Montag, 4. April 2011

Warum lässt das Interesse an den News über Japan nach?


«Sie scheinen den Medien nicht zu trauen»


Aus TAGI Onlineportale, Twitter, Facebook – das Informationsangebot über die Katastrophe in Japan ist riesig. Der Soziologe Dirk Baecker über die Gefahr von zu viel Information und die Medien als mögliche Profiteure.
1/15 Gerettet: 
Dieser Hund scheint sowohl das Erdbeben und den Tsunami, sowie drei Wochen in einem weggeschwemmten Haus im Meer überlebt zu haben. (1. April 2011)
Bild: Reuters
   



Dirk Baecker ist Soziologe und Leiter des Lehrstuhls für Kulturtheorie und -analyse an der Zeppelin University in Friedrichshafen. Er beschäftigt sich mit den Umbrüchen der Mediengesellschaft, der Informationsüberflutung und den Überforderungsphänomenen der Medienkonsumenten. Sein Buch «Studien zur nächsten Gesellschaft» ist vor zwei Jahren erschienen. Dirk Baecker lebt in Basel.



Das Interesse an der Medienberichterstattung aus Japan war riesig und brach bei den Onlinemedien alle Zugriffsrekorde. Wie kommt es, dass das Informationsbedürfnis schlagartig wieder sinkt?


Das ist auf drei Gründe zurückzuführen.


- Man hat festgestellt, dass die Katastrophe in Japan wesentlich länger dauert, als anfangs gedacht, und deshalb aufgehört, den Stand der Dinge im Stundenrhythmus abzufragen.


- Zweitens hat man verstanden, dass man sich nun Gedanken zur atomaren Energiepolitik in Europa machen muss. Hierfür braucht man Hintergrundinformationen und ebenfalls kein stündliches Update.


- Schliesslich könnte es eine Rolle spielen, dass die Informationspolitik der Betreiberfirma Tepco und der japanischen Regierung zögerlich, diffus und verdächtig ist und man deshalb den Medien nicht mehr traut, die diese Informationen weitergeben. 


Ist das Interesse an Japan nun vorbei?


Nein. Es braucht nur ein einziges plötzliches Ereignis, das die gegenwärtige Einschätzung wieder korrigiert und die Leute würden sofort wieder auf die Onlineseiten zugreifen. Jeder fragt sich laufend, ob sein Bild von der Situation in Japan noch stimmt, und würde neue Informationen abfragen, sobald er den Eindruck hat, dass das nicht mehr der Fall ist. Wenn man mit dem Bild, das man von einer Situation hat, zufrieden ist, kann man auf die aktuelle Überprüfung der Lage verzichten.


Angeblich haben selbst die Japaner genug von all den Informationen und verschliessen sich.

 
In der japanischen Gesellschaft scheint man eine Schwäche für eine sparsame Informationsversorgung zu haben. Jeder weiss, dass man nicht weiss, was der andere tatsächlich treibt. Das geht mit einem grossen Vertrauen einher, dass es wohl so schlimm nicht kommen wird. Andererseits besteht aber auch ein Misstrauen, das dazu führt, dass man sich zurückzieht. Im Moment wird diese kulturelle Einstellung der Japaner zu ihrer Gesellschaft offenbar auf eine sehr harte Probe gestellt. Man weiss nicht, wem man vertrauen und wem misstrauen sollte. Ein Rückzug ins Private ist jedoch im Moment sehr gefährlich.


Weshalb?


Bei Atomunfällen sieht man ja die Gefahr nicht. Viele Leute beginnen schon, in die Katastrophengebiete zurückzukehren, um dort ihre Häuser wieder aufzubauen. Das ist fatal. Sie können nur von der Regierung und aus den Medien erfahren, wie hoch die Strahlenbelastung ist. Aber sie scheinen den Medien nicht zu trauen.



Tragen die Medien Schuld?


Nein, denn sie geben ja nur die Informationen weiter, die sie von der Regierung und der Betreiberfirma Tepco bekommen.


Den Medien wurde teilweise vorgeworfen, zu viele Informationen verbreitet zu haben.


Für diesen Vorwurf habe ich wenig Verständnis. Es kann nie zu viele Informationen geben, solange jeder in der Lage ist, sich ein Bild von der Gesamtsituation zu machen. Ausserdem hängt kein Mensch am Tropf einer Zeitung oder eines Onlinemediums und ist gezwungen, alle Informationen aufzunehmen. Man kann sich jedoch zu Recht über die Akzente beschweren, die die Medien gesetzt haben. Warum muss immer wieder das Leid individueller Personen gezeigt werden, statt sich auf die Hintergründe der Katastrophe zu konzentrieren? Warum wird mehr Aufregung produziert, statt Information zu liefern? Die Leute merken schnell, wenn die Medien ihrerseits von der Katastrophe zu profitieren versuchen und die Bevölkerung mit Informationen füttern, um selbst im Spiel zu bleiben. Das fällt unangenehm auf und verstärkt die Skepsis. 


Welche Rolle spielt es bezüglich Medieninteresse, dass der Mensch sich möglicherweise selber als Ursache solcher Katastrophen sieht?


Eine grosse. Wir wissen heute, dass wir unsere grössten Probleme selber verschulden. Wir wissen, welche tiefen Eingriffe in die Natur wir verursachen und welche Folgen dies haben kann. In diesem Sinne ist Japan wie ein Experiment, das uns vor Augen hält, welches gefährliche Spiel auch wir hier in Europa treiben. Deshalb auch das grosse Interesse an Japan.
(Tagesanzeiger.ch/Newsnetz)




Kommentar:

In Krisensituationen gilt es, wichtige, wesentliche Informationen herauszuschälen d.h. Medien dürfen die Informationslawine nicht zusätzlich verstärken. In Krisensituationen sind Informationen wichtig. Die Medien haben die Aufgabe, Informationen zu verarbeiten und der Bevölkerung die Informationsschwemme nicht auch noch  zusätzlich zu fördern. Der Mensch ist gar nicht fähig, diese immense Fülle zu verarbeiten. Seine Gegenreaktion: Er  schützt sich, indem er  die Informationen gar nicht mehr richtig wahrnehmen will. Kommt dazu, dass die Informationen aus Japan nicht mehr glaubwürdig sind.
Dies ist eine weitere wichtige Erkenntnis bei der Krisenkommunikation: Vertrauen kann nur durch Glaubwürdigkeit aufgebaut werden.




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