Montag, 6. Dezember 2010

"Prognosen - Journalismus"


Der Unfall von Samuel Koch dominierte zwangsläufig in den Medienberichten über «Wetten, dass ..?».

Nur eine Zeitung berichtete vom Robbie-Auftritt, der nie stattfand.

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«Österreich» berichtete am 5. Dezember im Westen des Landes so über «Wetten, dass..?».

Beim deutschen Medien-Blog «Korrekt von uns» dürften die Autoren ihren Augen nicht getraut haben.


Auf ihrer Webseite zeigen sie ein Exemplar der Zeitung «Österreich» vom Sonntag, den 5. Dezember: Der Bericht zur «Wetten, dass ..?»-Show trägt dort die Überschrift «Robbie holte Show aus dem Koma» und beginnt damit, dass Moderator Gottschalk mit «Kampf-Ansage» und Top-Stars das Quoten-Tal durchschritten habe. «Tommy hatte für jeden etwas dabei», liest der Leser.


Dass zu diesem Zeitpunkt Samuel Koch im Krankenhaus lag und tatsächlich später in ein Koma versetzt wurde, macht diese Zeitungsente zum medialen Super-GAU. Wie konnte das passieren? «Der Artikel wurde vorgeschrieben», erläutert Harald Fidler auf Nachfrage von 20 Minuten Online. «Der Text ist in der West-Ausgabe der Zeitung erschienen, die als erste Redaktionsschluss hat, um rechtzeitig zur Druckerei zu kommen.» Die Ost-Ausgabe sei dagegen noch aktualisiert worden, erklärt der Medien-Redaktor des österreichischen «Standard». «Das ist wirklich dumm gelaufen!»


Dieser Fauxpas ist seinen Informationen zufolge kein Einzelfall. Als Biograph des verantwortlichen Herausgebers («Österreichs manischer Medienmacher, Die Welt des Wolfgang Fellner») kennt er die Gepflogenheiten der «Österreich»-Kollegen.


«Es zählt zu den Eigenheiten des Herausgebers, diese Art von `Prognosen-Journalismus´ zu betreiben. Ich glaube nicht, dass deswegen Köpfe rollen werden», erklärte Fidler uns.

Ein Trost: Journalisten stehen immer unter einem enormen Zeitdruck. Deshalb versuchen Kommentatoren, Texte vorzuschreiben. Es gab schon Konzertkritiken von Konzertn, die nicht stattgefunden haben. Ich bin sicher, dass sich jeder Prognosenjournalsit grün und blau ärgert, wenn sein Bericht von einer Veranstaltung, die ins Wasser fiel veröffentlicht wird.

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Krisenkommunikation heisst: Keine Vermutungen, keine Prognosen.
Es gilt: Sachverhalte verständlich und kurz zu beschreiben



Als ich heute im Blick-online den Titel gelesen habe:


Paraplegie-Arzt: «Rechne mit Querschnitts-Lähmung»


traute ich meinen Augen nicht. Im Beitrag von gestern lobte ich die deutschen Aerzte, weil sie - wie es gemacht werden muss - immer nur den IST Zustand (Fakten, Sachverhalt) des Unfallopfers beschreiben haben. Ich frage mich, weshalb ein Arzt, der die Details nicht kennt, so vorschnell eine Prognose macht: Er rechne mit einer Lähmung. Er rechne mit dem Schlimmsten!
Wenn wir jedoch das Interview genau lesen, stellen wir fest: Der Arzt hat es so nicht gesagt!. Es waren die Journalisten, die den fragwürdigen Titel verfasst hatten. Dies ist unprofessionell.


Ich zitiere: aus dem Interview:



NOTTWIL - Nach Samuel Kochs Horror-Sturz bei «Wetten dass..?» rechnet Dr. Michael Baumberger, Chefarzt im Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil, mit dem Schlimmsten.

Interview: Christina Morf |


Dr. Michael Baumberger, Chefarzt im Paraplegiker Zentrum Nottwil. (ZVG)
Dr. Michael Baumberger, Chefarzt im Paraplegiker Zentrum Nottwil. (ZVG)

Was sagen Sie zum Unfall in der Sendung «Wetten dass..?»?

Vieles deutet darauf hin, dass es sich um eine Tetraplegie handelt. Ein Indiz dafür ist die Bewegung des Kopfes nach dem Aufprall.

Was konkret bedeutet Tetraplegie?

Tetraplegie ist eine Querschnittslähmung ab der Höhe des 4. bis 6. Halswirbels. Sie wird unterschiedlich klassifiziert. Ich gehe davon aus, dass es sich um eine komplette Tetraplegie oder eine mit schweren Ausfällen handelt.



Kann sich das wieder erholen?



Bei einer kompletten Tetraplegie, also bei einer kompletten Durchtrennung des Rückenmarks, gibt es keine Heilung.




Kommentar:
Nach meinem Dafürhalten kann damit dem Arzt Michael Baumberger kein Krisenkommunikationsfehler vorgeworfen werden. Der Fehler liegt  bei der Redaktion d.h. bei der Titelgebung. Der Chefarzt sagt  nämlich wortwörtlich: Es deute vieles darauf hin...


Er sagt nicht, er vermute, der Verunfallte bleibe gelähmt. Mit dem Titel wurde  jedoch den Lesern suggeriert, Baumberger sei sich gleichsam sicher, dass..... Wenn wir die wortwörtliche Aussage lesen, beschreibt der Chefarzt des Paraplegiker Zentrums lediglich  - völlig korrekt -, dass es nur bei einer kompletten Tetraplegie keine Heilung mehr gebe.

Bei Samuel Koch ist dies aber noch nicht bestätigt.


Nachtrag: 6. Dez:
Neurochirurg Raab antwortet vorbildlich. Er macht vor Mikrofon und Kamera keine Prognosen.


 BILD Journalisten fragten bei den Aerzten der Düsseldorfer Uniklinik nach:


Wie stehen die Chancen auf eine vollständige Genesung und wie groß ist die Gefahr einer fortwährenden Lähmung?



Für Neurochirurg Dr. Richard Bostelmann ist „der Zeitpunkt“ für eine konkrete Einschätzung „viel zu früh“. Denn: Auch an Tag zwei nach dem schlimmen Sturz ist Samuels Zustand weiterhin kritisch!
Dr. Wolfgang H.-M. Raab : 

„Wir möchten uns zum derzeitigen Zeitpunkt nicht über irgendwelche prognostischen Aspekte der Verletzungen, die zugegebenermaßen schwerwiegend sind, äußern.“