Zur Führungskrise im Bundesrat:
Bei Führungskrisen werden immer wieder die gleichen Fehler gemacht. Ich habe dies schon bei Analyse der Führungskrise im Kantonsspital Schaffhausen gesehen (Navigation über das Suchfenster rhetorik.ch). Auch beim Bundesrat habe ich während der letzten Monate festgestellt, dass Krisensituationen nicht antizipiert worden sind, dass unkoordiniert informiert wurde, eine Strategie und auch ein Krisenstab fehlte usw.
Auch der Krisenexperte Laurent Carrel kommt nun zu gleichen Schlussfolgerungen. Ich zitiere tagi online:
Krisenexperte
Der 63-jährige Bieler Laurent F.Carrel ist Strategie- und Krisenexperte. Seit 1985 lehrt er als Dozent an der Universität Bern. Dazu hat er an der Uni Zürich und an der ETH ausgebildet. Von 1996 bis 2006 war er Chef Strategische Führungsausbildung beim Bund. In Bern und Biel unterhält er ein Büro für Leadership Coaching und Krisenmanagement Training.
Der Bundesrat wird kritisiert, er sei in der gegenwärtigen Krise konzept- und führungslos. Wie beurteilen Sie die Leistung unserer Regierung?
Der Bundesrat macht in der Tat keine gute Figur. Handlungsbedarf ist absolut angezeigt.
Das vollständige Interview aus der Berner Zeitung:
Wo sehen Sie die grössten Probleme?
Der erste Bereich ist die Früherkennung. Die aktuelle Krise zeigt es typisch: Die meisten grossen Krisen kündigen sich auf leisen Sohlen an. Es ist nicht so, dass sie quasi wie ein Meteorit einschlagen – bumm und sie sind da.
Die Entwicklung der Krise wäre schon früher absehbar gewesen?
Ich glaube: Im Grossen und Ganzen ja. Aber in der Schweiz fehlt auf politischer Ebene ein Früherkennungs- und Frühwarnsystem. Zwar gibt es in den Departementen viele Sensoren, und sicher werden auch viele einzelne Nachrichten gesammelt. Doch werden sie auf Stufe Bundesrat schlecht zusammengeführt.
Ist Früherkennung derart wichtig für den späteren Umgang mit einer Krise?
Absolut. Die Krisenstäbe im Bund sind heute – bildlich gesprochen – auf Meteoriteneinschläge vorbereitet. Wir kennen einen Sonderstab Geiselnahme, einen für Radioaktivität, einen anderen für Epidemien. Der Bund zählt zwischen 27 und 32 solcher Stäbe. Aber ein gesamtheitlicher Stab auf der obersten Stufe fehlt. Die aktuelle Krise haben wir darum zu langsam und zu spät erfasst. Und das drängt die Schweiz in eine defensive Position? Ja. Und das ist in dieser Krise besonders ungünstig. Es scheint auch, als hätte die Regierung aus vergangenen Krisen kaum etwas gelernt.
Warum?
Wir kennen auf Stufe Bundesrat keinen institutionalisierten Lernprozess. Wenn eine Krise überwunden ist, sollte diese systematisch und zielgerichtet ausgewertet werden. Das war zum Beispiel nach der Swissair-Krise oder nach dem Vergleich Schweiz/2.Weltkrieg auf Regierungsebene aber nicht der Fall. Analysen werden zwar in Einzelbereichen gemacht. So haben das Aussendepartement oder das Verteidigungsdepartement das Vorgehen nach dem Tsunami ausgewertet. Doch Einzelaktionen bringen die Regierung als Gesamtes nicht weiter.
Eine einheitliche Strategie kann so kaum entstehen.
Die fehlt. Es ist in Nicht-Krisensituationen schon schwierig, das Kollegium auf eine gemeinsame Linie zu bringen. In Krisenlagen ist dies aber zentral. Darum müsste unser System für solche Situationen zusätzliche Instrumente zur Hand haben. Ideen waren ja schon da. Doch Diskussionen über neue Staatsleitungssysteme oder über eine Regierungsreform mit neuen Staatssekretären oder mehr Bundesräten versandeten stets.
Solche Reformen brauchen Zeit. Die Krise ist aber jetzt da. Was wäre aus Ihrer Sicht kurzfristig machbar?
Es gäbe zwei einfache und praktikable Methoden, die man rasch umsetzen könnte. Zum einen könnte sich der Bundesrat überlegen, ob die Kompetenzen des Bundespräsident in Krisenlagen nicht ausgebaut werden sollten. Er sollte einen Stab zur Verfügung haben, der eine gewisse Dauerhaftigkeit garantiert. Nicht, dass jedes Jahr das Präsidium wechselt und ein neuer Stab neue Strukturen aufbauen muss.
Und die andere Methode?
Auf Papier existiert zwar in der Bundeskanzlei ein Stab Bundesrat, der der Regierung in Krisenlagen helfen soll. Doch der Stab hat seine Funktion in der Vergangenheit zu wenig effizient ausgeübt. Auch jetzt: Der Stab wird weder genügend beübt noch auf Vordermann gebracht. Das könnte man rasch ändern.
Möglichkeiten sind da, die Probleme scheinen offensichtlich. Warum handelt der Bundesrat nicht?
Das Problem sind die Departementsinteressen. Diese Grenzen müssten in Krisensituation überwunden werden können. Die Departemente haben sich in den letzten Jahren aber eher abgeschottet als geöffnet. Die Grenzen sind nicht durchlässiger geworden.
Versagt derzeit eher das System oder der Mensch?
Es bringt nichts, einzelne Bundesräte zu kritisieren. Sie wurden vom Parlament gewählt, es wird erwartet, dass sie jetzt alles geben. Ich setze bei den Rahmenbedingungen an, damit die Regierung ihre Verantwortung auch wahrnehmen kann.
Aber trotzdem hat der Mensch – also der Bundesrat – bisher Neuerungen abgelehnt.
Es scheitert am politischen Willen, Ideen umzusetzen. Das liegt natürlich an den einzelnen Personen im Bundesrat. Die Regierung hat Reformpläne bisher immer vom Tisch gewischt.
Glauben Sie, die aktuelle Krise bewirkt beim Bundesrat ein Umdenken?
Hoffentlich. Nehmen wir nur die starre Sitzungsregelung. Immer am Mittwochmorgen – ausser während der Session, dann ist es am Freitagmorgen – treffen sich die Bundesräte, um über die Geschäfte zu beraten. Das ist natürlich mehr als veraltet. Es braucht ein flexibleres Vorgehen.
Ist das Ausland gegenüber der Schweiz hier im Vorteil?
Ich glaube ja. Nehmen wir Grossbritannien als Beispiel, das ich aus meiner Arbeit kenne. Der Premierminister verfügt über hilfreiche Instrumente in der Krise. So hat die «Prime Minister’s Strategy Unit» im Cabinet Office gute Unterlagen zur Strategieentwicklung erarbeitet.
Sie haben den Bund bis 2006 im Krisenmanagement beraten. Was lief da schief?
Ich hinterfrage mich schon. Aber ich sehe einmal mehr, wie schwierig es ist, psychologische Hürden zu überwinden. Das erlebe ich auch in meiner Arbeit mit Privatorganisationen. Oftmals wollen sich die Führungspersonen aus Angst, Fehler zu machen, nicht ausbilden lassen. Zugleich bestehen Vorbehalte gegenüber Auswertungen von Krisen. Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass Führungsschwächen aufgedeckt werden. Trotzdem sollten wir lockerer mit solchen Ausbildungen und Auswertungen umgehen. Die persönlichen Befindlichkeiten müssen zu Gunsten des Lerneffekts zurückgenommen werden.
Die Angst vor dem Fehlermachen verhindert ein gutes Krisenmanagement?
Ich sehe es an der Universität oder bei meiner Ausbildungstätigkeit. Das unbedingte Vermeiden von Fehlern, die Angst vor Fehlern ist hier zu lande eine Unkultur. Wie aber wollen wir denn lernen? Fortschritte sind nun mal nur möglich, wenn Fehler gemacht werden und darüber diskutiert wird. Das gilt auch für den Bundesrat.
(Berner Zeitung)
Kommentar:
Zur Früherkennung: So wie man bei einer Flutwelle im offenen Meer mit Bojen erkennen kann, dass sich ein Tsuami anbahnt und die Bevölkerung dank diesem Frühwarnsystem rechtzeitig alarmiert werden kann, hätte man bei der Finanzkrise im Bundesrat auch die ersten Signale wahrnehmen können. Tatsächlich fehlt eine Kordinationsstelle, welche die verschiedensten Signale sammelt und beurteilt.
Bei der Finanzkrise wurde die Expertengruppe viel zu spät gebildet.
Es fehlt auch eine Expertengruppe, welche die Signale auswertet und vor allem nach Krisen die Erkenntisse und Fehler ständig auswertet, damit daraus gelernt werden kann.
Auch Carell kommt zum Schluss, dass ein Krisenstab fehlt und betont zudem, dass in Krisensituationen die Kompetenzen neu festgelegt werden müssen. Wenn es brennt, kann der Bunderat nicht mehr ständig als Kollegium führen.
Es fehlen Briefings.
Carell bringt es auf den Punkt: Es fehlt heute die Fehlerkultur im Bundesrat!