Phänomen "TANZ- Demo"
Die Tanz Demo in den Grossstädten kann nicht mit den Jugendunruhen der 70er und 80 er Jahre verglichen werden.
Sie hat angeblich keine eigentliche politische Dimension. Es geht in erster Linie um Fun, um Freude am spontanen, gemeinsamem Zusammensein. Die Grossveranstaltungen lassen sich übers Internet kurzfristig organisieren - ohne Werbekosten. Die einzige "politische" Botschaft könnte die Forderung nach Freiräumen auf öffentlichem Grund sein.
Aus dem Medienspiegel: Viel Arbeit für die Putzequipe - die Sprayer schreckten auch vor dem Bundeshaus nicht zurück.
In der Nacht auf den Sonntag, 3. Juni 2012, tanzten zehntausend Menschen durch die Innenstadt von Bern.
Begleitet wurden die Tanzenden von Musikwagen, die mit ihrem Sound ordentlich einheizten.
Unter dem Motto «Tanz dich frei» demonstrierten sie so für mehr Freiräume und weniger behördliche Beschränkungen.
Berns Innenstadt ist innert Stunden in eine Party-Meile verwandelt worden.
Während des Umzugs wurden auch Knallpetarden gezündet.
Die Polizei tolerierte den Umzug, zeigte sich aber sehr präsent.
Die Menschenmasse feierte noch bis in die frühen Morgenstunden.
Schon am frühen Abend hatten sich die ersten Demonstranten vor der Reitschule versammelt.
Getanzt wurde überall - auch auf dem Dach einer Tramhaltestelle.
Die Stimmung in Berns Strassen war ausgelassen.
Der ganze Bundesplatz war gefüllt mit Tanzenden.
Partygänger kletterten gar auf den Baldachin beim Berner Hauptbahnhof und zündeten Petarden.
Die Demonstranten warteten auch mit originellen Spruchbändern ...
... oder symbolträchtigen Dekoelementen auf.
Um fünf Uhr morgens gab die Berner Band Patent Ochsner bei der Reithalle noch ein Spontankonzert.
Der
Bundesplatz nach der Tanz-Demo. Am Rande kam es zu Schlägereien und
Tätlichkeiten. Bei der Polizei gingen zudem unzählige Lärmklagen ein.
Am
frühen Morgen zeigte sich dasselbe Bild wie jeweils nach der Fasnacht
und nach grossen Fussballspielen - die Strassen waren übersät mit Abfall
und die Sanitätspolizei barg zahlreiche Alkoholleichen.
Letzte Woche - zu diesem Zeitpunkt waren auf Facebook rund 6000
Personen angemeldet - wurde geschätzt. (Quelle 20 Min):
*Der promovierte Sozialanthropologe Heinz Nigg
gilt als intimer Kenner der Schweizer Jugendbewegungen. Neben mehreren
Publikationen zum Thema bleibt vor allem sein Kurzfilm
«Opernhaus-Krawall – 30. Mai 1980» in Erinnerung.
Ich zitiere aus einem Interview im 20 Min mit ihm:
Letzten Sommer haben illegale Grossanlässe in Zürich für Aufregung
gesorgt, nun die Berner Party-Demo. Sind wir mit einem neuen
Massenphänomen konfrontiert?
Man darf die Anlässe nicht verwechseln. Die Zürcher Behörden wussten gar nicht wirklich, mit wem sie es zu tun hatten. Da steckten keine wirklichen Organisatoren dahinter. Das war in Bern anders: Die Aktivisten aus dem Umfeld der Reithalle kennt man gut, auch Verantwortliche aus der Klubszene waren dabei. Aber selbstverständlich gibt es Parallelen.
Die schnelle und offenbar äusserst effiziente Mobilisierung über soziale Medien?
Ja, aber nicht nur. Die heutige Jugend steht unter einem enormen gesellschaftlichen Druck. Wir haben glücklicherweise keine Massenarbeitslosigkeit wie in Spanien oder Griechenland, aber es muss richtig «gekrampft» werden. Irgendwo braucht es ein Ventil, um diesen Dampf abzulassen. Wenn dieser verstärkte Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung dann mit dem oftmals streng reglementierten Nachtleben kollidiert, reicht dies, um eine Massenbewegung auszulösen.
Also stufen Sie die «Tanz-Demo» als politischen Anlass ein?
Im Gegensatz zu den 68er- und 80er-Bewegungen hat es heute ohne Zweifel mehr Beteiligte, die aus purem Spass an solch einer Demo teilnehmen. Das gilt aber längst nicht für alle. Auch wenn es heute einfacher ist, Leute zu mobilisieren: Die neuen Kommunikationsmittel können eine Bewegung nicht schaffen, sie können sie nur verstärken. Es braucht stets eine Ursache für solch eine massive Teilnahme.
Man darf die Anlässe nicht verwechseln. Die Zürcher Behörden wussten gar nicht wirklich, mit wem sie es zu tun hatten. Da steckten keine wirklichen Organisatoren dahinter. Das war in Bern anders: Die Aktivisten aus dem Umfeld der Reithalle kennt man gut, auch Verantwortliche aus der Klubszene waren dabei. Aber selbstverständlich gibt es Parallelen.
Die schnelle und offenbar äusserst effiziente Mobilisierung über soziale Medien?
Ja, aber nicht nur. Die heutige Jugend steht unter einem enormen gesellschaftlichen Druck. Wir haben glücklicherweise keine Massenarbeitslosigkeit wie in Spanien oder Griechenland, aber es muss richtig «gekrampft» werden. Irgendwo braucht es ein Ventil, um diesen Dampf abzulassen. Wenn dieser verstärkte Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung dann mit dem oftmals streng reglementierten Nachtleben kollidiert, reicht dies, um eine Massenbewegung auszulösen.
Also stufen Sie die «Tanz-Demo» als politischen Anlass ein?
Im Gegensatz zu den 68er- und 80er-Bewegungen hat es heute ohne Zweifel mehr Beteiligte, die aus purem Spass an solch einer Demo teilnehmen. Das gilt aber längst nicht für alle. Auch wenn es heute einfacher ist, Leute zu mobilisieren: Die neuen Kommunikationsmittel können eine Bewegung nicht schaffen, sie können sie nur verstärken. Es braucht stets eine Ursache für solch eine massive Teilnahme.
Kommentar: Das neue Phänomen wird nach meinem Dafürhalten die Behörden und unsere Gesellschaft noch länger beschäftigen. Denn das Problem "Tanz Party" ist mit Vorschriften und Polizei schlecht in den Griff zu bekommen. Die Lärmbelästigung der Bewohner, die zusätzlichen Kosten für Müllentsorgung und die zahlreichen Sachbeschädigungen werden mit zusätzlichen Vorschriften nicht einfach zu bewältigen seine. Denn: Es gibt zu viele gegensätzliche Interessen. Der Massenaufmarsch dank einfacher Mobilisierung, die unzähligen Bilder und Filme - die ideales Gratis - Material für die Medien hergeben (soziale - und Boulevardmedien) - tragen zur Propagierung solcher Anlässe bei. Auch in anderen grösseren Städten wird dieses erfolgreiche Phänomen zu einem Dominoeffekt führen. Die Städte müssen sich somit künftig darauf einstellen, dass sie mit dem neuen Phänomen leben müssen. Wenn Politiker dem Bedürfnis nach zusätzlichen kulturellen Freiräumen nicht nachkommen, werden die Probleme weiter eskalieren. Es fragt sich nur: Wo sollen dies Freiräume sein?
NACHTRAG:
(Im CLUB SF 1 vom 5. Juni) beschäftigte sich die Runde auch mit dem Phänomen Tanz- Party. Ich zitiere:
Hier die wichtigsten Fakten und Botschaften des gestrigen «Clubs» in Kurzfassung: Die Zeiten haben sich geändert. Es gibt deutlich mehr Bars, die bis in die Nachtstunden offen haben können, die Partyszene konzentriert sich immer mehr auf die Stadtzentren, unter anderem weil Vereine kaum mehr Alternativen bieten und das S-Bahn-Netz stark ausgebaut wurde. Auf der anderen Seite wurden Regeln verschärft und die Klagehäufigkeit hat zugenommen. Theoretisch wollen alle aneinander vorbei kommen. Bloss wollen die Jugendlichen nicht auf Geräusche verzichten und die Älteren nicht auf ihre Ruhe. Diese fühlen sich durch die Partyszene eingeschränkt, jene durch die Regeln der Erwachsenen.
Die Jugend fühlt sich also unverstanden, umso mehr, als sie am kürzeren Hebel zu sein scheint. Sollen sie sich doch formieren und die Regeln auf dem Gesetzesweg zu ändern versuchen, wehrte sich Alexander Tschäppät. Dies als Reaktion auf Bergers Vorschlag, urbane Zonen einzuführen, in denen ein gewisser Partypegel zu dulden sei. Tschäppät weiss sehr wohl, dass es fünf bis zehn Jahre dauern kann bis zu einem Urnengang. Bis es so weit ist, wird Berger selber dem Jugendalter definitiv entwachsen sein. Gut möglich, dass er bei einem allfälligen Urnengang heimlich ein Nein in die Urne wirft, um sein Quartier vor einer urbanen Zone zu schützen. Andererseits wird es wieder neue Jugendliche geben, die für ihre Rechte kämpfen werden – und müssen. Denn wie sagte Tschäppät zwischendurch: «Nur eine Freiheit, die man sich nehmen kann, ist eine richtige Freiheit und nicht eine solche, die einem geschenkt wurde.»
(Tagesanzeiger.ch/Newsnet)
(Im CLUB SF 1 vom 5. Juni) beschäftigte sich die Runde auch mit dem Phänomen Tanz- Party. Ich zitiere:
Hier die wichtigsten Fakten und Botschaften des gestrigen «Clubs» in Kurzfassung: Die Zeiten haben sich geändert. Es gibt deutlich mehr Bars, die bis in die Nachtstunden offen haben können, die Partyszene konzentriert sich immer mehr auf die Stadtzentren, unter anderem weil Vereine kaum mehr Alternativen bieten und das S-Bahn-Netz stark ausgebaut wurde. Auf der anderen Seite wurden Regeln verschärft und die Klagehäufigkeit hat zugenommen. Theoretisch wollen alle aneinander vorbei kommen. Bloss wollen die Jugendlichen nicht auf Geräusche verzichten und die Älteren nicht auf ihre Ruhe. Diese fühlen sich durch die Partyszene eingeschränkt, jene durch die Regeln der Erwachsenen.
Die Jugend fühlt sich also unverstanden, umso mehr, als sie am kürzeren Hebel zu sein scheint. Sollen sie sich doch formieren und die Regeln auf dem Gesetzesweg zu ändern versuchen, wehrte sich Alexander Tschäppät. Dies als Reaktion auf Bergers Vorschlag, urbane Zonen einzuführen, in denen ein gewisser Partypegel zu dulden sei. Tschäppät weiss sehr wohl, dass es fünf bis zehn Jahre dauern kann bis zu einem Urnengang. Bis es so weit ist, wird Berger selber dem Jugendalter definitiv entwachsen sein. Gut möglich, dass er bei einem allfälligen Urnengang heimlich ein Nein in die Urne wirft, um sein Quartier vor einer urbanen Zone zu schützen. Andererseits wird es wieder neue Jugendliche geben, die für ihre Rechte kämpfen werden – und müssen. Denn wie sagte Tschäppät zwischendurch: «Nur eine Freiheit, die man sich nehmen kann, ist eine richtige Freiheit und nicht eine solche, die einem geschenkt wurde.»
(Tagesanzeiger.ch/Newsnet)