Der Bundespräsident ist auf der
Suche nach dem Alltag, nach einem Stück Normalität. Wenn er sie schon
in Deutschland nicht findet, dann vielleicht im Ausland. An diesem
Freitag ist er in Finnland, trifft sich mit europäischen Amtskollegen.
Nächste Woche geht es nach Italien, es ist der erste Staatsbesuch seit
Ausbruch der Präsidentenkrise.
Wenig später folgt ein langer Trip nach Afrika: Tansania und Burkina
Faso stehen auf dem Reiseplan. Nicht ausgeschlossen, dass die Leute dort
mancherorts über die Verfehlungen der deutschen Nummer eins nur lächeln
können. Viele Menschen in Afrika, aber auch in Italien, sind
schließlich noch ganz anderes gewohnt von manchen ihrer Politiker.
Ein schwacher Trost für
Christian Wulff.
Die Hoffnung jedenfalls, dass sich nach seiner Rückkehr die Wogen
hierzulande endlich geglättet haben mögen, dürfte sich nicht erfüllen.
Nicht nur, weil immer wieder neue Enthüllungen belegen, in welchem
Umfang sich Wulff als Amtsträger von Freunden aushalten ließ - etwa,
indem er offenbar ein Firmen-Handy seines Freundes, des Filmfonds-Managers David Groenewold, nutzte.
Nicht nur, weil auch auf den Auslands-Trips stets eine Schar kritischer
Journalisten sein Auftreten vor dem Hintergrund der seit Wochen
schwelenden Präsidentenkrise beurteilen wird.
Nein, bei allem Beharrungsvermögen, das Wulff an den Tag legt, bei
aller demonstrativen Unterstützung durch die Bundeskanzlerin, die ihm am
Freitag trotz neuer Vorwürfe einmal mehr ihrer Wertschätzung
versicherte: Wulff droht weiterhin Ungemach.
Gleich an mehreren Fronten
lauern Gefahren, die sich seiner Kontrolle weitgehend entziehen - ein
Überblick:
Erste Gefahr - die Ermittler:
"Die Prüfung läuft", sagt die
Staatsanwaltschaft Hannover - und zwar "ernsthaft und gründlich". Mit
anderen Worten: Noch immer ist nicht ausgeschlossen, dass die
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, die bislang nur Wulffs ehemaligen
Sprecher
Olaf Glaeseker
und Partykönig Manfred Schmidt betreffen, auf den Bundespräsidenten
ausgeweitet werden. Eine Entscheidung wird in dieser Woche wohl nicht
mehr fallen. Sollte die Staatsanwaltschaft tatsächlich einen
Anfangsverdacht erkennen, müsste sie beim Bundestag beantragen, die
strafrechtliche Immunität des Präsidenten aufzuheben.
Der Druck auf die Ermittler, diesen heiklen Schritt zu gehen, ist nach den jüngsten
Veröffentlichungen zu dessen gemeinsamem Sylt-Urlaub mit Filmemacher David Groenewold
gestiegen. Groenewold hatte 2007 ein schickes Hotelwochenende für die
Wulffs bezahlt. Wulff behauptet, er habe seinem Freund die Auslagen bar
zurückerstattet, die "Bild"-Zeitung berichtete allerdings über
angebliche Vertuschungsversuche Groenewolds. Dessen Anwalt weist den
Vorwurf scharf zurück.
Die SPD ruft dennoch nach dem Staatsanwalt.
Und auch viele Staats- und Strafrechtler sehen die bisherige Zurückhaltung der Hannoveraner Staatsanwälte kritisch.
Sie verweisen darauf, dass beim Straftatbestand der Vorteilsnahme schon
der entsprechende Anschein für Ermittlungen ausreiche. Die
Anklagebehörde gerate nach den jüngsten Berichten "unter einen
beträchtlichen Rechtfertigungsdruck, der Öffentlichkeit und damit den
Bürgern zu erklären, weshalb ein Verfahren gegen den Bundespräsidenten
weiterhin nicht angezeigt sein sollte", schreibt der Strafrechtler
Karsten Gaede
in einem Beitrag für "Legal Tribune Online".
Zweite Gefahr - die Wahlkämpfer:
Wulffs Parteifreunde sind
genervt. Genervt vom Gebaren des Bundespräsidenten, den sie einst ins
Amt gehievt haben. Genervt von den immer neuen Enthüllungen. Bislang
aber bleibt die Wulff-Affäre ohne Folgen für CDU und CSU. Im Gegenteil:
Bundesweit steigen die Umfragewerte, die Kanzlerin ist populär wie nie.
Verdrängen und ausblenden ist daher das Motto in Berlin.
Das ist an anderer Stelle nicht so einfach. In
Schleswig-Holstein
etwa, wo im Mai gewählt wird. Auch hier schlägt die Präsidentenkrise
bisher nicht auf die Umfragen durch. Doch die Sorge ist groß, dass sich
das ändern könnte - darum nimmt man in der
CDU
den Namen Wulff lieber erst gar nicht in den Mund. Nicht gerade für
seine Zurückhaltung berühmt ist dagegen der Fraktionschef des
Koalitionspartners FDP, Wolfgang Kubicki. "Lebensfremd" nennt Kubicki
die jüngsten Erklärungsversuche des Bundespräsidenten, den
Sylt-Urlaub bei seinem Freund Groenewold
nachträglich "in bar" beglichen zu haben. Der "böse Schein", der dabei
entstehe, hätte bei jedem einfachen Ministerialbeamten mindestens zu
einem Disziplinarverfahren geführt, meint der Liberale.
In
Niedersachsen
wird zwar erst im Januar 2013 gewählt. Sorgen macht man sich aber schon
jetzt: Bricht in Hannover die schwarz-gelbe Koalition weg, wäre dies
kein gutes Vorzeichen für die im selben Jahr stattfindende
Bundestagswahl. Dazu kommt: Niedersachsen ist Wulffs Heimatverband. Die
CDU fühlt sich von ihrem ehemaligen Ministerpräsidenten und Vorsitzenden
in Verruf gebracht. Nachfolger
David McAllister
geht auf Distanz. "Erst das Land, dann der Präsident", gibt
Fraktionschef Björn Thümler als Losung aus, und der Landtagsabgeordnete
Frank Oesterhelweg fordert ein Ende der "unseligen und für die Union
sehr belastenden Diskussion". Kommt das Ende aber nicht von allein,
könnte die Niedersachsen-CDU bei Angela Merkel auf eine Lösung drängen,
um das Ende aktiv zu forcieren.
Wulff-Frust herrscht auch beim Partner FDP. "Wir sehen mit großer
Sorge, dass die Landesregierung mit Handlungen, an denen sie nicht
beteiligt war, unter Druck kommt ", heißt es in der Bundesspitze der
Liberalen beim Blick nach Hannover. Dass das auf Dauer für die
anstehende Landtagswahl "nicht besonders förderlich ist, versteht sich
von selbst". Die Sorge der Liberalen: Der Opposition könnte es gelingen,
aus der Affäre um Wulff im Wahlkampf "ein Bild des schwarz-gelben
Filzes zu malen, das einfach nicht der Realität entspricht."
Dritte Gefahr - die alten Freunde:
Die schwarz-gelbe
Landesregierung in Niedersachsen steckt in der Klemme. Sie hatte lange
darauf vertraut, dass im Falle des "Nord-Süd-Dialogs", den Eventmanager
Manfred Schmidt organisiert hatte, alles rechtlich korrekt verlaufen
sei. Dann aber kamen die Berichte über die mutmaßliche Sponsorenwerbung
aus der Staatskanzlei - betrieben durch Wulffs ehemaligen Sprecher
Glaeseker. CDU-Finanzminister Hartmut Möllring fühlt sich von Glaeseker
"beschissen." Vize-Ministerpräsident Jörg Bode (FDP) fordert indirekt
Wulffs früheren Vertrauten auf, alle Informationen auf den Tisch zu
legen: "Wir haben uns als Landesregierung und Koalition in Niedersachsen
größtmögliche Transparenz in der Affäre auferlegt. Wenn jemand meint,
seinen Beitrag dazu leisten zu können, ist er dazu herzlich eingeladen",
sagt er. Er verstehe nicht, warum
Glaeseker nicht von Anfang an alle Details auf den Tisch gelegt habe.
Genau das könnte für Wulff gefährlich werden. Was ist, wenn die alten
Vertrauten, Freunde und Bekannten aus Wulffs Netzwerk alle
Zurückhaltung fahren lassen? Wenn Glaeseker oder der Eventmanager
Schmidt dem Druck der Medienberichterstattung und der
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht mehr standhalten, wenn sie
plaudern, um ihren eigenen Ruf zu retten? Und dann womöglich Wulff
belasten? Wenn Filmfinanzier Groenewold keine Lust mehr hat, als Buhmann
dazustehen? Schließlich hatte sich Wulff jüngst eilig
von dessen angeblicher Intervention im Sylter Hotel distanziert.
Und am Freitag muss Groenewolds Anwalt schon wieder einen
"Freundschaftsdienst" seines Mandanten rechtfertigen, der ein falsches
Licht auf dessen Beziehung zu Wulff werfe: Es geht um das Handy, dass
Groenewold Wulff überließ - laut Anwalt gibt es einen
Überlassungsvertrag, alles sei bezahlt worden.
Wie lange geht das noch gut? Wenn die alten Freunde Wulff fallen
lassen, dann könnte sein Ende schnell kommen - denn je gewichtiger die
Details der Freundesdienste wären, umso eher könnte der Bundespräsident
zum Rücktritt gezwungen sein. Ganz ohne Ermittlungsverfahren.
FAZIT: Die Krise ist noch nicht zu Ende