Herr Blocher, es muss ein
gutes Gefühl sein, schon wieder als Sieger aus einer solch
richtungsweisenden Abstimmung hervorgegangen zu sein.
Ob ich glücklich darüber bin oder nicht, ist nicht entscheidend.
Aber die Schweiz kann aufatmen, dass das Volk so mutig Stellung zur
Selbstentscheidung bezogen hat – und das, obwohl man den Leuten im
Abstimmungskampf dermassen Angst gemacht hat. Jetzt gilt es, die
Handlungsfreiheit in Sachen Zuwanderung wieder zu erlangen. Mit der
Annahme der Zuwanderungsinitiative steht jetzt in der Verfassung, dass
die Schweiz die Zuwanderung selbst steuert. Wir sind nicht Mitglied der
EU und wollen es nie sein.
Behauptet denn heute jemand, dass wir das sind?
Ja. Zumindest die EU tut so, als würden wir zu ihr gehören und der
Bundesrat akzeptiert dies – trotz klarem EWR-Nein von 1992. Ebenso die
Mehrheit des Parlaments. Die Verantwortlichen haben die Europäische
Union bis heute im Glauben gelassen, dass die Schweiz der EU zumindest
beitreten wolle. Und die EU hat es geglaubt. Deshalb haben wir jetzt
einen solchen Salat! Mit der Übernahme der Personenfreizügigkeit hat die
Schweiz ihre Unabhängigkeit faktisch preisgegeben. Jetzt ist das
korrigiert.
Dass sich das Volk für eine Neuverhandlung
der Personenfreizügigkeit ausgesprochen hat, muss für Sie ein ähnlicher
Triumph wie das EWR-Nein 1992 sein.
Der Entscheid gegen den EWR-Beitritt war natürlich viel umfassender.
Aber wie 1992 hat das Volk auch gestern realisiert, dass die
Unabhängigkeit unseres Landes auf dem Spiel steht. Die Bevölkerung, die
unter den Folgen der explosiven Zuwanderung leidet, hat ihre Stimme
erhoben, während die Classe politique und der Bundesrat die Gefahr nicht
ernst nahmen.
Der Bundesrat ist es aber, der nun für die Umsetzung verantwortlich ist.
Ja, weil er sich als Regierung wählen liess, um den Auftrag der
betroffenen Bürger zu erfüllen. Und wenn er das nicht kann, muss man ihn
auswechseln. Sicher ist, dass der Bundesrat keine Strategie hat, wie er
der EU entgegentreten soll. Er weiss ja nicht einmal selber, was er
will. Seit dem 9. Februar 2014 sollte er aber wissen, was er muss.
Wie sollte seine Strategie denn aus Ihrer Sicht aussehen?
Es ist doch ganz einfach! Zuerst – nun sag ich es noch einmal – ist
der EU endlich klar mitzuteilen, dass die Schweiz nicht Mitglied ist und
auch nicht werden will. Sie ist ein ausserhalb der Europäischen Union
liegendes Land. Für sie gilt die Rechtsordnung der Schweiz und nicht der
EU. Die schweizerische Unabhängigkeit ist in Artikel 2 der
Schweizerischen Bundesverfassung festgeschrieben. Darum ist endlich das
Beitrittsgesuch von 1992 für gegenstandslos zu erklären. Und die dritte
Botschaft ist: Die Schweiz ist auch kein Mitglied des Europäischen
Binnenmarktes und will es auch nicht sein. Sonst müssten wir nämlich
alle EU-Regelungen übernehmen – in der Steuerpolitik, in der
Aussenpolitik, bis hin zur Währung.
Die FDP hat ja bereits vorgeschlagen, dass Sie die Verhandlungen mit der EU führen sollen. Wären Sie dazu bereit?
Ich danke natürlich vielmals für den grosszügigen Vorschlag einer
eher hilflosen FDP. Es ist aber schon ein wenig merkwürdig, dass man der
grössten Partei, die bei wichtigen Fragen über 50 Prozent der Stimmen
auf sich vereint, keinen zweiten Bundesratssitz zugestehen will. Und
dann deren Hilfe will, wenn man selbst in der Tinte sitzt. Aber auch ein
fähiger Diplomat kann nur gute Resultate erzielen, wenn er
Verhandlungs-Vollmacht hat, und wenn auf keinen Fall der Bundesrat
selber verhandeln will!
Weshalb soll der Bundesrat nicht selber verhandeln?
Der Bundesrat hat ja das Gefühl, er müsse immer sagen, was die EU
hören will. Dabei macht das kein normaler Mensch: Mit jemandem
verhandeln, der die gleiche Meinung vertritt. Es braucht Diplomaten, die
hart auftreten können. Wenn sie keine Einigung mit der EU erzielen
können, können sie immer noch sagen: «Ich habe zu Hause einen Chef, der
will das so, ich kann Ihnen nicht weiter entgegenkommen.» Der Bundesrat
hingegen kann das nicht.
Diese Theorie gehört ja quasi zum kleinen Einmaleins der Diplomatie. Weshalb glauben Sie, dass der Bundesrat das nicht weiss?
Bis in die 80er-Jahre wusste das unsere Landesregierung. Der
Bundespräsident ging prinzipiell nie ins Ausland, weil er sich nicht auf
die Forderungen einlassen wollte. Heute scheint von diesem Bewusstsein
nichts mehr übrig zu sein. Dabei wäre es so einfach: Wenn man sich nur
auf diesen eisernen Grundsatz zurückbesinnen würde, wäre man mit der EU
viel erfolgreicher. So oder so: Die anstehenden Verhandlungen sind kein
Zuckerschlecken, aber wir sind in einer starken Position. Die EU ist die
Bittstellerin: Sie hat ein Interesse daran, dass wir in der
Unternehmensbesteuerung, in Energiefragen oder bei der Zinsbesteuerung,
im Datenaustausch und so weiter mit ihr zusammenarbeiten.
Sie gehen davon aus, dass die Schweiz ein attraktiver Handelspartner
bleibt. Die Gegner Ihrer Initiative befürchten aber ein
wirtschaftliches Tief in der Schweiz, wie wir es nach dem EWR-Entscheid
schon einmal erlebt haben.
Das EWR-Nein hat uns keine wirtschaftlichen Schwierigkeiten
beschert, das ist dummes Zeug. Am Tag nach der Abstimmung ist die Börse
und der Franken gestiegen. Auch die Zinsen haben positiv nach unten
reagiert, die Leute wollten also mehr Geld anlegen. Der Punkt ist, dass
die Abstimmung mitten in einer Rezession stattgefunden hat. Die
Immobilienkrise, die grosse Teuerung und Steuererhöhungen sind dafür
verantwortlich, dass die 90er-Jahre wirtschaftlich schwierig waren,
nicht das EWR-Nein.
Dieses Mal ist die Situation
anders. Es wäre keine bestehende Krise schuld, sollte die Umsetzung
Ihrer Initiative zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen.
Natürlich kann es in den nächsten Jahren wieder zu wirtschaftlichen
Schwierigkeiten kommen, die Situation in ganz Europa ist alles andere
als stabil. Aber ich sage Ihnen etwas: In einer solchen Situation stünde
die Schweiz mit dem Kontingentssystem besser da als mit der
Personenfreizügigkeit, wie wir sie heute haben. Mit der
Personenfreizügigkeit bleiben die Ausländer – und es kommen erst noch
zusätzliche – nämlich auch, wenn es im Land Probleme gibt. In einem
Kontingentsystem gehen die meisten dagegen wieder nach Hause, wenn es
sie nicht braucht. Vielleicht wird der gesamte Kuchen mit dem
Kontingentssystem etwas kleiner, aber die einzelnen Stücke werden
grösser.
Dann hat künftig jeder Schweizer ein fettes Tortenstück auf dem Teller?
Zuerst muss die Initiative umgesetzt werden. Aber dann gibt es für jeden ein dickeres Kuchenstück, ja.
KOMMENTAR: Obschon ich mit Christoph Blocher nicht immer das Heu auf der gleicher Bühne habe und ich ihn schon oft kritisiert hatte, so überrascht er heute durch sein aussagekräftiges Interwiew - mit seinen souveränen Antworten. Jetzt - aus der Siegerposition heraus - antwortet er kurz, klar, bedacht. Seine Argumentation leuchtet ein: Die Schweiz muss in den Verhandlungen eigenständig auftreten. Denn die Schweiz ist nicht in der EU. Vielleicht war es ein Fehler, dass unser politisches Personal bislang noch nie eindeutig festgelegt hatte:
Wir treten nicht der EU bei! Dies wurde nie explizit festgehalten. Uebrigens:
Ich habe manche Wette verloren, weil für mich ein JA eine Sensation gewesen wäre. Heute habe ich in Gesprächen gemerkt, dass in der Bevölkerung gegenüber unser Landesregierung zu viel Ungereimtes sauer aufgestossen ist: Volksentscheide wurden zu wenig ernst genommen. Sie wurden nicht umgesetzt (Verwahrung, Ausschaffung). Es wird versucht, eindeutige Volksentscheide nachträglich als ungültig erklären zu lassen, weil sie angeblich mit der Menschenrechtskonvention nicht vereinbar sind. Heute hörte ich im Bus folgende beachtenswerte Aussage: Der Bundesrat wird bestimmt auch bei diesem Resultat den Volkswillen auf die lange Bnak schieben oder er wird den Auftrag gar nie so umsetzten, wie es beschlossen worden ist. Wer weiss:
Diese Stimmung des Misstrauens könnte auch mit beigetragen haben, dass viele ein JA auf den Stimmzettel geschrieben haben.