Die Lust am Schecklichen - solange man nicht betroffen ist
Standbild aus dem Amnesty-International-Film «Stuff Of Life», das Waterboarding zeigt.
Für Kinder üben Folternkammern auf Burgen einen sonderbaren Reiz aus. Ich weiss noch gut, wie mich an einer Schulreise die "eiserne Jungfrau" Beim Besuch einer Folterkammer in einem Museum lange beschäftigt hatte. Ich versuchte mir auszumalen, welche Schmerzen erduldet werden müssen, wenn man in die eiserne Rüstung gesteckt wird und beim Schliessen der Rüstung die zahlreichen Nadeln durch den Körper dringen.
Später musste sich mich als Medienpädagoge mit den Darstellungen in Brutalovideos und Gewaltdarstellungen beschäftigen und erkannte, dass Gruselszenen und Folterungen für viele Jugendliche einen Reiz haben und der Nervenkitzel - wie im Kino bei Krimis - lustvoll sein kann, aber nur, wenn man das Geschehen nur als Unbeteiligter gleichsam nur von aussen mitverfolgen kann.
Heute wurden im Internet (Tagi online) Foltermethoden publiziert, die in Amerika angewendet wurden, um Geständnisse zu erzwingen. Wer folgende Publikation liest, dem wird es ähnlich ergehen, wie es mir als Kind in der Folterkammer in der Kyburg ergangen ist.
Ich zitiere:
Die Memoranden aus dem US-Justizministerium enthalten Einzelheiten zur harschen Verhörpraxis unter der Regierung von Präsident George W. Bush. Die Dokumente aus den Jahren 2002 und 2005 dienten dem US-Geheimdienst CIA als Richtlinie für die Befragungen von Häftlingen, die mutmasslich zum Terrornetzwerk al-Qaida gehörten. Nur wenige Textstellen sind geschwärzt worden.
Die vier Memoranden, die alle zwischen 13 und 20 Seiten lang sind, enthalten 14 Foltermethoden, mit denen Häftlinge dazu gebracht werden sollen, Informationen preiszugeben. Dabei weisen die Autoren permanent darauf hin, wie harmlos die Verhörmethoden seien.
Das US-Justizministerium hat die Verhörtechniken in drei Kategorien eingeteilt. Zur ersten zählen Methoden, um den Häftling zu erniedrigen und in einen «Zustand der Abhängigkeit» zu bringen:
Schlafentzug:
Der Gefangene wird gezwungen zu stehen, die Hände gefesselt vor dem Bauch. «Das verhindert, dass er einschläft.» Auch an den Füssen gefesselt, kann er sich in einem Rechteck von 60 auf 90 Zentimetern bewegen und wird bis zu elf Tagen wach gehalten.
Erzwungene Nacktheit:
Der Häftling wird gedemütigt, weil sein «kulturelles Empfinden» verletzt wird oder indem ihn eine weibliche Beamtin betrachtet.
Zwangsdiät:
Die feste Nahrung wird durch Flüssignahrung ersetzt. «Verschieden Schlankheitskuren, welche in den USA erhältlich sind, reduzieren die Kalorienzufuhr mindestens so stark», heisst es. Die Verhörtechniken der zweiten Kategorie bezwecken, den Häftling «zu erschrecken oder zu massregeln».
Schlag in den Unterleib:
Der Befrager schlägt mit dem Handrücken zu, darf aber keinen Ring tragen. Empfohlen zusammen mit der Eiswasserdusche.
Gesichtsgriff:
Der Häftling wird im Gesicht so angepackt, dass er den Kopf nicht mehr bewegen kann.
Schlag ins Gesicht:
Das Ziel ist nicht körperlicher Schmerz, sondern Überraschung, Schock und Beleidigung.
Griff an den Kragen:
Der Häftling wird überrascht und erschreckt. Mit den Methoden der dritten Kategorie wird der Häftling «physisch und psychisch unter Druck» gesetzt.
Simuliertes Ertrinken (Waterboarding):
Der Häftling wird mit verbundenen Augen auf eine Bank gefesselt, die Füsse angehoben. Mund und Nase werden mit einem Tuch bedeckt und 20 bis 40 Sekunden mit Wasser begossen. Der Verhörte leidet unter «seelischen Qualen und Todesangst». Der Vorgang «kann wiederholt werden». Das simulierte Ertrinken darf nur angewendet werden kombiniert mit einer Zwangsdiät und Schlafentzug.
Stehen an der Wand:
Das Folteropfer steht einen Meter vor der Wand und muss sich nach vorn lehnen, bis es mit den Fingerspitzen die Wand berührt. Ziel ist die Ermüdung der Muskeln.
Schmerzhafte Körperhaltung:
Der Gefangene soll auch damit stark ermüdet werden. Zum Beispiel, indem der Häftling kniet und sich 45 Grad nach hinten lehnt.
Dusche mit Eiswasser:
Wasser von einer Temperatur von 5 Grad Celsius wird über den Häftling gegossen.
Arrest in dunkler Kiste:
Eingeengt, wird die sinnliche Wahrnehmung gestört.
Wurf gegen Holzwand:
Wenn der Beamte den gefesselten Häftling gegen die Wand stösst, gibt es einen Knall. «Der Aufschlag soll härter wirken, als er ist.»
Arrest in dunkler Kiste mit Insekt:
Einem Gefangenen, der Angst vor Insekten hat, wird suggeriert, dass sich in der Kiste Ungeziefer befindet. Tatsächlich ist dort aber nur eine harmlose Raupe. Diese Foltermethode hat bereits George Orwell in seinem Roman «1984» beschrieben. Das IKRK hat die Verhörmethoden der US-Behörden zwischen 2002 und 2006 untersucht. Die Gespräche mit 14 Häftlingen ergaben, dass die vom US-Justizministerium empfohlenen Verhörmethoden weitgehend angewendet wurden. (Tages-Anzeiger)
Kommentar: Die Methoden werden zwar als harmlos beschrieben. Doch Betroffene teilen diese Behauptung nicht. Mein Mentor (ein Diplompsycholge aus Deutschland, der mich in der Supervision ausgebildet hatte) kam gegen Ende des zweiten Weltkrieges ins Konzentrationslager Bautzen.
Seine Schilderungen der grauenhaften Erlebnisse sind tatsächlich noch schlimmer als jene Methoden, die der Tagi heute publiziert hat. Doch konnte ich mir alle geschilderten Methoden im Konzentrationslager gar nicht mehr richtig vorstellen, denn die Folterungen überstiegen das Vorstellungsvermögen eines Menschen, der so etwas noch nie erlebt hatte: Ein paar Monate Dunkelheit. Es wird ein Todesurteil ausgesprochen, doch die Erschiessung erfolgt ohne Munition. Stress pur. Oder: Der GEfangene wird einen Heizkörper gebunden und die Temperatur wird langsam gesteigert, bis es zu Verbrennungen kommt. Tagelang Schlafentzug d.h. wenn der Gefangene einnickt, wird er nach einigen Minuten mit einem Sirenenton aus dem Schlaf gerissen. Oder: Arbeiten ohne Schuhe draussen in der Kälte. Essenentzug. Redeverbot über Wochen usw.
Der deutsche Diplompsychologe hat zwar später seine unvorstellbaren Erlebnisse in einen Buch niedergeschrieben. Von den Gefangenen in seinem Gebäude haben übrigens nur vier seiner Freunde diese Hölle überlebt. Die fünf Ueberlebenden vertraten alle die Meinung: Physische Stärke sei nicht das Wichtigste beim Ueberlebenskampf. Vor allem die geistige Widerstandkraft habe geholfen, die Torturen zu überstehen.