschiebt sich die Wahrnehmung von Massenphänomenen grundlegend.Seit der Französischen Revolution galten die Massen, die sich in Grossstädten zusammenscharten, als gefährlich, böse, umstürzlerisch und vor allem als manipulierbar. Von Schwarmintelligenz, von einer Weisheit der vielen, sprach noch niemand. Einer der Ersten, die Massenbewegungen diagnostizierten, war der französische Arzt Gustave Le Bon. In seiner «Psychologie der Massen» von 1895 ging er davon aus, dass die alten Eliten durch die Macht der Masse bedroht und verdrängt würden. Wenn das Gebäude der Zivilisation morsch werde, seien es stets die Massen, die seinen Zusammensturz herbeiführten. Man musste sich also in acht nehmen und lernen, die Mechanismen der Masse zu verstehen.
Streik und Rebellion
Die vermeintliche Bedrohung durch die Massen zeigt sich auch im Kleinen. Als beispielsweise im Sommer 1912 in Zürich Maler und Schlosser eine Verkürzung ihrer Arbeitszeit forderten, die Arbeitgeber aber nicht darauf eingingen, entstand eine gefährliche Konfliktsituation. Ein Generalstreik wurde ausgerufen, Tausende Arbeiter strömten auf den Helvetiaplatz, Redner peitschten ein. Das Bild von huttragenden Arbeitern wirkt wohl nur mit 100 Jahren Distanz idyllisch. Angesichts der schieren Masse wurde die Regierung damals rasch nervös. Erst der Einmarsch von Militärtruppen machte dem Spuk des Streiks ein Ende.Das gleiche Unbehagen verspürten die Stadtoberen angesichts rebellierender Jugendlicher. Sowohl in den 1960er Jahren wie Anfang der 1980er Jahre gingen Jugendliche auf die Strasse, forderten Freiräume, lebten Utopien nach. Nicht selten waren Ausschreitungen die Folge von Kundgebungen im öffentlichen Raum. Die Bilder von Heerscharen aufmüpfiger Jugendlicher und rigoros durchgreifenden Ordnungshütern prägten das Bild von Zürich, wie es in der ländlichen Schweiz wahrgenommen wurde. Dabei war es genau in jener Zeit, dass die ersten Rockkonzerte und -festivals Menschenmassen zusammenbrachten, zu verzaubern begannen und damit einen Grundstein dafür legten, wie ein Ereignis wie die Street Parade heute von vielen wahrgenommen wird: aufregend, faszinierend, aber auch irgendwie harmlos.
Unter dem Titel «Bilder von
Zürich» präsentiert die NZZ diesen Sommer in loser Folge Selbst- und
Aussenwahrnehmungen einer Stadt, die in ihrem eigenen Verständnis
zwischen internationaler Grösse und kommunaler Beschaulichkeit schwankt.
Bereits erschienene Artikel finden sich unter www.nzz.ch/dossiers.
LINKS:
Ein Individuum in der Masse (Nachlese):
LINKS:
In seinem Buch "Psychologie der Massen" schildert er, wie die Massen geführt, aber auch verführt werden können. Die Prinzipien sind seit jeher ähnlich.
www.rhetorik.ch/Massen/Massen.html
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Die Beeinflussung der Massen gelang nachhaltig. ... Auch Massen (bei Grossveranstaltungen und Demonstrationen) wirken beeinflussend auf den Einzelnen.
www.rhetorik.ch/Beeinflussen/Beeinflussen.html
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9. Aug. 2008 ... Der Mensch mutiert zu einem kleinen Element einer Masse und muss ... Gigantische Show des Lichts und der Massen Peking perfektioniert zur ...
www.rhetorik.ch/Aktuell/08/08_09/index.html
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