Unkoordinierte Informationspolitik im Bundesrat?
Das Vorpreschen der Finanzministerin hilft den Atomstrombefürwortern.
Denn: Der Ausstieg schien zementiert. Doch das Volk merkt nun allmählich, was der totale Ausstieg für Folgen hat.
Stromknappheit. Nämlich: Massive Verteuerung der Energie. Dies trifft alle: Wirtschaft und Privathaushalte.
Ich zitiere Tagi:
Es war ein Tag für die Geschichtsbücher: Am 25. Mai 2011 beschlossen die vier Bundesrätinnen
Micheline Calmy-Rey, Doris Leuthard, Eveline Widmer-Schlumpf und
Simonetta Sommaruga den
Atomausstieg. Heute ist die gemeinsame Frauenpower Geschichte. Die
Finanzministerin prescht mit ihrer Ökosteuerreform vor und durchkreuzt
damit die Pläne der Energieministerin, die mit Förderabgaben den
Atomausstieg zügig vorantreiben will.
Zuerst kündigte
Widmer-Schlumpf in Inverviews eine Vernehmlassungsvorlage an. Nun
berichtete die «SonntagsZeitung», die Finanzministerin wolle dem Bundesrat am
kommenden Mittwoch ein Aussprachepapier zu einer ökologischen
Steuerreform vorlegen. Wolle man die Energieziele des Bundesrates
erreichen, müsse zum Beispiel der Benzinpreis bis 2050 auf 5 Franken
ansteigen. Strom müsse um 50 Prozent verteuert werden. Der Ertrag aus
dieser Lenkungsabgabe soll den Haushalten und Unternehmen
zurückerstattet werden.
Auftrag des Bundesrates zu einem Bericht
Diesen
Mittwoch wird der Bundesrat allerdings keine Anträge Widmer-Schlumpfs
diskutieren. Beim von der «SonntagsZeitung» zitierten Aussprachepapier
handelt es sich um einen besseren Entwurf, der bis am letzten Freitag in
einer Ämterkonsultation unterwegs war. Will heissen: Die verschiedenen
Bundesämter konnten ihre Meinung dazu abgeben. Während der
Energieklausur des Bundesrates, welche ebenfalls am Mittwoch
stattfindet, sind rund 10 Minuten für eine Information zur ökologischen
Steuerreform vorgesehen.
Das bestätigt EFD-Informationschefin
Brigitte Hauser-Süess: «Dabei handelt es sich um Modellsimulationen mit
dem Ziel, die Funktionsweise und die Auswirkungen der verschiedenen
Varianten abzubilden», sagt sie. Dies entspricht auch dem Auftrag des
Gesamtbundesrates, den die Finanzministerin am 30. November 2011
erhalten hat. Nur: Statt in enger Zusammenarbeit mit den Energie- und
Wirtschaftsdepartementen einen Bericht zur Machbarkeit einer
Ökosteuer auszuarbeiten, liess Widmer-Schlumpf im stillen Kämmerlein ein Aussprachepapier anfertigen.
Gegenvorschlag zur Initiative «Energie- statt Mehrwertsteuer»
Vom
forschen Zeitplan der Finanzministerin erfuhren die anderen Bundesräte
aus den Medien.
Dem Vernehmen nach will sie Ende September, wenn Doris
Leuthard ihr neues Energiegesetz in die Vernehmlassung schickt, ihre
Pläne offenlegen. Im Frühjahr will sie laut «SonntagsZeitung» «eine
ausgereifte Vorlage präsentieren». Offenbar gibt es im
EFD Überlegungen,
die Ökosteuerreform der Initiative «Energie- statt Mehrwertsteuer» der
Grünliberalen gegenüberzustellen. Das Volksbegehren will die
Mehrwertsteuer zugunsten einer Abgabe auf Energieträger abschaffen.
Gegenwärtig
sieht es aber danach aus, als hätten die Initianten grosse Mühe, die
notwendigen Unterschriften zu sammeln. Aber auch Widmer-Schlumpf könnte
Mühe habe, ihr Prestigeprojekt durchzubringen. Das vom EFD in die Ämter
verschickte Papier strotzt laut Energieexperten nur so von Fehlern,
Unterlassungen, Annahmen und Ungenauigkeiten. So sind zum Beispiel viele
Fragen hinsichtlich Übergangsphase vom heutigen Fördersystem zu einem
Lenkungssystem noch nicht geklärt.
Viele Fehler, Unterlassungen, Annahmen
Heute
ist es so, dass die erneuerbaren Energieträger mit einem Zuschlag auf
elektrischer Energie und die Gebäudesanierung mit einer CO
2-Abgabe
auf Brennstoffen gefördert werden. Leuthard will diese Fördermittel
nach dem Atomausstieg zusätzlich verstärken. Die Lenkungsabgabe, die
Widmer-Schlumpf vorschwebt, soll die Förderinstrumente nach 2020
ablösen. Nur hat die Finanzministerin in ihrem Entwurf nicht
berücksichtigt, wie die Fördermittel zurückgefahren und langfristig auf
null reduziert werden können.
Bei den Gebäudesanierungen dürfte
der Bedarf voraussichtlich auch weit nach 2020 hoch sein, monieren
Experten im Bundesamt für Energie. Bei der Förderung der erneuerbaren
Energien gelte es zu bedenken, dass gewisse Geldmittel auch nach der
Sistierung der Förderung benötigt werden, da heute die Vergütungsdauer
der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) je nach Technologie 20 bis
25 Jahre betrage.
Auftrieb für Atom-Ausstiegsgegner
Aus
dem Papier geht auch nicht hervor, welche Steuern eingeführt oder
erhöht werden müssen, falls die Energieabgabe wie erhofft den
Energieverbrauch reduziert und als Folge davon Steuereinnahmen massiv
wegbrechen. Es gibt keine Auskunft über internationale Erfahrungen mit
einer ökologischen Steuerreform. Dazu kommt, dass einzelne Zahlen im
Papier schlicht falsch sind, bei anderen fehlt die Quellenangabe.
Kurzum: Für Insider handelt es sich um einen unausgereiften
Schnellschuss, der den Atomausstieg gefährden könnte.
Eine
Diskussion über einen Benzinpreis von 5 Franken und 50 Prozent höhere
Stromtarife würde jenen Kräften von FDP, SVP und Wirtschaftsverbänden
Auftrieb geben, die sich zum Atomausstieg schon immer skeptisch
äusserten. Das wäre auch Gift für die künftige Debatte über das neue
Energiegesetz, mit dem Leuthard den Atomausstieg zementieren will. «Ich
verstehe nicht ganz, wieso Frau Widmer-Schlumpf jede Woche mit dem Thema
ökologische Steuerreform in den Medien herumgeistern muss», sagt denn
auch SP-Energiespezialist Eric Nussbaumer. Die Instrumente für den
Atomausstieg seien mit der KEV und CO
2-Abgaben vorhanden. Auch die Erhöhung der Treibstoffpreise sei schon heute mittels CO
2-Gesetz möglich.
Finanzdepartement schiebt Erklärung nach
Auch
CVP-Präsident Christophe Darbellay wundert sich über die Indiskretion
zur Ökosteuerreform in der «SonntagsZeitung». Er habe zwar nichts gegen
eine Ökosteuer, aber bei dem publik gewordenen System seien ihm noch zu
viele Fragen offen. «Eine ökologische Steuerreform hat für mich keine
Priorität», so Darbellay. Der Energiepolitiker der BDP, Nationalrat Hans
Grunder, gibt sich dagegen vage: Er kenne das Papier nicht, sagt er.
Widmer-Schlumpf habe sich mit der BDP noch nicht über ihre Pläne zur
ökologischen Steuerreform ausgesprochen.
Im EFD schiebt man auf
Anfrage eine Präzisierung nach:
Die von der «SonntagsZeitung» zitierte
Variante mit einem Benzinpreis von 5 Franken wird als ambitioniertes
Szenario beschrieben. Die schlussendlich notwendige Energieabgabe hänge
sehr stark von der Entwicklung der Energiepreise und der Technologie ab.
Je nach Technologiesprüngen könne auch eine bedeutend tiefere Abgabe
resultieren, heisst es. (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)
Kommentar: Schnellschüsse sind immer schlecht. Unkoordinierte Informationen stets eine Todsünde.
Die SVP hat sofort das Malaise im Kommunikationsmanagement des Bundesrates erkannt und nutzt die unkoordinierten Verlautbarungen. Sie will als einzige Partei den Ausstieg aus dem Atomstrom in die Länge ziehen. Sie spricht sogar vom Bau eines neuen AKWs (der neuen Generation). Gespannt warte ich auf das Resultat einer vorgesehenen Volksbefragung. Haben die Bürger tatsächlich die Meinung geändert, nachdem erkannt wird, was für Folgen der endgültige Ausstieg hat?