Erkenntnisse aus Krisensituationen
Krisenkommunikation und Medien
Bevor die Krise da ist, sind die Medien da.
Erkenntnisse aus der Praxis für die Praxis
von Marcus Knill
Das Beobachten und Beschreiben des Verhaltens von Akteuren in Krisensituationen fördert die Wahrnehmungsfähigkeit und die kommunikative Kompetenz. Williams James: Nur was ich bemerke, formt mein Denken.
Das Verhalten in Krisen können wir verbessern, indem wir Krisensituationen genauer die Lupe nehmen und von erfolgreichen Kommunikatoren lernen.
In diesem Beitrag schäle ich bei verschiedenen konkreten Fällen jeweils nur EINE, die wichtigste Erkenntnis aus der Praxis heraus. Diese einzelnen Kernerfahrungen sind für alle lesenswert, die überraschende heikle Kommunikationssituationen meistern müssen.
Coronakrise
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Die Schweiz wurde von der Coronapandemie unvorhersehbar erfasst. Noch heute befindet sich unser Land im Krisenmodus.
Daniel Koch vom BAG, zeigte, dass nur glaubwürdiges, authentisches Auftreten überzeugt. Mr. Corona war wochenlang auf allen Kanälen zu sehen und zu hören. Seine unaufgeregte Art und seine Stimme, die RUHE ausstrahlt, vermochte die Oeffentlichkeit zu überzeugen. Er motivierte die Bevölkerung, die unangenehmen Verhaltensregeln einzuhalten.
Die Erkenntnis:
Koch lebte den Grundsatz: „Taxifahrer fahren Sie langsam, es eilt.“ In Krisensituationen lohnt sich das antizyklische Verhalten. (Siehe Analyse in den SN vom 27.3.20)
KD Dr. med. Peter Steiger
(Stv. Direktor Institut für Intensivmedizin
Leiter Intensivstation für Traumatologie und
Intensivstation für Brandverletze
UniversitätsSpital Zürich
Institut für Intensivmedizin) hatte ich in einem Krisenkommunikationsseminar des Universitätsspitals in Innsbruck kennen gelernt. Er überzeugte ebenfalls bei seinen Auftritten vor Mikrofon und Kamera während der Coronakrise.
Ich fragte ihn ihn vor wenigen Tagen, welches Werkzeug hilfreich sei in heiklen Krisensituationen.
Frage: Herr Steiger, sie haben eine sehr grosse Erfahrung im Umgang mit überraschenden Situationen. Was ist das wichtigste im Verhalten, wenn es um Leben und Tod geht?
Steiger: Das wichtigste ist, ruhig zu bleiben, einen klaren Kopf zu behalten, die Situation mit dem Team im Ganzen zu beurteilen und gemeinsam die richtigen Entscheide zu fällen.
In akuten Situationen mit sehr schnellem Handlungsbedarf gilt die Regel 10 Sekunden für 10 Minuten: 10 Sekunden inne halten, laut im Team die Situation kurz überdenken, überlegen, ob wir an alles gedacht haben, und dann Entscheide treffen. Dies spart uns später viel Zeit und hoffentlich auch Fehlentscheide.
Auf der Intensivstation müssen wir kontinuierlich und zügig die richtigen Entscheidungen treffen, um den Zustand eines Patienten zu verbessern und – ganz wichtig – Zeichen einer Verschlechterung vorzeitig zu erkennen und das Problem rechtzeitig zu beheben. Damit soll das Eintreffen einer akuten lebensbedrohlichen Situation möglichst vermieden werden.
Durch dieses Vorgehen und die heutigen Möglichkeiten der Intensivmedizin sterben uns die Patienten nur noch ganz selten unter voller Therapie unter den Händen weg. Meistens sterben die Patienten nach dem bewussten Einstellen der Therapie, wenn der beste zu erreichende Zustand nicht mehr der Lebensqualität entspricht, die der Patient gemäss seinem Willen als lebenswert beurteilt.
Zu den Crashkursen der Einsatzleiter im Kanton Graubünden.
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Seit Jahren konnte ich für das Schnee- und Lawinenforschungsinstitut in Davos Krisenkommunikationsseminare durchführen zum Thema „Umgang mit Medien in Krisensituationen“.
Es folgten Wiederholungs- und Erfahrungsaustauschkurse für Einsatzleiter im Kanton.
Stets nahmen Personen mit grosser Erfahrung teil:
Vertreter der Rega, Behördenmitglieder, Seilbahnverantwortliche, Bergführer, Kommunikationsverantwortliche der Rhätischen Bahn, Polizei, Lawinen- und Forstspezialisten.
Die Uebungen basierten stets auf konkreten Vorfällen.
Fazit aus diesen Trainingskursen der
Einsatzleiter im Kanton Graubünden:
Die Analysen zeigten auf, wie wichtig DAS KONKRETE UEBEN von Krisensituationen ist.
Zum jüngsten Erfahrungsaustausch in Tujetsch
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Das letzte Treffen mit konkreten Situationen fand am 7. November 2019 in Tujetsch (beim Oberalppass) statt. Die Analyse der Interviews machte allen einmal mehr bewusst: Wir wissen zwar das meiste. Doch unter Druck schleichen sich immer wieder Fehler ein. Wie Piloten im Simulator, lernen wir am schnellsten bei der Konfrontation vor Mikrofon und Kamera. Die wichtigste Erkenntnis dieses Ausbildungstages:
Wer überraschend Journalisten Auskunft geben muss, sollte nie auf Vermutungen und Hypothesen eingehen.
FAKTEN MUESSEN BESCHRIEBEN WERDEN - ohne sie zu bewerten.
Dass die Verantwortlichen des Lawinenunglückes in Sedrun ihr Können bereits am 26. 12. 2019 im Ernstfall umsetzten mussten, war ein Zufall. Was war vorgefallen?
Eine Lawine war auf eine Skipiste im Gebiet der SkiArena Andermatt - Sedrun im Kanton Uri niedergegangen. Die Piste war am Donnerstagmorgen zum ersten Mal in diesem Winter freigegeben worden. Zwei leicht verletzte Personen konnten geborgen werden. Sie wurden mit der Rega ins Spital transportiert.26.12.2019
Landeskrankenhaus Innsbruck: Der Fall Dani Albrecht
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Nachdem ich vor Jahren im Tirol mit Journalisten und Aerzten ein Seminar über den Umgang mit Medien in Stresssituationen durchgeführt hatte, folgte dort ebenfalls eine Nagelprobe. Es ging um den Fall des Schweizer Spitzenskifahrers Dani Albrecht. Er musste nach einem Sturz vom Spital Innsbruck ins künstliche Komma versetzt werden. Zahlreiche Journalisten belagerten das Spital.
Eine Kerngruppe von fünf Aerzten konnten die wichtigsten erworbenen Grundsätze der Krisenkommunikation erfolgreich umsetzen. Das Kernteam nutzte die Medien als Partner. Alle Mitarbeiter wussten, an welches Führungsteam Anfragen von aussen weitergeleitet werden mussten. Wochenlang funktionierte das vorbereitete Krisenkommunikationskonzept hervorragend. Die Medien wurden mit Fakten gefüttert. Das Führungsteam sprach rund um die Uhr „mit einer Stimme“.
Kernerkenntnis aus diesem Fall: Die Medien sind keine Freunde - aber hilfreiche Partner. Wer mit Medien geschickt zusammen arbeitet, profitiert von einer WIN-WIN SITUATION. Die Medien helfen , die Fakten zu verbreiten (wer schweigt und Auskünfte verweigert, schürt Gerüchte). Anderseits schätzen Medien die News aus erster Hand. Sie können die Informationen aus erster Hand „verkaufen“.
Aus den Erfahrungen der Kommunikationsikone Beatrice Tschanz
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In einer Krisenkommunikationsveranstaltung des Spitals Liestal konnte ich Beatrice Tschanz beiziehen. Sie schilderte ausführlich, wie sie die über das Unglück (Flugzeugabsturz der Swissairmaschine in Halifax) gemanagt hatte.
Erkenntnis: Die Uebungen auf oberster Ebene vor dem Absturz machten bewusst, dass die Informationskanäle blockiert werden, wenn man bei einer Katastrophe das übliche „Bringprinzip“ der Informationen beibehält. Alle Leitungen sind rasch blockiert. Beatrice Tschanz wechselte nach den Trainingseinheiten zum „HOLPRINZIP“ im Internet und Intranet. Es wurden separate Seiten zur Information der Mitarbeiter, der Angehörigen der Opfer, für die Medien usw. angeboten. Als es dann zum tragischen Absturz der Swissairmaschine kam, konnte die Krise ohne grössere Probleme gemanagt werden.
Erfahrung des Chef Swiss-Ski, Urs Lehmann
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Ich habe Urs Lehmann geschrieben:
Sie hatten als Chef Swiss-Ski einige heikle Situationen erlebt und nach meinen Beobachtungen bei allen Krisensituationen stets professionell reagiert. (Meine Frage habe ich vor dem offen ausgetragenen Zoff zwisches Swiss-Ski und dem OK der Lauberhornrennen gestellt): Was muss aus Ihrer Erfahrung in Krisensituationen vor allem beachtet werden (im Umgang mit Medien)?
Urs Lehmann:
„Bei der Krisenkommunikation ist es wichtig, dass man klar, kompetent, authentisch-empathisch mit den Stakeholdern (oder Medienleuten) kommuniziert.
Mir persönlich hat immer geholfen, wenn mich in der Vorbereitung kompetente Kommunikationsberater die Nasty Questions „trainiert“ haben, d.h. Rollenspiele, Interview- oder Präsentationssimulationen usw.
Wenn ich zwischen den zwei Antworten nur eine wählen müsste, dann wäre mir das hilfreichste die Rollenspiele. Mit diesen habe ich jeweils meine Messages gefestigt und aus verschiedenen Perspektiven ausloten und verfeinern können.“
Fazit: Krisen sind immer auch eine Chance.
Das chinesische Zeichen für Krise bedeutet Chance und Gefahr. Bei der Krisenkommunikation kann generell gesagt werden: Menschen sind Angstwesen. Angst kann uns vor einer Gefahren bewahren.
Sie kann uns aber auch im Denken blockieren. Wenn sich jedoch zeigt, dass Krisen bewältigt werden können, beeinflusst dies unsere Einstellung und unser Verhalten bei künftigen heikeln Situationen positiv.
Ich bin überzeugt: Nach der Bewältigung der Coronakrise werden viele Menschen nicht mehr zum alten Modus zurückkehren wollen (immer schneller, immer grösser, immer billiger).
Werte verändern sich nach der Ueberwindung der Coronakrise hinsichtlich der Arbeitshaltung, der Ferien (Billigflüge, Kreuzfahrten), der Kinderbetreuung und der Globalisierung, zwangsläufig. Die Ueberwindung dieser Krise wird Folgen haben. Sie führt bestimmt vielerorts zu einem Umdenken.
Wenn wir lernen. überraschende Situationen zu meistern, fühlen wir uns Aengsten weniger ausgeliefert.
Wichtig bleibt das Trainieren von Stresssituationen mit bewährten Methoden. Stegreifspielen, Rollenspielen, Arbeit im Simulator(Fachgerehtes Videofeedback). Das Lesen von Tipps allein genügt nicht. Das eigene Verhalten in Krisen kann in erster Linie durch prozessorientieres Üben verbessert werden. Schwimmen lernen wir letztlich auch nur im Wasser.
* Marcus Knill ist Experte für Medienrhetorik. Im Umgang mit Medien in Krisenkommunikation war er u.A. auch Lehrbeauftragter und Dozent an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (Heute FHGR) Laufend machte er bei unterschiedlichsten Institutionen Persönlichkeiten fit im Umgang mit Medien.