Die Einwohner Poschiavos schlossen bis vor
kurzem nie ihre Haustüre ab. Foto: PD
«Bis zum 7. Oktober hatten wir das Gefühl, wir leben im Paradies»,
sagt Allessandro Della Vedova, Gemeindepräsident von Poschiavo, eine
beschauliche Gemeinde im untersten Zipfel Graubündens. Die Aufregung im Dorf gross, als an jenem Morgen im Oktober gleich
fünfmal eingebrochen worden war, sogar ins Pfarrhaus waren die Diebe
eingedrungen. Danach verging kaum eine Nacht, ohne dass in ein Haus
eingebrochen wurde oder dies zumindest versucht worden wäre. Niemand
konnte sicher sein, dass in der kommenden Nacht nicht sein Haus an der
Reihe ist.
Die Südtäler Graubündens haben im Herbst eine
beispiellose Einbruchsserie erlebt: das Puschlav im Oktober, das Val
Müstair im September, davor waren mehrere Einbrüche in der Mesolcina und
im Churer Rheintal verübt worden. 24 Gemeindepräsidenten aus den
Südtälern haben sich daraufhin in einem Sicherheitskomitee
zusammengetan. Anfang Woche sind ihre Vertreter nun, angeführt von
Ständerat Stefan Engler und Nationalrat Martin Candinas, nach Bern zu
Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) gefahren, wie die
«Südostschweiz» berichtete. Ihre Forderung: Das Grenzwachtkorps, das in
den vergangenen Jahren stark verkleinert wurde, soll wieder aufgestockt
werden.
Bürger kontrollieren Autos
«Die
Sicherheit ist ein Grundbedürfnis», sagt Della Vedova. Im Oktober, als
die Einbrecher fast nächtlich zuschlugen, sei die Angst im Dorf spürbar
gewesen. Vor allem ältere Leute, die alleine lebten, hätten kaum mehr
schlafen können. Sie wussten, dass die Diebe dreist vorgehen und auch in
Häuser eindringen würden, in denen sich offensichtlich jemand aufhält.
Um sich zu schützen, bildeten die Poschiaver Bürgerwehren. In kleinen
Gruppen waren sie nachts zu Fuss oder mit dem Auto unterwegs. Wenn sie
etwas Verdächtiges sahen, meldeten sie es der Polizei. Sie hielten aber
auch Autos an und kontrollierten die Insassen.
Bis die
Polizei bei den Gemeindebehörden intervenierte. «Bürgerwehren sind
äusserst heikel», sagt Thomas Hobi, Sprecher der Bündner Kantonspolizei.
Sie seien nicht legitimiert, Personen zu kontrollieren, und seien auch
nicht dafür ausgebildet. «Täter schrecken unter Umständen nicht davor
zurück, sich zu wehren, und greifen allenfalls auch zu Messer oder
Pistole.» Besser sei es, die Bevölkerung sei wachsam und würde der
Polizei verdächtige Personen schnell melden. Laut Hobi ist es im
Puschlav zu 15 bis 18 Einbrüchen gekommen, definitive Zahlen liegen aber
erst nächsten März vor. Wie er sagt, steigt die Zahl der Einbrüche in
Graubünden aber bereits seit etwa fünf Jahren kontinuierlich an.
Für
die Polizei ist es nicht einfach, die Diebe zu fassen. Oft sind dies
Personen aus dem Osten, die über Italien einreisen, eine Nacht lang
einbrechen und vor Tagesanbruch verschwinden. «Am nächsten Tag können
wir nur noch die Spuren sichern», sagt Hobi. Die Polizei hat auf die
Einbruchsserien reagiert. Sie hat Polizisten von anderen Posten
abgezogen und markiert Präsenz. Die Beamten patrouillieren in der Nacht
oder kontrollieren Autos. Ende Oktober flogen Angehörige des
Grenzwachtkorps und der Polizei gar in einem Militärhelikopter über das
Puschlav und suchten mithilfe einer Wärmebildkamera nach
Kriminaltouristen, allerdings ohne Erfolg.
Anfang November konnte die Bündner Kantonspolizei mithilfe anderer
Kantone die Ermittlungen gegen eine Einbrechergruppe aus Moldau
abschliessen. Die zehn Männer haben in unterschiedlicher Formation 90
Delikte begangen, darunter 20 Einbrüche und Fahrzeugdiebstähle. Vier
Mitglieder konnte die Polizei fassen. Gefasst hat sie auch drei Albaner,
die im Churer Rheintal aktiv waren, und – dank Meldungen aus der
Bevölkerung – einen Rumänen und einen Moldauer, die für Einbrüche im
Puschlav verantwortlich sind.
(Tages-Anzeiger)
Einbrecher reisen in Gruppen
Längst ist nicht nur der Kanton Graubünden vom Kriminaltourismus
betroffen. Laut Walter Pavel, Kommunikations- verantwortlicher der
Eidgenössischen
Zollverwaltung, kämpfen auch die Kantone Tessin, Genf und jene in
der Nordwestschweiz mit diesem Problem. Das Grenzwachtkorps reagiert
darauf mit Schwerpunktkontrollen. «Dabei geht es nicht darum, möglichst
viel zu kontrollieren, sondern am richtigen Ort zur richtigen Zeit»,
sagt Pavel. Lage- und
Situationsbeurteilungen sollen Ort und Zeit bestimmen helfen. Aber
klar sei: Mit mehr Ressourcen könnten die Beamten mehr kontrollieren.
Die Angehörigen des Grenzwachtkorps schritten im vergangenen Jahr
über 1000-mal ein, weil sie Personen verdächtigten, etwas gestohlen zu
haben oder Einbruchswerkzeuge mit sich zu führen. Die Vergleichszahl für
2012 ist nicht vorhanden. Sie beschlagnahmten 2366 verbotene Waffen, im
Jahr zuvor waren es noch 1931. Oft hatten sie es dabei nicht mit
Einzelpersonen, sondern mit ganzen Gruppen zu tun. Wie die
Nationalitäten der festgenommenen Diebe in Graubünden zeigen, kommen
diese vor allem aus Süd- und Osteuropa. In diesen Ländern ist die
Wirtschaft in einer schlechten Verfassung, was den Kriminaltourismus in
reiche Länder begünstigt. (jho)
KOMMENTAR: Wenn der Staat das Sicherheitbedürfnis nicht ernst nimmt, hilft sich die Bevölkerung mit Bürgerwehren. Die Aufrechterhaltung der Sicherheit der Bevölkerung darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Wenn die Polizei und das Grenzwachtcorps nicht mit den notwendigen Mitteln versorgt wird, könnte dies politische Folgen haben. Parteien, die sich für die Ausschaffung krimineller Ausländer und die Wahrung der Sicherheit der Bürger einsetzen, werden bei den kommenden Wahlen Aufwind haben. Die Ressourcen von kontrollierenden Beamten aufzustocken lohnt sich.