Die Entdeckung der Geduld
oder:
Geduld macht sich bezahlt
Wer als Kind über Geduld verfügt, wird im Erwachsenenalter mehr Erfolg haben. Dies zeigen neue Erkenntnisse aus dem Bereich der experimentellen Ökonomie.
Ich habe es an mir persönlich erlebt, wie ich durch Ungeduld mir geschadet habe. Das gilt auch beim Coaching. Ein Coach muss geduldig warten können, bis der Coaché seine Gedanken ausformuliert hat. Das erleben wir beim Zuhören. Schweigen und warten können kostet Energie. Beim einem Psychiater zahle sich eigentlich auch seine Geduld, mir zuzuhören.
(Quelle:
M. Sutter (2014): Die Entdeckung der Geduld – Ausdauer schlägt Talent. Ecowin, Salzburg.M. Sutter, D. Glätzle-Rützler (2015): Gender differences in the willingness to compete emerge early in life and persist. Management Science, im Druck. M. Sutter, M. Kocher, D. Glätzle-Rützler, S. Trautmann (2013): Impatience and uncertainty: Experimental decisions predict adolescents' field behavior. American Economic Review 103: 510–531.E. Fehr, D. Glätzle-Rützler., M. Sutter (2013): The development of egalitarianism, altruism, spite and parochialism in childhood and adolescence. European Economic Review 64: 369–383.)
Der dreijährige Daniel muss nicht lange nachdenken, als er gefragt wird, ob er die 30 Meter Laufstrecke lieber allein oder im Wettbewerb gegen ein anderes dreijähriges Kind rennen will. Er entscheidet sich sofort für den Wettbewerb. Wenn er den gewinnt, bekommt er doppelt so viele Geschenke, etwa Smarties, Äpfel oder Abziehbildchen, als wenn er allein rennt. Daniel ist auch fest davon überzeugt, dass er gewinnen wird, noch bevor das Rennen losgeht. Für die dreijährige Sophie ist die Entscheidung schwieriger. Beim individuellen Rennen einen Tag zuvor war sie zwar die Schnellste, sie entscheidet sich heute aber dennoch dafür, lieber allein zu laufen. Wettbewerb – vor allem gegen Burschen – mag sie nicht so gern, und sie ist sich, trotz ihrer Leistungsfähigkeit, nicht ganz sicher, ob sie wirklich gewinnen würde.
Unrast und Alkoholkonsum
Ein anderes wichtiges Feld, in dem verstärkt auch Verhaltensökonomen Forschung mit Kindern und Jugendlichen machen, betrifft intertemporale Entscheidungen. Dabei geht es um die Frage, wie Kinder und Jugendliche zwischen einer Option wählen, die sofort verfügbar ist, und einer zumeist grösseren Alternative, die erst in der Zukunft erhältlich ist. Zum Beispiel wurden ungefähr 700 Tiroler Jugendliche vor die Wahl gestellt, 10 € sofort am Tag des Experiments oder einen höheren Betrag (von bis zu 14 €) drei Wochen später zu erhalten. Die Bandbreite der Entscheidungen in einem solchen Experiment ist bemerkenswert: Während etwa 20% der Jugendlichen bereits für 20 Cent mehr drei Wochen lang zuwarten, sind 10% selbst beim Höchstbetrag von 14 € nicht zu warten bereit, sondern wählen den kleineren Betrag von 10 € sofort. Zwischen beiden Extremen sind die Entscheidungen ungefähr gleich verteilt.
Das Interesse der Verhaltensökonomie endet aber nicht bei der Erkenntnis, dass manche Jugendliche geduldiger sind als andere, sondern kreist auch um die Frage, ob und wie die Entscheidungen im Experiment mit wichtigen Verhaltensdimensionen der Jugendlichen ausserhalb des Labors in Verbindung stehen. Dabei lassen sich statistisch signifikante Zusammenhänge finden. Wer weniger geduldig auf einen höheren Betrag in drei Wochen warten kann (also häufiger die 10 € sofort einkassiert, als einen grösseren Betrag in der Zukunft zu wählen), ist mit höherer Wahrscheinlichkeit Raucher und gibt zudem häufiger Geld für alkoholische Getränke aus. Ausserdem geben die ungeduldigeren Jugendlichen eher an, dass sie von ihrem Taschengeld nichts zur Seite legen und damit keine Ersparnisse haben. Die ungeduldigeren Jugendlichen haben auch schlechtere Schulnoten und häufiger disziplinäre Schwierigkeiten in der Schule. Der letztgenannte Aspekt ist jener, der die Direktoren der beteiligten Schulen erfahrungsgemäss am meisten interessiert, zumal sie der (naheliegenden) Ansicht sind, dass disziplinäre Schwierigkeiten in der Schule häufig auf ähnliche Schwierigkeiten später am Arbeitsplatz hindeuten, was für die Berufschancen dieser Jugendlichen wenig Gutes verheisst.
Die ökonomische Methode zur Messung von Geduld (also beim Abwägen zwischen einem kleineren, aber früheren Betrag und einem grösseren, indes in der Zukunft liegenden Betrag den späteren zu wählen) liefert ähnliche Erkenntnisse wie die berühmten Marshmallow-Experimente des Psychologen Walter Mischel. In diesen Experimenten – erstmals in den 1960er Jahren durchgeführt – konnten Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren entweder ein einziges Marshmallow sofort oder noch ein zweites bekommen, wenn sie zirka eine Viertelstunde der Versuchung widerstanden, das erste zu essen. Mischel war ursprünglich daran interessiert, welche Strategien den Kindern am besten helfen, der Versuchung zu widerstehen, das erste Marshmallow sofort zu essen. Die Hände vor das Gesicht schlagen oder bekannte Kinderlieder singen waren erfolgreiche Strategien. Hingegen führte das Anfassen und Riechen am Marshmallow meist zum unmittelbaren Verzehr.
Marshmallow Test mit Kindern! - YouTube
www.youtube.com/watch?v=Y7kjsb7iyms
Erst Jahre später entdeckte Mischel, dass die geduldigeren Kinder sich als Jugendliche durch höhere Sprachkompetenz, besser integriertes Sozialverhalten, höhere Frustrationstoleranz und mehr Erfolg in der Schule auszeichneten. In Langzeitstudien über mehrere Jahrzehnte wurde auch gezeigt, dass geduldige Kinder im Erwachsenenalter meist besser ausgebildet sind und ein höheres Einkommen haben und weniger oft in finanzielle Schwierigkeiten geraten, dass sie als Teenager seltener ungewollt schwanger werden und dass sie als Erwachsene mit höherer Wahrscheinlichkeit einen besseren Gesundheitszustand hatten.
Ökonomen interessieren sich für diese Zusammenhänge, weil Geduld positiv mit der Ausbildung und dem späteren Einkommen auf dem Arbeitsmarkt, aber auch mit dem Gesundheitszustand eines Menschen zusammenhängt. Die rasch steigenden Gesundheitskosten werfen auch aus volkswirtschaftlicher Sicht die Frage auf, wie man Geduld bzw. Selbstkontrolle beim Umgang mit Versuchungen (etwa der süssen Schokolade im Vergleich mit dem gesünderen Apfel oder dem Fernsehkonsum im Vergleich mit der sportlichen Betätigung an frischer Luft) allenfalls beeinflussen kann. Verhaltensökonomen untersuchen dabei namentlich, welchen Einfluss der Status quo bei Entscheidungen hat bzw. welche einfachen Interventionen menschliches Verhalten beeinflussen und damit zu einer besseren Gesundheitsvorsorge und Prävention führen können.
Bildungsökonomische Folgen
In einer noch nicht publizierten Untersuchung in Tiroler Kindergärten geht es um die Frage, wie drei- bis sechsjährige Kinder zu mehr zukunftsorientiertem Verhalten motiviert werden können. Dabei wird untersucht, welchen Einfluss ein entsprechend gewählter Status quo haben kann. In diesem Fall haben die Kinder die Möglichkeit, zwischen einem sofortigen Geschenk (etwa einem Apfel, einer Süssigkeit, einem Gummiarmband oder Ähnlichem) und zwei Geschenken am nächsten Tag zu wählen. Die konkrete Wahl erfolgt, indem die Kinder zwei Spiele-Chips vor sich haben und dann wählen müssen, ob sie einen davon sofort mitnehmen wollen, den sie dann in ein Geschenk umtauschen können, oder ob sie die beiden für den nächsten Tag aufbewahren wollen, um dann die Chips in zwei Geschenke einzutauschen.In einer Kontrollbedingung liegen die zwei Chips offen auf dem Tisch. Wenn ein Kind einen Chip sofort nehmen will, kann es den Chip sogleich nehmen. Wenn es beide für den nächsten Tag aufsparen möchte, dann muss es beide Chips in einen offenen Umschlag stecken, auf dem dann eine Identifikationsnummer notiert wird, so dass das Kind die beiden Chips am nächsten Tag bekommt. In der Versuchsbedingung werden die beiden Chips gleich zu Beginn in den offenen Umschlag gesteckt. Dann kann das Kind in den Umschlag schauen und entscheiden, ob es einen Chip aus dem Umschlag herausnehmen möchte, um ihn gleich in ein Geschenk umzutauschen, oder ob es beide Chips im Kuvert lassen will, um am nächsten Tag zwei Geschenke zu erhalten.
In der Kontrollbedingung sieht man, dass ältere Kinder eher bereit sind, auf die zwei Geschenke am nächsten Tag zu warten, anstatt das eine sofort zu nehmen. Bei den drei- bis vierjährigen Kindern beträgt der Anteil der geduldigen Kinder etwa 30%, und er steigt auf etwa 50% bei den Vier- bis Fünfjährigen und auf ungefähr 70% bei den Fünf- bis Sechsjährigen. Die Intervention in der Versuchsbedingung erhöht diese Anteile systematisch um zirka 20 Prozentpunkte in jeder Altersgruppe, was bedeutet, dass eine einfache Veränderung des Status quo statistisch bedeutsame Effekte auf die Bereitschaft von Kindern hat, beim Abwägen zwischen einer kleineren Belohnung am selben Tag und einer grösseren am nächsten Tag die grössere Auszahlung zu wählen.
Eine wichtige Frage für künftige Forschungen besteht angesichts dieses Ergebnisses – und angesichts der Bedeutung von Geduld für die eigene Ausbildung und Gesundheit – darin, ob und gegebenenfalls wie längerfristige Verhaltensänderungen hin zu mehr Zukunftsorientierung überhaupt möglich sind. In den kommenden Jahren werden aller Voraussicht nach Antworten auf diese Frage gefunden werden. Spätestens dann wird es Zeit, dass die Verhaltensökonomen noch mehr als derzeit mit den bildungsökonomischen Institutionen ihrer Länder in einen Diskurs treten, um zu beurteilen, wie die verhaltensökonomischen Einsichten aus gesellschaftlicher und demokratischer Sicht am besten genützt werden sollten.
KOMMENTAR:
Leider wissen viele Erziehungspersonen nicht,
dass unsere Kinder die Geduld - das
"Warten können", auch das "Verzichten können"
im Laufe von Jahren erwerben müssen,
wie das Lesen und Schreiben.
dass unsere Kinder die Geduld - das
"Warten können", auch das "Verzichten können"
im Laufe von Jahren erwerben müssen,
wie das Lesen und Schreiben.
Jugendliche, die das nicht gelernt haben,
sind später nicht mehr bereit, zu warten
oder auf etwas zu verzichten.
Ich habe Jugendliche erlebt, deren Eltern
davon ausgingen, sie müssten im Kind alle
Bedürfnisse sofort erfüllen. Diese Eltern
hatten später grosse Probleme. Kinder,
dies sich daran gewöhnt haben, dass die
Bedürfnisse immer sofort erfüllt werden,
holen sich dann später das, was sie wollten -
mitunter mit Gewalt. Sie waren nicht
mehr bereit, auf etwas zu verzichten.
Wir haben dies im Fall Carlos gesehen.
Wenn Hänschen gelernt hat, alle Bedürfnisse
sofort zu erzwingen, lernt Hans später
nicht mehr Geduld zu üben. Auch Carlos
war später nicht mehr bereit, Geduld zu üben.
Die Mentalität "Ich will - aber subito!"
machte sich bei ihm stets bezahlt.
davon ausgingen, sie müssten im Kind alle
Bedürfnisse sofort erfüllen. Diese Eltern
hatten später grosse Probleme. Kinder,
dies sich daran gewöhnt haben, dass die
Bedürfnisse immer sofort erfüllt werden,
holen sich dann später das, was sie wollten -
mitunter mit Gewalt. Sie waren nicht
mehr bereit, auf etwas zu verzichten.
Wir haben dies im Fall Carlos gesehen.
Wenn Hänschen gelernt hat, alle Bedürfnisse
sofort zu erzwingen, lernt Hans später
nicht mehr Geduld zu üben. Auch Carlos
war später nicht mehr bereit, Geduld zu üben.
Die Mentalität "Ich will - aber subito!"
machte sich bei ihm stets bezahlt.
Wehe, wenn jemand bei so einem
Jugendlichen nachträglich versuchten
will, Geduld einzufordern und verlangt,
dass auf ein Bedürfnis verzichten
werden muss.
Jugendlichen nachträglich versuchten
will, Geduld einzufordern und verlangt,
dass auf ein Bedürfnis verzichten
werden muss.
LINK:
7. März 2014 ... Der Fall "Carlos" beansprucht die Medien. Carlos ist ein 18 jähriger Straftäter, der
seit der Ausstrahlung einer Fernsehreportage im ...
www.rhetorik.ch/Aktuell/14/03_07a/
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