Montag, 4. April 2011

Wie ein Meinungsforschungsinstitut die Flop - Prognosen schön redet



 



aus Tagi:


Gestern musste Matthias Kappeler eingestehen, dass die Umfragen seines Meinunungsforschungs-Instituts zum Teil weitab vom tatsächlichen Wahlergebnis lagen. Die Befragungen vom Ende Januar und Mitte März hatten Hans Hollenstein (CVP) und Regine Aeppli (SP) als die sicheren grossen Sieger der Regierungsratswahlen gesehen. Am Schluss hatte ausgerechnet der neu angetretene Mario Fehr (SP) am meisten Grund zu strahlen. Aeppli aber musste den ganzen Nachmittag um ihre Wiederwahl zittern. Und Hollenstein wurde sogar schnöde abgewählt.




Für den Spott musste Kappeler deshalb nicht mehr sorgen. Von allen Seiten wurde der Meinungsforscher auf seine «falschen» Ergebnisse angesprochen. Regierungsrat Ernst Stocker (SVP), der weit besser abgeschnitten hatte als in der Umfrage, sagte, er verstehe nicht, warum für Wahlumfragen überhaupt noch Geld ausgegeben werde.Kappeler kommentierte gestern dennoch unverdrossen im Fernsehsender TeleTop, der zusammen mit Radio 24 und dem «Tages-Anzeiger» zu den Auftraggebern der Umfragen gehört hatte. Später in einer ruhigen Ecke gestand Kappeler ein, dass er andere Ergebnisse erwartet hatte. «Japan hat uns das Leben schwer gemacht», sagt er. Das Erdbeben, die Atomhavarie und die darauf einsetzende Diskussion um die Schweizer Atomkraftwerke haben laut Kappeler auf das Ergebnis eingewirkt. «Ich kann mich nur an ein Ereignis erinnern, das ein Wahlergebnis derart stark beeinflusst hat: die Terroranschläge in Spanien 2003.» Aber beide Umfragen seien zu früh gekommen, um den «Japan-Effekt» abzubilden. «Ich hätte mehr vor diesem Effekt warnen sollen», sagt Kappeler. Er kann jedenfalls für sich in Anspruch nehmen, dass seine Umfragen die intakten Wahlchancen Martin Grafs (Grüne) früh und richtig erkannt haben.


«Wähler weggebrochen»


Kappeler erklärt sich die Niederlage Hollensteins dadurch, dass dem «Mitte-Kandidaten» der CVP in der Schlussphase des Wahlkampfs «links und rechts die Wähler weggebrochen» seien. Umgekehrt mobilisierte die SVP ihre Wählerinnen und Wähler einmal mehr besser, als die Umfragen vermuten liessen. Ernst Stockers SVP, fügt Kappeler an, gehöre im Übrigen auch immer wieder zu den Auftraggebern von Meinungsforschungs-Instituten.
Das schlechte Abschneiden Regine Aepplis erklärt der Meinungsforscher damit, dass sich Links-Grün vor allem auf die Neukandidierenden konzentriert habe. Die Umfrageergebnisse haben laut Kappeler dazu geführt, dass die Wählenden im rot-grünen Spektrum die Chance eines Sitzgewinns witterten. Die seit acht Jahren amtierende Aeppli dagegen galt als gesetzt.Kappeler bleibt auch nach diesem für ihn desaströsen Wahlsonntag dabei, dass Umfragen ein «wichtiger Gradmesser» seien. Das Hauptproblem sei, dass viele Leute Umfragen als Prognosen verstünden und nicht als Momentaufnahmen.


Kommentar: Meinungsforscher müssten eigentlich auch das Image der Politikern  berücksichtigen, das sie beim Fussvolk haben. Oft genügt es, wenn ein paar Dutzend Leute auf der Strasse gefragt werden, welcher Kandidat ihnen sympathisch ist: Wer hat Sie überzeugt? Bei meinen Befragungen habe ich vor der Wahl festgestellt, dass die Art und Weise des Auftretens eine enorm grosse Rolle spielt. Fehr kam immer rhetorisch gut weg. Regine Aepplis Auftritte wurden schon seit Jahren schlecht beurteilt. Sie kann ihre Argumente nicht auf den Punkt bringen. Hollenstein kam an der Podiumsdiskussion in Zürich bei vielen Anwesenden schlecht weg, weil er sich beim Apéro zu sehr angebiedert hatte. Eine Frau sagte mir: Der kennt mich ja gar nicht und stösst sein Glas mit mir an. Das passt mir nicht.
Nachtrag


NZZ zu den falschen Prognosen:

Die Umfragen zu den Zürcher Kantonsrats- und Regierungsratswahlen vom Wochenende sind deutlich ungenauer gewesen als bei früheren Wahlen.
Peter Moser vom Statistischen Amt des Kantons Zürich, am Sonntag für die Wahl-Hochrechnungen verantwortlich, zweifelt, ob auf 1000 Interviews beruhende Umfragen zu den Wahlen überhaupt aussagekräftig sein können.

Prognosen schwierig

Bei Regierungsratswahlen ist es seiner Meinung nach «praktisch unmöglich», vernünftige Prognosen zu machen. Eine Rangfolge sei eher zufällig, weil die Resultate meist «innerhalb des Vertrauensintervalls», also in der statistischen Unschärfe, lägen.

Mosers erste Hochrechnung für die Kantonsratswahlen vom Sonntagnachmittag, die auf der Basis der Ergebnisse von 80 Gemeinden beruhte, sagte stärkere Verluste für die SP und bessere Ergebnisse für GLP und BDP voraus als schliesslich resultierten.
Bei der ersten Hochrechnung für die Regierungsratswahlen kurz nach Schliessung der Wahllokale lag Hans Hollenstein bereits auf dem achten Platz, der nicht für einen Regierungssitz reicht. Und die drei schliesslich am besten Gewählten lagen von Beginn weg auf den ersten Plätzen.

Umfrage sah Hollenstein auf dem zweiten Platz

Gemäss der am 21./22. März veröffentlichten Umfrage zu den Regierungsratswahlen wäre Regine Aeppli (sp.) auf dem ersten und Hans Hollenstein (cvp.) auf dem zweiten Platz gewählt worden. Am Abstimmungssonntag musste Aeppli dann lange um die Wiederwahl bangen, Hollenstein wurde abgewählt.
Bei der Kantonsratswahlen hatte die Umfrage vor allem für FDP und CVP deutlich geringere Einbussen vorausgesagt, für die SVP einen stärkeren Rückgang und für die SP ein klares Plus. Und die BDP war am Sonntag viel stärker als in der Umfrage.


LINK:


  1. rhetorik.ch aktuell: Image schlägt Fakten

    18. Okt. 2009 ... Sowohl die Person als auch die Präsentation beeinflussen den Inhalt wesentlich. Fakten werden durch die Person oder die Darstellung gefärbt. ...
    www.rhetorik.ch/Aktuell/09/10_18/index.html - Cach
    1. rhetorik.ch aktuell: Haben Experten immer unrecht?

      28. März 2011 ... Um die Frage zu beantworten, ob Experten oft unrecht haben, muss man auch immer fragen, wer als Experte gilt. Und man m¨sste Voraussagen von ...
      www.rhetorik.ch/Aktuell/11/03_28/index.html - Cached


Warum lässt das Interesse an den News über Japan nach?


«Sie scheinen den Medien nicht zu trauen»


Aus TAGI Onlineportale, Twitter, Facebook – das Informationsangebot über die Katastrophe in Japan ist riesig. Der Soziologe Dirk Baecker über die Gefahr von zu viel Information und die Medien als mögliche Profiteure.
1/15 Gerettet: 
Dieser Hund scheint sowohl das Erdbeben und den Tsunami, sowie drei Wochen in einem weggeschwemmten Haus im Meer überlebt zu haben. (1. April 2011)
Bild: Reuters
   



Dirk Baecker ist Soziologe und Leiter des Lehrstuhls für Kulturtheorie und -analyse an der Zeppelin University in Friedrichshafen. Er beschäftigt sich mit den Umbrüchen der Mediengesellschaft, der Informationsüberflutung und den Überforderungsphänomenen der Medienkonsumenten. Sein Buch «Studien zur nächsten Gesellschaft» ist vor zwei Jahren erschienen. Dirk Baecker lebt in Basel.



Das Interesse an der Medienberichterstattung aus Japan war riesig und brach bei den Onlinemedien alle Zugriffsrekorde. Wie kommt es, dass das Informationsbedürfnis schlagartig wieder sinkt?


Das ist auf drei Gründe zurückzuführen.


- Man hat festgestellt, dass die Katastrophe in Japan wesentlich länger dauert, als anfangs gedacht, und deshalb aufgehört, den Stand der Dinge im Stundenrhythmus abzufragen.


- Zweitens hat man verstanden, dass man sich nun Gedanken zur atomaren Energiepolitik in Europa machen muss. Hierfür braucht man Hintergrundinformationen und ebenfalls kein stündliches Update.


- Schliesslich könnte es eine Rolle spielen, dass die Informationspolitik der Betreiberfirma Tepco und der japanischen Regierung zögerlich, diffus und verdächtig ist und man deshalb den Medien nicht mehr traut, die diese Informationen weitergeben. 


Ist das Interesse an Japan nun vorbei?


Nein. Es braucht nur ein einziges plötzliches Ereignis, das die gegenwärtige Einschätzung wieder korrigiert und die Leute würden sofort wieder auf die Onlineseiten zugreifen. Jeder fragt sich laufend, ob sein Bild von der Situation in Japan noch stimmt, und würde neue Informationen abfragen, sobald er den Eindruck hat, dass das nicht mehr der Fall ist. Wenn man mit dem Bild, das man von einer Situation hat, zufrieden ist, kann man auf die aktuelle Überprüfung der Lage verzichten.


Angeblich haben selbst die Japaner genug von all den Informationen und verschliessen sich.

 
In der japanischen Gesellschaft scheint man eine Schwäche für eine sparsame Informationsversorgung zu haben. Jeder weiss, dass man nicht weiss, was der andere tatsächlich treibt. Das geht mit einem grossen Vertrauen einher, dass es wohl so schlimm nicht kommen wird. Andererseits besteht aber auch ein Misstrauen, das dazu führt, dass man sich zurückzieht. Im Moment wird diese kulturelle Einstellung der Japaner zu ihrer Gesellschaft offenbar auf eine sehr harte Probe gestellt. Man weiss nicht, wem man vertrauen und wem misstrauen sollte. Ein Rückzug ins Private ist jedoch im Moment sehr gefährlich.


Weshalb?


Bei Atomunfällen sieht man ja die Gefahr nicht. Viele Leute beginnen schon, in die Katastrophengebiete zurückzukehren, um dort ihre Häuser wieder aufzubauen. Das ist fatal. Sie können nur von der Regierung und aus den Medien erfahren, wie hoch die Strahlenbelastung ist. Aber sie scheinen den Medien nicht zu trauen.



Tragen die Medien Schuld?


Nein, denn sie geben ja nur die Informationen weiter, die sie von der Regierung und der Betreiberfirma Tepco bekommen.


Den Medien wurde teilweise vorgeworfen, zu viele Informationen verbreitet zu haben.


Für diesen Vorwurf habe ich wenig Verständnis. Es kann nie zu viele Informationen geben, solange jeder in der Lage ist, sich ein Bild von der Gesamtsituation zu machen. Ausserdem hängt kein Mensch am Tropf einer Zeitung oder eines Onlinemediums und ist gezwungen, alle Informationen aufzunehmen. Man kann sich jedoch zu Recht über die Akzente beschweren, die die Medien gesetzt haben. Warum muss immer wieder das Leid individueller Personen gezeigt werden, statt sich auf die Hintergründe der Katastrophe zu konzentrieren? Warum wird mehr Aufregung produziert, statt Information zu liefern? Die Leute merken schnell, wenn die Medien ihrerseits von der Katastrophe zu profitieren versuchen und die Bevölkerung mit Informationen füttern, um selbst im Spiel zu bleiben. Das fällt unangenehm auf und verstärkt die Skepsis. 


Welche Rolle spielt es bezüglich Medieninteresse, dass der Mensch sich möglicherweise selber als Ursache solcher Katastrophen sieht?


Eine grosse. Wir wissen heute, dass wir unsere grössten Probleme selber verschulden. Wir wissen, welche tiefen Eingriffe in die Natur wir verursachen und welche Folgen dies haben kann. In diesem Sinne ist Japan wie ein Experiment, das uns vor Augen hält, welches gefährliche Spiel auch wir hier in Europa treiben. Deshalb auch das grosse Interesse an Japan.
(Tagesanzeiger.ch/Newsnetz)




Kommentar:

In Krisensituationen gilt es, wichtige, wesentliche Informationen herauszuschälen d.h. Medien dürfen die Informationslawine nicht zusätzlich verstärken. In Krisensituationen sind Informationen wichtig. Die Medien haben die Aufgabe, Informationen zu verarbeiten und der Bevölkerung die Informationsschwemme nicht auch noch  zusätzlich zu fördern. Der Mensch ist gar nicht fähig, diese immense Fülle zu verarbeiten. Seine Gegenreaktion: Er  schützt sich, indem er  die Informationen gar nicht mehr richtig wahrnehmen will. Kommt dazu, dass die Informationen aus Japan nicht mehr glaubwürdig sind.
Dies ist eine weitere wichtige Erkenntnis bei der Krisenkommunikation: Vertrauen kann nur durch Glaubwürdigkeit aufgebaut werden.




LINKS:

  1. Information - Informationsflut

    Der durchschnittliche Mensch rettet sich zwar vor der Informationsschwemme durch gezielte Reduktion und bewusstes Abblocken: ...
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  2. Informationsmanagement - Rhetorik Homepage: Home

    Wie können nun Informationsabläufe organisiert werden, damit die Angestellten trotz der Informationsschwemme nicht das Gefühl haben, unterinformiert zu sein ...
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