Zynische Chirurgen-Rhetorik
ZYNISCHE SPRÜCHE IM OPS
Chirurgen machen bei Operationen gewiss ihr Bestes. Sie operieren, heilen, retten. Doch die Halbgötter in Grün mit Mundschutz und Haube können auch anders. Für Insider ist es nachvollziehbar, dass sich die Götter in Grün mit zynischen Sprüchen in Stresssituationen den Druck abbauen müssen. Sie wissen, dass der Patient davon nichts hört. Es ist auch gut, dass diese Sprüche nicht zu Ohren bekommen.
SPIEGEL ONLINE hat solche Aussagen gesammelt, die nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt sind.
Schutzlos schlummernd wird die junge Frau in den OP gefahren. Sie hat Fieber, Schmerzen im rechten Unterbauch, Entzündungszeichen im Blut. Der Blinddarm muss raus - ein Routineeingriff. Doch was passiert, während der Chirurg das Skalpell ansetzt und sich bis zum Darm vorarbeitet? Spricht er über sein gekonntes Vorgehen und die elegante Art, die Muskelschichten auseinanderzuziehen? Beim ersten Mal vielleicht. Beim 500. Mal wohl kaum.
Vielleicht lästert er dann eher über ihre unrasierten Beine, das verunglückte Tattoo unterm Bauchnabel oder ihre breiten Hüften.
Was für viele Patienten eine Horrorvorstellung ist, ist keinesfalls in jedem OP tabu. Eine Mini-Umfrage unter 110 US-Ärzten etwa hat ergeben, dass sich angeblich bereits 17 Prozent über ihre Patienten lustig gemacht haben - vornehmlich, wenn jene in Narkose ahnungslos dahindämmerten. Im Angesicht von Krankheit und Tod, nach 24-Stunden-Schichten und mit Bergen von Arbeit auf dem Schreibtisch neigen offenbar nicht wenige Ärzte dazu, ihren Frust mit Spott loszuwerden.
Spott und Spass
Im wahren Leben geht es vermutlich zurückhaltender zu - wenn auch nicht viel:
Besonders grossen Spass etwa hatte ein Urologe, der den Penis seines Patienten aus einem Vasenhals befreien musste. Der Gepeinigte hatte ganz offensichtlich sexuelle Befriedigung gesucht, sich aber nicht getraut, das einzugestehen. Stattdessen hatte er dem Arzt erzählt, er sei in der Küche unglücklich gestürzt und auf die Vase gefallen. Der Urologe rief daraufhin seine männlichen Assistenten in den OP und verkündete: "Hier haben Sie den besten Grund dafür, warum Sie keine Hausarbeit machen sollten - es ist einfach zu gefährlich für Männer!"
"Haken halten, Maul halten"
Nicht immer ist die Anatomie allerdings so eindeutig. Unter Medizinern witzelt man über den unwissenden Assistenzarzt, der sich bei seinem Chef erkundigt: "War das jetzt die Aorta oder der Dickdarm?" Dass diese Geschichte nicht allzu fern liegt, zeigt der Fall eines Pariser Handchirurgen, der sich bei einer OP nicht sicher war, ob er gerade Fett- oder Nervengewebe durchtrennt hatte. Sein Kommentar: "Naja, ich werde es ja merken, ob er mir zum Abschied die Hand drücken kann oder nicht."
Selbst Kollegen werden nicht geschont
Doch nicht nur Patienten bekommen üble Sprüche im OP ab. Auch Studenten und Assistenzärzte müssen durch eine harte Schule. Ein Student im Praktischen Jahr, muss meist die körperlich ermattende Aufgabe übernehmen, das Operationsgebiet aufzuhalten - also Haut und Muskeln mit grossen Haken und aller Kraft auseinanderzuziehen. Erdreistet er sich dabei, dem Operateur eine Frage zu stellen, wird er nicht selten angeraunzt: "Haken halten, Maul halten."
Ein Assistenzarzt an einer deutschen Universitätsklinik wiederum durfte seine OP nicht weitermachen, weil sein Chef kommandierte: "Treten Sie sofort ab, Ihre Leistung entspricht nur dem Niveau eines Kreiskrankenhauses."
Hier einige Sprüche, die Spiegel von Aerzten zugestellt worden sind:
Der Macho: "Spreiz die Beine, alte Dame"
Eine ältere Schweizerin war gestürzt und hatte sich den Schenkelhals gebrochen. Als der junge Orthopäde schwungvoll den Saal betrat, hatte das Personal die alte Dame noch nicht in die passende Position gelegt. Er reagierte ungeduldig und versuchte grob, die Patientin selbst in die richtige Position zu ziehen: "Sooo, nun spreiz mal schnell die Beine, alte Dame."
Der Arrogante: "Eine dringende Sitzung im Lions Club"
Ob tatsächlich jemals ein Chirurg beim Operieren ausrief: "Hoppla, ich hab gerade meine Rolex verloren", ist zweifelhaft. Doch dass die Chefoperateure mitunter herrische Allüren an den Tag legen, weiß jeder Assistent. Hunger, Harndrang und müde Beine sind für Chefs tabu. "Och, Sie Arme", belustigte sich etwa ein Berliner Chirurg über eine Assistenzärztin, "sind Sie so schwach, dass Sie jetzt essen gehen müssen?!". Ein anderer Operateur wiederum machte sich nicht die Mühe, den offenen Bauch seiner frisch operierten Patientin selbst wieder zu verschließen. Der Grund: "Eine dringende Sitzung im Lions Club."
Der Ungeduldige: Die Patienten haben Schuld
Arbeit wie am Fliessband - das nervt auch Ärzte. Ein Radiologe in einer großen deutschen Stadt versuchte kürzlich, zwischen seinen Rauchpausen hektisch die Blutgefässe einer Patientin mit Hilfe von Katheter, Kontrastmittel und Röntgenstrahlen darzustellen. Immer wieder schob der chronisch schlecht gelaunte Arzt den winzigen Schlauch vor, kam nicht weiter und gab schliesslich entnervt auf - nicht ohne die wache alte Dame vorher lauthals anzupflaumen: "Mann, haben Sie Drecksgefässe."
Der Verständnisvolle: "Mit so einer riesigen Gebärmutter würde mir auch schlecht werden"
Nicht jeder Operateur fällt durch üble Laune auf. Mitunter versucht ein Chirurg auch, einfühlsam mit seinen Patienten zu sprechen. Das gelingt jedoch nicht immer, wie das Beispiel eines Bielefelder Gynäkologen zeigt: Er hatte eine mit einer Rückenmarknarkose betäubte Schwangere gerade mit einem Kaiserschnitt von ihrem ersten Kind entbunden. Der Frau wurde etwas schummerig und sie bekam gerade noch heraus: "Mir wird gerade etwas schlecht." Der Gynäkologe entgegnete trocken: "Würde mir auch, wenn ich so eine riesige Gebärmutter auf meinem Bauch liegen hätte."
OP-Saal: Studenten müssen "Haken und Maul halten"