Bei ihm ist Fluchen Kunst: Der spanische Künstler Javier Calleja mit
«Fuck You All» an der internationalen Kunstmesse ARCO in Madrid. (15.
Februar 2011)
Bild: Reuters
Roland Ris ist Malediktologe, zu Deutsch
Fluchforscher. Bis vor sieben Jahren hat der Germanistikprofessor an der
ETH Zürich unterrichtet. (Bild: PD)
Er hat sich mit aller Kraft gegen seine Kleider, den Zmorge und den
Aufbruch gewehrt – und wir sind knapp dran. Als das Tram die Tür dann
nicht mehr öffnet, trete ich entnervt dagegen und fluche «Gopfertami
nomal!». Der Protest des Zweieinhalbjährigen ist verpufft, er ist
einfach nur noch fasziniert. «Was hätt s Mami gmacht, was hätt s Mami
gseit?», fragt er immer wieder und erzählt allen seine Version des
Erlebten. «Gopfertaminoma!» ist sein neues Lieblingswort.
Eltern
versuchen, möglichst nicht vor ihren Kindern zu fluchen – und scheitern.
Spätestens, wenn sie im Auto sitzen und sich über einen anderen Fahrer
ärgern, ist es vorbei mit der Contenance. Manche versuchen, sich für
diese Situationen zu wappnen, indem sie sich möglichst kindergerechte
Flüche ausdenken, und poltern dann «Potzblitz und Dunnerwätter!». Darf
man vor Kindern und ganz allgemein so richtig vom Leder ziehen? Roland
Ris, ein Experte in Sachen Fluchen, weiss weiter.
Haben Sie sich angewöhnt, anständig zu fluchen?
Ich bin ein älterer Herr, lebe in guten Verhältnissen und habe wenig
Grund, mich aufzuregen. Fahre ich Auto, versuche ich dem Stau
auszuweichen oder mich darauf einzustellen. Ein «Du Büffel da vorne!»
entweicht mir aber auch dann hin und wieder.
Sind Sie ein begnadeter Flucher?
Leider überhaupt nicht. Fluchen kann man nicht lernen, das ist eine
Gottesgabe und muss aus dem Bauch kommen. Im Emmental oder in Bayern
gibt es viele, die wunderbar losziehen können, «Himmelherrgottkruzifix»!
Solche Kettenflüche zeigen Freude an der Sprache, am Spiel mit ihr. Ich
habe erst im Militär gelernt zu fluchen, zu Hause in der guten Stube
war das verboten.
Sie sind Vater von vier Kindern. Wie haben Sie das gehandhabt mit dem Fluchen zu Hause?
Auch wenn Eltern das nicht gern hören: Kinder
orientieren sich nicht an ihnen, sondern an anderen Kindern. «Du darfst
das nicht sagen» bringt nichts. «Wir möchten das nicht hören zu Hause»
ist jedoch eine sinnvolle Ansage. Bei der Erziehung geht es darum,
Kindern zu vermitteln, dass sie ihr Verhalten und ihre Sprache der
Situation und dem Gegenüber anpassen müssen. Dazu brauchen sie eine
Palette von Ausdrucksmöglichkeiten.
Ein unbedachter Fluch genügt, und schon haben ihn Zweijährige intus. Woher rührt die Faszination am Fluchen?
Ein Fluch bündelt Emotionen, er drückt einen Kontrollverlust aus.
Reagieren Eltern menschlich, tut das den Kindern gut, sie wollen die
Eltern spüren. Nichts ist schlimmer als kalte, zu beherrschte Eltern.
Auch Eltern dürfen also losbrettern. Darfs denn auch mal vulgär klingen?
«Huärä» mag ich persönlich nicht und würde ich nie vor Kindern sagen.
Doch kann man nicht alles steuern, wenn die Emotionen mit einem
durchgehen. Aus Erfahrung weiss ich, dass Lehrer, die gelegentlich
schimpfen, bei ihren Schülern beliebter sind als solche, die sich stets
zusammenreissen. Auf Eltern trifft das wohl auch zu. Grundsätzlich würde
ich dazu raten, die Würde des Gegenübers beim Fluchen nicht bewusst zu
verletzen.
Wie sollten wir also besser nicht schimpfen?
Beim Fluchen sollte man keine ethnische Gruppe verunglimpfen, niemanden
definitiv ausgrenzen und, soweit möglich, die Befindlichkeit seines
Gegenübers berücksichtigen. Einem Pfarrer beispielsweise sollte man
besser nicht mit «Heilanddonner» kommen.
Fluchen gilt als gesund und entschärft viele Situationen. Warum hat es ein so schlechtes Image?
Lange hat es zum guten Ton gehört, nicht zu fluchen. Seit Urzeiten
beziehen sich Flüche auf Tabus. In katholischen Regionen lästert man
gegen Gott: «Himmel Herrgott». In vielen Kulturen wettert man gegen die
Eltern. So zetert man im Iran: «Ich furze in deines Vaters Bart», oder
in der Türkei: «Du Sohn einer Gurke». Im arabischen Sprachraum schimpft
man: «Deine Muttermilch war Kamelpisse», in Afrika: «Deine Mutter ist
wie eine Telefonzelle, sie steht an jeder Strassenecke». In Russland
bringt man Luzifer ins Spiel und keift: «Scher dich zum Teufel». In
puritanischen Kulturen wie Amerika zischt man «Fuck».
Manche Eltern sagen Pantanal statt Taminomal, Mailand statt Heiland oder Scheibenkleister statt Scheisse. Bringts das?
Den Klang bei geändertem Sinn beizubehalten, ist ein verbreitetes
Prinzip. Es entsteht dabei sprachlich Neues, und das gefällt mir.
«Gopfridstutz» hat so «Gottverdamm’i» ersetzt, «Herrschaft» «Herrgott».
«Sternefoifi» geht zurück auf «Sternefüfzgi», das füfzgi wiederum hat
Tausend ersetzt, dahinter steckte einst der Teufel, der die Sterne vom
Himmel holen sollte. Im Emmental sagt man «gwüni» statt «gwüss» – weil
bloss der Liebe Gott weiss, was gewiss ist.
Besonders spielerische Flüche?
«Himmelarschundzwirn!», «Tuusigtotzetintehüsli!», «Himmi
Herrschaftseitn, Kreiz Birnbam und Hollastaudn, Zefix Halleluja, Sackl
Zement noamoi, Sauteifi misrabliger, Rame gscherta, jafreili, jez
glangts aba sche langsam, du Rindviech, du karierts! Host mi?». Das war
bayrisch und bedeutet: «Himmel Herrgott zur Seite, Kreuz Birnbaum und
Holunderstrauch, Kruzifix Halleluja, Zementsack noch einmal, Sauteufel,
erbärmlicher, geschorener Rammler, ja selbstverständlich, jetzt genügt
es aber bald, du Rindvieh, du kariertes! Verstehst du mich?»
Sie sind einer der wenigen Fluchforscher, die es weltweit gibt. Wie sind Sie zu Ihrem Spezialgebiet gekommen?
Ich hatte das Bedürfnis, mich neben gehobener Literatur auch mit
Volkstümlichem zu beschäftigen. Flüche bewegen sich am Rande der
Sprache, sprengen sie, sind Ausdruck von Emotionen und Kreativität, oder
sie waren es zumindest einst.
Heute sagen wir bloss noch «Scheisse», «Shit» und «Fuck»?
International verarmt die Fluchlandschaft, was ich sehr bedauere. Mit
der Globalisierung gleichen wir uns auch sprachlich einander an. «Shit»
ist ein Ausruf aus der Nachkriegszeit, der sich in Deutschland
epidemisch ausbreitete und den Weg zu uns gefunden hat. Die deutsche
Kultur hat eine Affinität zum Fäkalen. «Shit» und «Scheisse» sind
Ausdruck einer Null-Bock-Generation ohne Perspektiven. «Scheisse» ist
ein wenig erbaulicher Fluch, den ich als bedrückend erlebe.
Welche Alternative empfehlen Sie?
Sagen Sie «Gopf». Das ist viel schöner und erst noch ein Urzürcher Fluch.
Andere Urzürcher Flüche aus Ihrer Sammlung?
Bim Straal!
Potz eebige Hagel!
Potz häitere Faane!
Du verbränti Zäine!
Ums Himelsherdöpfelswile!<
Jeegerli au!
Gopfridstutz!
Gopfridboonebluescht!
Gopferchlemi!
Hackermänt! Sackerlott!
Kommentar:
Mit Fluchen bezeichnen wir das Aussprechen oder Auferlegen eines Fluches. Unter Fluchen verstehen wir in der Rhetorik eine Form der verbalen Aggression. Siehe: Schimpfen oder Vulgärsprache.
Dank eines Fluches können wir uns zwar entlasten und Druck abbauen. Anderseits leidet aber auch die zwischenmenschliche-Beziehung. Das Kommunikationsklima wird gleichsam vergiftet. Aggression schürt Aggression. Das Fluchen kann zudem zur Gewohnheit werden. Viele Erzieher sagen zwar: Es ist ja gar nicht so gemeint. Jugendliche sagen heute einfach Fuck und Scheisse. Sie denken gar nicht an den Inhalt der Worte. In der Praxis können nicht nur Erziehende feststellen, dass Worte das Kommunikationsklima enorm beeinflussen. Ich habe eine Hauswirtschaftslehrerin kennen gelernt, die liess es nicht mehr zu, dass im Unterricht Machosprüche (abwertende Bemerkungen) ausgesprochen wurden. Dank dieser Achtsamkeit wirkte sich dies nachher auch auf das Verhalten - den Mädchen gegenüber - positiv aus.