Viele surfen parallel (Ist Multitasking mit den elektronischen Geräten verwerflich?)
84 Prozent der Befragten einer Studie surfen vor dem
TV mit einem Tablet parallel im Web. Eine kranke Entwicklung oder eine
Steigerung der Lebensqualität? Medienpsychologe Gregor Waller hat
Antworten.
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«Es reicht meistens noch, um
dem Handlungsstrang folgen zu können»: Multitasking mit elektronischen
Geräten ist für die meisten Nutzer kein Problem, so der Schweizer
Medienpsychologe Gregor Waller.
Bild: Reto Knobel
Der Schweizer Medienpsychologe Gregor Waller ist Leiter Forschungsschwerpunkt Psychosoziale Entwicklung und Medien an der
Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Er forscht unter anderem in den Gebieten Pathologische Mediennutzung und Internetsucht.
Die Macht des «Zweiten Bildschirms»
«Das iPad ist nicht mobil, es ist ein Computer. Sorry»: Diese Aussage machte Facebook-Chef Mark Zuckerberg vor zwei Jahren.
Tatsächlich legen Studien nahe, dass Tablets bevorzugt in den
eigenen vier Wänden eingesetzt werden – und dort wieder vor allem als
Zweitbildschirm, während man fernsieht: iPad-Nutzer gamen, sie holen
sich Zusatzinfos zum Fernsehprogramm, twittern oder surfen auf Facebook.
Dieses Phänomen nennt sich Second Screen (zweiter Bildschirm). Laut einer kürzlich publizierten
Studie der Unternehmensberatungsfirma Anywab
nutzen 14- bis 24-Jährige Second Screens am häufigsten. 84 Prozent der
Befragten zwischen 14 und 49 Jahren surfen gelegentlich während des
Fernsehens im Internet.
Einer im März dieses Jahres vorgestellten PWC-Untersuchung zufolge verwenden fast 86 Prozent der befragten Tablet-Besitzer das Gerät vor allem oder sogar ausschliesslich zu Hause.
Interview:
Das iPad wird
zunehmend als Second Screen auf dem Sofa gebraucht: Man schaut fern und
surft nebenbei oder schaut bei Facebook rein. Für Kulturpessimisten der
reinste Horror – für Sie auch?
Nein. Was ist so schlimm daran, sich beim Fernsehen kurz bei Wikipedia
über einen Schauspieler zu informieren? Oder über einen Filmschauplatz
zu recherchieren? Das kann durchaus eine Bereicherung sein. Früher griff
man in solchen Situationen zum Programmheft auf dem Tisch oder zum
Lexikon im Büchergestell und las darin, was ja auch nichts Verwerfliches
war.
Aber geht mit der Parallelnutzung von TVs, Smartphones und Tablets nicht automatisch eine Verarmung des kommunikativ-sozialen Verhaltens einher?
Warum denn? Sitzt man allein vor der Glotze, bringt eine
Internetverbindung übers Tablet erst die Möglichkeit zum
kommunikativ-sozialen Verhalten während des TV-Schauens. Sitzt man zu
zweit oder mit einer Gruppe vor dem TV, kann eine zusätzliche, übers
Tablet erhaltene Hintergrundinformation durchaus Grund für eine
anregende Diskussion sein.
Ist die menschliche Psyche überhaupt fähig, Multitasking, in diesem Fall mit elektronischen Geräten, zu betreiben?
Unser Gehirn kann echtes Multitasking – also das parallele Ausüben von
zwei oder mehr Tätigkeiten – nur beschränkt. Es funktioniert jedoch ganz
gut, wenn eine Tätigkeit hochautomatisiert abläuft.
Zum Beispiel?
Die meisten Menschen können ein Auto steuern und gleichzeitig mit dem
Beifahrer eine Diskussion führen. Sind aber beide Tätigkeiten wenig
automatisiert, so benötigen beide kognitive Ressourcen.
Das führt dann dazu, dass die Tätigkeiten fehleranfälliger oder langsamer ausgeübt werden.
Genau. Die Verarbeitung pro Tätigkeit ist weniger tief. Wenn ich also
während eines Spielfilms fünfmal auf dem Tablet etwas nachschaue,
bekomme ich weniger vom Film mit, als wenn ich mich nur darauf
konzentrieren würde. Es reicht aber meistens noch, um dem
Handlungsstrang folgen zu können.
Grundsätzlich sehen Sie in der gleichzeitigen Nutzung von TV und Multimediageräten aber kein Problem.
Die beiden Plattformen ergänzen sich. Auf der einen Seite das eher
passive Fernsehen: Das Programm wird von TV-Sendern zusammengestellt und
fixfertig nach Hause geliefert. Auf der anderen Seite das
Universalmedium Internet, wo ich mir die gewünschten Infos aktiv und
gezielt holen kann.
Kann ein Tablet aus medienpsychologischer Sicht grundsätzlich sogar sinnvoll sein?
Tablets haben Potenzial. Spannende Lernapplikationen (etwa Memory-Apps)
können das Gedächtnis eines Kindes trainieren. Auch dem Einsatz von
Tablets im schulischen Kontext kann ich Positives abgewinnen.
Interaktive Lernsoftware könnte hier ergänzend zum Klassenunterricht zum
Einsatz kommen.
Apropos: In der Schule wurde uns eingeredet,
zu viel Fernsehen mache dumm, weshalb man höchstens eine Stunde pro Tag
vor dem TV verbringen solle. Das hat natürlich niemand befolgt. Heute
aber habe ich nicht den Eindruck, dass meine Generation irgendeinen
Schaden davongetragen hat. Waren die Ratschläge der Pädagogen zu
alarmistisch?
TV schauen macht nicht dumm. Es ist nur so: Je mehr ich als Kind vor dem
TV sitze, desto weniger Zeit bleibt mir, um andere wertvolle
Erfahrungen zu machen. Im Wald zu spielen und auf einen Baum zu klettern
ist für die meisten Kinder viel erfüllender als vor dem TV zu sitzen.
Die Möglichkeit, solche Erfahrungen zu machen, wird durch einen
ausgeprägten Medienkonsum reduziert.
Gleichen sich eigentlich die Argumente von Kritikern beim Aufkommen eines neuen Mediums?
Neue Medien werden beim Aufkommen häufig kritisch hinterfragt – was ja
auch Sinn macht. Auch werden oft ein paar Jahrzehnte später, bei einem
neueren Medium, die gleichen oder ähnliche Argumente ins Feld geführt.
Schon beim Aufkommen der Belletristik im 18. Jahrhundert gab es
Personen, die das Leseverhalten dieser Zeit hinterfragten. Ja, es war
sogar von Lesesucht die Rede.
Als das TV zum Massenmedium wurde, kam bald der Begriff der TV-Sucht auf...
...dasselbe beim Siegeszug der Videogames. Ich will damit solche
möglichen Formen der Verhaltenssucht nicht verharmlosen. Diese
existieren durchaus. Der weitaus grösste Teil der Konsumenten kann aber
mit den entsprechenden Medien kompetent umgehen.
(Tagesanzeiger.ch/Newsnet)
Kommentar:
Das Multitasking darf nicht verteufelt werden. Das surfen auf dem i Pad - während der Fernseher läuft - ist ähnlich, wie wenn wir während einer Sendung im Lexikon etwas nachschlagen. Ich kenne vielen Personen, die haben seit Jahren die Gewohnheit, neben einem Krimi ein Heftchen zu lesen. Persönlich widme ich mich in der Regel nur einem Medium zu und konzentriere mich auf eine Quelle. Der Medienpsychologe weist auf den Tatbestand hin, dass jemand der gleichzeitig mehrere Sachen erlegt, sich dabei aber auf die Verarbeitung der Tätigkeit weniger vertieft. Wichtig ist und bleibt: Bei allen neuen Medien müssen wir lernen, damit umzugehen.