SN 7.1.22
Freitag, 7. Januar 2022
Analyse
Weshalb «Sag die Wahrheit» so erfolgreich ist
Über 600 Sendungen der SWR-Rateshow «Sag die Wahrheit» wurden bereits produziert. Ihre Beliebtheit ist nach wie vor ungebrochen.
Das liegt auch daran, dass Lügen nach wie vor ein Mysterium sind. Von Marcus Knill*
Nummer eins. Wer sind Sie?» –
Antwort: «Ich heisse Heinz Müller
und bin Rheinfischer.»
«Nummer zwei. Wer sind Sie?»
– Antwort: «Ich heisse Heinz Müller und
bin Rheinfischer.»
«Nummer drei. Wer sind Sie?» – Antwort:
«Ich heisse Heinz Müller und bin Rheinfischer."
So direkt steigt der Moderator der SWRRateshow-
Sendung «Sag die Wahrheit» jeweils
ein. Gastgeber Michael Antwerpes
hält sich konsequent an das einfache, klare
Konzept und verzichtet auf übliche nichtssagende,
zeitraubende Quasselrhetorik.
Der Ablauf fusst auf einer bewährten,
straffen Struktur, die strikt durchgezogen
wird. Drei Kandidaten behaupten, die gleiche
Person zu sein. Das Rateteam muss
dann mit wenigen Fragen und mit einer
Zeitlimite herausfinden, wer tatsächlich die
gesuchte Person ist.
In der letzten Spielrunde treten dann
jene Leute wieder auf, die gelogen haben.
Einer von ihnen hat eine besondere Eigenschaft,
ein besonderes Hobby, einen besonderen
Beruf und erzählt darüber. Die
anderen drei erzählen eine frei erfundene
Geschichte. Nur eine Erzählung ist also
wahr. Nach 30 Sekunden muss entschieden
werden, welche das ist. Anschliessend
wird das Rätsel gelöst. Es kommt nicht
von ungefähr, dass 90 Prozent der TVZuschauerinnen
und -Zuschauer die Sendung
«Sag die Wahrheit» sehr gut gefällt
und sie zum Dauerbrenner mutiert ist.
2021 konnten die Macher die 600. Sendung
in 18 Jahren feiern.
Der Erfolg basiert auf bewährten Bausteinen,
einem geschickten Mix von Unterhaltung,
Wissensvermittlung und amüsanten
Versuchen, die Ratefüchse zu
täuschen. Kreativität, Humor, Schlagfertigkeit,
Menschenkenntnis. Spielerische
Wahrnehmungsschulung mit unerwarteten
Überraschungselementen macht die
Sendung attraktiv und spannend. Den
Zuschauern
wird es nie langweilig. Die
skurrilen Geschichten sind erfrischende
Unterhaltung, echtes Fernsehen, wie man
es sich wünscht.
Lügen erkennen als Mysterium
Ferner animiert die Sendung zum Mitraten.
Ich kenne einige, die im kleinen Kreis
Wetten abschliessen und raten, wer die
Wahrheit sagt oder wer gelogen hat.
Kommt hinzu, dass nicht nur Richter,
Personalchefs, Lehrpersonen und Ehepartner
das Entlarven von Lügen interessiert.
Es wurde seit Menschengedenken
immer wieder versucht, aus der Körpersprache,
der Stimme oder mit Lügendetektoren
unwahre Aussagen zu erkennen. Es
gibt eine Fülle von Büchern, die sich mit
der Thematik «Lügen entlarven» auseinandersetzen.
Viele Tipps sind leider fragwürdig.
Weil es bis dato keine 100-prozentige Methode
gibt, um Lügen zu erkennen, bleibt
die Thematik spannend. Der Lügendetektor
basiert auf dem Messen der Leitfähigkeit
der Haut (Schweissaustrieb verändert
die Leitfähigkeit) oder die Veränderung
des Blutdrucks und der Herzschlagfrequenz.
Es hat sich in der Praxis gezeigt,
dass bei einem Lügner, der an seine Aussage
glaubt, ein Detektor die Lüge nicht erkennen
kann. Auch Signale, wie an die
Nase greifen, mangelnder Blickkontakt,
fehlende Details in der Aussage, flachere
Modulation greifen nicht immer. Bei dieser
Sendung wird uns bewusst, wie schwierig
es ist, Lügen zu erkennen. Denn Lügen haben
nicht immer kurze Beine.
Es gibt übrigens auch gute, sinnvolle Lügen,
bei denen es schade wäre, würde man
sie gleich entlarven.
* Marcus Knill
ist langjähriger Kommunikationsexperte
aus
Uhwiesen.
Er schreibt
in loser Folge für die SN.