VOR DEM DUELL MC CAIN-OBAMA
Spiegel-onlines Vorinformationen:
Nashville - Die Sonne scheint warm auf den grünen Campus der Belmont-Universität in Nashville, und die Debatte ist schon voll im Gange. Barack Obama und John McCain werden erst am Dienstagabend hier streiten, im zweiten TV-Duell. Aber jetzt hat der Gouverneur von Tennessee zur Diskussion geladen. Es geht, ausgerechnet, um "civility", um höflichen Umgang. Prominente Republikaner und Demokraten sitzen nebeneinander, sie schreien nicht, sie reden nicht übereinander, sie sprechen miteinander. Die Beiträge kreisen darum, wie der Wahlkampf so hässlich werden konnte, und wo denn eigentlich die politischen Inhalte geblieben seien. Sie klingen ein wenig ratlos.
AFP
Wahlkämpfer McCain, Obama (bei der ersten Debatte in Oxford, Mississippi): "Sie sollen bloß nicht wieder aufeinander losgehen"
Es ist nur ein Beiprogramm, diese Nachmittagsdiskussion, eine Etappe im Countdown zum Kandidaten-Schlagabtausch. Doch sie wirkt wie eine Aufforderung zur Mäßigung an die beiden Bewerber. Genau wie die staatstragende Ausstellung aller US-Präsidenten in der Nähe des Debattensaals, mit umfassender Würdigung der Verdienste von Vertretern beider Parteien. Davor stehen ein paar Belmont-Studenten, sie reden natürlich über das TV-Duell, sie wünschen sich, dass Obama und McCain möglichst konkrete Antworten geben auf die Fragen der Bürger. "Sie sollen bloß nicht wieder aufeinander losgehen", sagt einer.
Ein Ruf nach mehr Harmonie. Nur: Die beiden Adressaten können ihn gar nicht hören. Sie sind noch viele Meilen entfernt, und so beherrscht stattdessen ihr Zank Schlagzeilen und Nachrichtensendungen. "Wer ist der wahre Barack Obama?", ruft McCain in Albuquerque. Er nennt seinen Rivalen einen "Politiker aus Chicago", in der Geheimsprache der US-Politik ein Synonym für korrupte Polit-Verhältnisse. Und der Republikaner erinnert die Wähler grimmig: "Ich bin nicht einfach aus dem Nichts aufgetaucht. Amerika kennt mich."
Soll heißen: Obama ist eine riskante Wahl.
McCain-Vize Sarah Palin, die schon am Wochenende den Demokraten in die Nähe von Terroristen gerückt hatte, schlägt in dieselbe Kerbe:
"Barack Obama sieht Amerika als unperfekt genug an, um mit ehemaligen Terroristen zusammenzuarbeiten, die unser eigenes Land angegriffen haben", ruft sie. Palin spielt darauf an, dass der ehemalige Vietnam-Protestler und Bombenwerfer Will Ayers einst mit Obama im Vorstand einer Stiftung in Chicago gedient hat. Auf McCain-Wahlkampfveranstaltungen sprechen Redner mittlerweile den vollen Namen Obamas genüsslich aus:
"Barack Hussein Obama."
US-PRÄSIDENTSCHAFT: OBAMA UND MCCAIN IM DAUERWAHLKAMPF
Fotostrecke starten: Klicken Sie auf ein Bild (14 Bilder)
Doch auch die Demokraten lassen sich nicht lange bitten. Ein neuer TV-Spot des Obama-Teams erinnert daran, wie
McCain einst in einen Skandal um Hilfe für einen umstrittenen Finanzhai verwickelt war - vor rund zwanzig Jahren. Ein anderer Streifen nennt McCains Verhalten in der Finanzkrise "erratisch" - und vermittelt bewusst den Eindruck, der 72 Jahre alte Senator sei vielleicht schon ein bisschen senil.
Sechs Millionen Zusendungen für sechs oder sieben Fragen
Im "Curb Event Center", wo die Kandidaten debattieren werden, wirkt das Getöse weit weg. Vor blauer Wand prangt die Aufschrift "Die Union und die Verfassung auf ewig", weicher roter Teppich schluckt den Hall der Schritte.
Es ist ein großer Saal, doch eigentlich dreht sich alles um einen kleinen Halbkreis im Scheinwerferlicht. In dem stehen zwei Stühle mit grauer Polsterlehne. Auf denen dürfen die beiden Kandidaten Platz nehmen, sie dürfen auch aufstehen, aber sie müssen im zugewiesenen Teil der Bühne bleiben. Drumherum stehen rund 80 graue Sessel für Bürger, aus deren Kreis die Fragen kommen werden.
Wer wann und wie Fragen stellen darf, haben beide Lager haarklein ausgehandelt, in einem 31 Seiten langen Abkommen. "Gallup" wählte in wochenlanger Telefonrecherche "unentschlossene" Wähler aus, für Ideologen soll kein Raum sein. Diese
sorgfältig vorsortierten Bürger dürfen ihre Frage verlesen, egal zu welchem Thema, nur Nachfragen sind nicht gestattet. Die Kandidaten haben je zwei Minuten Zeit für Antworten, dann soll es eine Minute lang hin und her gehen. Moderator ist TV-Urgestein Tom Brokaw, der zudem ein Drittel der Fragen aus Online-Vorschlägen auswählen wird. Laut "New York Times" hat Brokaw dafür rund sechs Millionen Zusendungen erhalten. Doch die Zeit dürfte wohl nur für sechs bis sieben reichen. Trotz solcher strengen Regeln steht also eine Art Bürgersprechstunde an - die einzige der drei Fernseh-Debatten. McCain liebt solche Runden. Sie haben ihm die Kandidatur der Republikaner gesichert. McCain, hinterm Rednerpult oft steif und ungelenk, wirkte im Vorwahlkampf im direkten Austausch mit Wählern locker und entspannt. Er scherzte über sein Alter, er sprach bewegend von Verantwortung und Vaterlandsliebe. So wohl fühlte sich McCain in solchen Runden, dass er Obama über den Sommer antrug, ein Dutzend Mal gemeinsam vor die Bürger zu treten - was der Demokrat aber ablehnte. Obamas Team hat übrigens bereits versucht, die Erwartungen für das zweite TV-Duell herunterzuschrauben. "Diese Art Veranstaltung ist ein Heimspiel für John McCain", lassen Obama-Strategen verlauten.
McCain trainierte tagelang auf der Ranch
Der Republikaner hat sich entsprechend sorgfältig vorbereitet. Tagelang trainierte McCain auf der Ranch in Sedona für den Fernseh-Auftritt. Für ihn steht viel auf dem Spiel. Seit Beginn der US-Finanzmisere ist er in den Umfragen deutlich zurückgefallen.
McCain muss unbedingt das Thema wechseln. Die Attacken der vergangenen Tage auf Obamas Charakter sollen dabei helfen, doch sie könnten heute Abend auch zum Dilemma für den Republikaner werden. Denn in der TV-Bürgersprechstunde, die bis zu 70 Millionen Zuschauer sehen könnten, erwarten die Zuschauer Antworten auf konkrete Fragen - und eine überzeugende Vision, wie beide Bewerber das Land aus der Wirtschaftskrise führen wollen. Attacken auf den Rivalen, wie McCains Lager sie in den letzten Tagen begann, dürften nach hinten losgehen.
Chuck Todd, politischer Direktor des Fernsehsenders NBC, steht am Abend vor der Belmont Universität. Todd ist der Zahlenguru dieses Wahlkampfes, er hat auch jetzt die neuesten Umfragen parat, er verkündet sie atemlos in die Kamera, und fast wirkt es, als könne Todd die selbst nicht glauben: Nur noch zwölf Prozent der Amerikaner glauben, dass das Land in die richtige Richtung marschiert. Wenn man Hardcore-Republikaner herausrechnet, sind nur noch zehn Prozent der US-Bürger mit Bushs Amtsführung zufrieden.
Wie soll McCain angesichts so negativer Vorzeichen eigentlich noch eine Chance haben, grübelt Todd laut. Mit Verweisen auf Obamas Mittelnamen oder seine angeblichen Terroristenverbindungen? Todd ist skeptisch. "Die Wähler scheinen so fixiert auf die Wirtschaftslage", sagt er, "dass sie sich vielleicht diesen ganzen anderen Müll gar nicht beachten werden."
TV-DUELLE - HIGHLIGHTS IM US-PRÄSIDENTSCHAFTSWAHLKAMPF
Die Debatte zwischen dem damaligen Vize-Präsidenten Richard Nixon (rechts im Bild) und seinem demokratischen Herausforderer John F. Kennedy am 26. September 1960 gilt als Geburtsstunde des Fernsehens als wahlentscheidendem Medium und brachte den Durchbruch für Kennedy. Der sportliche Senator aus Massachusetts wandte sich mit jungenhaftem Charme direkt an die Zuschauer. Der schlecht rasierte und nach einer Erkrankung sichtlich abgemagerte Nixon verlor entscheidende Prozentpunkte, wie Umfragen belegten. Nach den schlechten Erfahrungen Nixons gab es eine 16-jährige Pause. Nixon gewann 1968 und 1972 die Wahlen und ging weiteren Debatten aus dem Weg.
Seit 1976 sind die Auftritte fester Programmpunkt im Kampf ums Weiße Haus. Damals setzte sich mit dem republikanischen Amtsinhaber Gerald Ford (rechts im Bild) erstmals ein US-Präsident vor laufenden Kameras mit seinem Herausforderer auseinander.
In der zweiten, live aus San Francisco in Millionen Wohnzimmer übertragenen Debatte mit Jimmy Carter beging Ford einen verhängnisvollen Fehler. Er behauptete, es gäbe keine sowjetische Herrschaft in Osteuropa. In den Wochen danach scheiterten mehrere Versuche Fords, seine Äußerungen zu relativieren.
Der "große Kommunikator" Ronald Reagan (im Bild beim Amtseid 1981) hatte 1984 die Lacher auf seiner Seite, als der damals bereits 73-Jährige zur Altersfrage bemerkte, er wolle dem 17 Jahre jüngeren Demokraten Walter Mondale seine "Jugend und Unerfahrenheit" nicht vorwerfen. 1980 hatte Reagan mit der Frage an die Wähler "Seid ihr heute besser dran als vor vier Jahren?" gegen Amtsinhaber Carter punkten können.