Opferhilfe: Ungenügend
Zwischen dem Aufwand Täter zu therapieren und Opfern zu helfen klafft eine grosse Lücke.
Dies zeigte sich im CLUB vor allem in den gegenseitigen Positionen bei den beiden Professoren Martin Killias (der für eine Anpassung des Strafrechtes stark machte) und dem forensischen Psychiater Frank Urbaniok (der vor allem die Therapie der Täter rechtfertigte aber dennoch Verständnis zeigte für die Opferhilfe).
Ich zitiere Tagi online:
Therapieren oder einsperren? Dies war nur eine von vielen Fragen in einem hochinteressanten «Club» zum Thema Opferhilfe.
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Eine Diskussionsrunde, wie man sie sich wünscht: «Club» zum Thema Opferhilfe.
Der «Club» begann mit einem Einspieler zum «Fall Carlos». Nochmals
konnte der Zuschauer über die Betreuungskosten von 29'000 Franken den
Kopf schütteln. Danach meinte Moderatorin Karin Frei: Man könne zu
diesem Zeitpunkt nicht seriös über Sinn und Unsinn dieser Massnahmen
diskutieren.
Doch auch ohne den Bericht zum Fall Carlos,
der am Freitag erscheint, abzuwarten, steht fest:
Der Opferschutz ist
trotz des vor 20 Jahren in Kraft getretenen Opferschutzgesetzes
mangelhaft.
In der Runde sass etwa Nicole Dill, die 2007 von einem Mann
vergewaltigt und beinahe ermordet wurde. Sie sagte, dass sie um ihre
Opfertherapien habe kämpfen müssen. Eben erst sei ihr von der
Versicherung die Kostenübernahme gestrichen worden.
Von
den gerichtlich zugesprochenen Genugtuungszahlungen erhalten die Opfer
oft nur einen Bruchteil. Interessant war die Frage, weshalb das so ist.
Denn den bürokratischen Hürden, mit denen die Opfer zu kämpfen haben,
liegt offenbar eine gesellschaftliche Haltung zugrunde. Ein Unbehagen
der Unversehrten gegenüber der Ohnmacht der Opfer. In einer
Gesellschaft, die stark, schnell und gesund sein will, mag man sich
nicht mit Leuten abgeben, die dauerhafte Schäden erlitten haben.
Beziehung zwischen Staat und Täter
Die
Aussagen der Opfer, die gestern zu Wort kamen, waren erschütternd. Reto
Gisler, der einen Mordversuch seines Vaters nur mit schwersten
Behinderungen überlebte, sagte, er fühle sich wie ein «Pestinfizierter».
Besonders schlimm: Bei Reto Gisler reagierten die Behörden nicht auf
seine Warnungen – der vorbestrafte Vater brachte danach den vierjährigen
Halbbruder um.
Es war eine Diskussionsrunde, wie man sie
sich wünscht. Aufgehängt an einem aktuellen Thema, das die Bevölkerung
interessiert, wurden die Probleme der Opferhilfe anhand von konkreten
Beispielen erläutert. Und es ist dem «Club» hoch anzurechnen, dass trotz
der tragischen Fälle immer wieder auf übergeordnete Ebenen gewechselt
wurde. So machte der forensische Psychiater Frank Urbaniok einen
erhellenden Exkurs in die Justizgeschichte: Unser Rechtssystem gründet
auf der Beziehung zwischen Staat und Täter. Das Opfer hatte lange Zeit
die Funktion eines Beweismittels. Dies, so Urbaniok, müsse sich ändern.
Das
Opferschutzgesetz ist hier natürlich ein erster Schritt. Doch mit der
Umsetzung hapert es bis heute – föderalistische Hürden erschweren die
Hilfe, auch der Datenschutz steht einer zureichenden Hilfestellung
bisweilen im Weg. Die Runde war sich einig: Es braucht therapeutische
und juristische Profis, deren Hilfe Opfer unkompliziert beanspruchen
können.
Opferschutz wurde zu Täterschutz
Apropos
Datenschutz: Nicole Dill erfuhr im Nachhinein, dass der Täter ein
verurteilter Mörder war. Doch als sie sich im Vorfeld über die
Vergangenheit ihres Partners informieren wollte und sich hilfesuchend an
verschiedene Instanzen wandte, wurde ihr jegliche Information
verweigert – mit Hinweis auf den Datenschutz. Opferschutz wurde zu
Täterschutz.
Nicole Dills Peiniger brachte sich später
um. Dill bezeichnete dies als Erleichterung – ansonsten sie vor dem Tag
Angst gehabt hätte, «an dem er wieder rauskommt». Sie schlug damit den
Bogen zum Fall Carlos. Denn sperrt man einen Täter weg, kommt er doch
irgendwann – wenn es sich nicht um eine lebenslange Verwahrung handelt –
wieder auf freien Fuss. Und zwar untherapiert, kurz: die Chance, dass
er wieder zuschlägt, ist ziemlich hoch. Urbaniok dazu: «Wir wissen dank
Studien, dass wir mit guten Therapieprogrammen die Rückfallgefahr
senken. Strafen hingegen bewirken das Gegenteil.» Die Rückfallgefahr
steige, so der Psychiater. Strafe und Therapie sollten deshalb in
Relation zueinander stehen.
Strafrechtsprofessor Martin
Killias interpretierte besagte Studien weniger optimistisch als
Urbaniok. Die Wirksamkeit von vielen Therapien sei nicht schlüssig
bewiesen. Die Bevölkerung störe sich weniger an den hohen Kosten als an
der Tatsache, dass ein Täter nicht bestraft werde.
Kommentar:
Es ist denkbar, dass der Fall Carlos, bei dem laufend neue Ungereimtheiten im Täterschutz an den Tag kommen, etwas im Strafrecht geändert wird. Die Kontrollfunktion der Medien war notwendig.
Wenn solche Unzulänglichkeiten - wie im Fall Carlos - unter den Teppich gekehrt werden wollten, ist es wichtig, dass die fragwürdigen Massnahmen von den Medien offen hinterfragt werden. Ich warte gespannt auf die Beurteilung der Regierungsrates, der bislang geschwiegen hatte und am Freitag zu dieser unerfreulichen Geschichte Stellung nehmen will. Auch ich zolle der Diskussionerunde im CLUB Lob. Vor allem der Profi- Moderatorin Karin Frei gebührt Anerkennung. Sie hatte ein gute Hand hinsichtlich THEMENWAHL und AUSWAHL der TEILNEHMER.