Mittwoch, 14. Dezember 2016

GOTTHARD: Teuerste TV - Prduktion aller Zeiten

Kleinreport stellt kritische Fragen:

Mit «Gotthard» leistet sich SRF nach eigenen Angaben die teuerste TV-Produktion aller Zeiten und das in Zeiten, wo auch bei der SRG kräftig gespart werden muss. Wie passt das zusammen?

Nur dank der Unterstützunginternationaler Koproduzenten und verschiedenen Filmförderungen
war es möglich, ein Projekt dieser Dimension umzusetzen.»

«Gotthard» hat 11 Millionen Franken gekostet, ZDF und ORF haben
als Koproduzenten fünf Millionen beigesteuert. Bleiben sechs
Millionen Franken für SRF. Eine stattliche Summe für einen
Zweiteiler. 

Warum wurde  in Prag gedreht?
Gibt es in der Schweiz keine stillgelegten Steinbrüche?

Fitze: «Einen Steinbruch in der benötigten Grösse gibt es in der
Schweiz tatsächlich nicht. Die Möglichkeit, den Film in der Nähe
von Prag auf diesem Gelände drehen zu können, war ein Glücksfall
für uns und hat geholfen, die Produktionskosten deutlich zu
reduzieren.»

Für den Nachbau des Stollens ist man nach Deutschland
ausgewichen. Hätte man diese Filmaufnahmen nicht ins Ausland  verlegt, wären wenigsten ein Teil der immensen Produktionskosten in der Schweiz ausgegeben worden. Doch nun haben Deutschland und die Tschechei profitiert. Die SRG ernährt sich bekanntlich unter anderem vor allem von einem grossen Gebührentopf. Muss sie da nicht jede Ausgabe seriöser überdenken?

Urs Fitze: «Bei dieser Produktion handelt es sich nicht nur um
eine nationale, sondern auch um eine internationale Koproduktion,
was bedeutet, dass mehrere Länder Geld in dieses Projekt
investiert haben. Es liegt also in der Natur der Sache, dass die
verschiedenen Drehorte nicht nur in der Schweiz angesiedelt sind.
Die gesamten Produktionskosten im Ausland wurden ausschliesslich mit ausländischen Geldern finanziert. Die von der SRG investierten rund 5,7 Millionen Franken wurden vollumfänglich in der Schweiz investiert. In Tschechien werden regelmässig historische Filme gedreht, dort existieren die entsprechenden Requisiten wie zum Beispiel Pferdekutschen. Solche Requisiten gibt es in der Schweiz und in Deutschland nicht. Der Transport war aus versicherungstechnischen Gründen nicht möglich.»

Bildergebnis für Gotthard


 TAGI kommentiert:

Zu Beginn muss allerdings wüst herumkonstruiert werden, damit die 180-Minuten-Geschichte Fahrt aufnimmt. Das Gerüst des Dramas ist nämlich ein Dreieck: Im Zentrum steht eine Urner Fuhrmannstochter aus Göschenen (gespielt von Miriam Stein, der Tochter von TV-Mann Dieter/Max Moor). Umschwärmt wird sie von einem deutschen Ingenieur, der gescheit ist, aber wenig Durchsetzungskraft hat (Maxim Mehmet, der Herr Sesemann aus dem neuen «Heidi»-Film). Und von einem italienischen Arbeiter, der sich mit seiner heissblütig-anarchistischen Ader überall Feinde macht (Pasquale Aleardi, der Zürcher Schauspieler und Musiker).




Es ist alles drin im Gotthard, eine Portion Bauernschwank, eine Portion Gesellschaftskritik. Mainstream-Fernsehen für Jung und Alt. Die Augen schliessen muss man nur, wenn der Doktor eine Säge zückt, um ein Bein zu amputieren. Aber auch da wird rechtzeitig weggeschnitten.






Hoher Berg, tiefe Gefühle: Anna (Miriam Stein) und Max (Maxim Mehmet) nehmen am historischen Schauplatz einige Umwege, um zueinander zu finden. Szene aus dem SRF-Zweiteiler «Gotthard». (Bild: Pascal Mora / SRF)

Hoher Berg, tiefe Gefühle: Anna (Miriam Stein) und Max (Maxim Mehmet) nehmen am historischen Schauplatz einige Umwege, um zueinander zu finden. Szene aus dem SRF-Zweiteiler «Gotthard».

Historiker bemängeln folgende Fehler:
Doch trotz des horrenden Budgets haben sich Fehler in die nationale Produktion eingeschlichen – und nicht gerade wenige, wie Historiker Kilian T. Elsasser festgestellt hat. «Zum Beispiel ist das mit den Kostenüberschreitungen am Tunnel total falsch erzählt im Film», so der Gotthard-Experte zu «Bluewin». Denn der Gotthard sei eigentlich der Tunnel gewesen, der am wenigsten Mehrkosten verursacht habe. «Er hat nur 15 Prozent mehr gekostet als vorgesehen war – im Vergleich: Der Alptransit-Tunnel war 50 Prozent teurer als geplant.» Auch sei der «Tunnelwurm» nicht von einem Schweizer Arzt diagnostiziert worden, wie es im Film dargestellt wurde, sondern italienische Doktoren haben den Virus entdeckt, als diese die rückkehrenden Mineure untersuchten. Am Schluss des Films ist ausserdem die Rede von 177 Toten. «Seit über 20 Jahren weiss man aber, dass diese Zahl falsch ist», erklärt Elsasser. Es seien 199 Personen am Gotthard ums Leben gekommen. «Das ist einfach nicht à jour. Die beiden Historikerinnen, die den Film für SRF überprüft haben, müssten das eigentlich wissen.»
Zudem seien die meisten Mineure nicht gestorben, weil sie erstickt sind. Es stimme zwar, dass sie an zu wenig Luft gelitten haben, der Film vermittle jedoch stellenweise ein falsches Bild. Die meisten Arbeiter «sind von herabfallenden Steinen erschlagen, von Wagen überfahren oder bei Explosionen getötet worden», sagt der Experte. Dann sei es auch nicht Bundesrat Emil Welti gewesen, der die Eröffnungsrede gehalten haben, sondern Simeon Bavier – der erste Bündner, der dem Bundesrat angehörte. «Und noch ein Detail: Die Schiesserei während des Streiks fand im Film vor dem Tunnelportal statt, dabei war diese im Dorf. Es hat wohl einfach besser ausgesehen so.»



KOMMENTAR:

Der Zweiteiler kostete insgesamt 11 Mio Franken. Eine stattliche Summe. Starregisseur Urs Egger liebt jedoch Detailtreue und dies kostet enorm. Allein schon die Kleider mussten alle auf ALT getrimmt werden. Der Film war in jeder Hinsicht aufwändig.  Die Kunstbauten, das nachgebaute Tunnel in einer Halle. Der Film vermag uns sehr gut in jene Zeit versetzen - mit all den unzumutbaren  Zuständen im Tunneldorf. Wir erleben die Sorgen und Nöte der Taglöhner. Drehort des Tunnels war in Köln und die Baustelle in einem Steinbruch in Prag. Das Zeitdokument ist ambitiös und spektakulär. Der Aufwand hat sich fürtotz Vorberhalten gelohnt.
Die Geschichte wird von unten erzählt, d.h. mit wenig Personen - wir befinden uns sofort mitten  im Geschehen.
Zuschauer, welche keine Geschichtskenntisse haben, schlecht eingeordnet werden. Die Auswahl der Schauspieler war treffend hervorragend.  Die Rollen waren ihnen auf den Leib geschnitten.
Die Liebesgeschichte im Teil 1 dominierte im 2.Teil zu stark.
Möglicherweise wurden die Beziehungsgeschichten bewusst ins Zentrum des Geschehens gerückt. Liebesgeschichten versprechen mehr Quoten als ein faktentreues Zeitbild.
Bei den Beziehungsgeschichten mit verschiedenen Männern wurde es des Guten zu viel. Der zweiter Teil grenzte für viele Zuschauer ans Kitschige. Schade.
Diese Filmprojekt verdeutlichte, wie schwierig es ist, historische Fakten und filmisches Erzählen unter einen Hut zu bringen. Bei diesem Projekt muss die Frage nach Exaktheit gestellt werden. Die Liebesgeschichte war omzweiten Teil zu dominant. Unglaubwürdig wird es, wenn der Deutsche beim Schiessbefehl gegen die streikenden Arbeiter eine wichtige Rolle spielt.
Fazit: Ein unterhlaltsamer, emotionaler Film - zwar zeitkritisch, aber ohne historischen Zusammenhang.
Erfolgsquote: Sehr gut. Ueber eine Million Zuschauer!

Doch trotz des horrenden Budgets haben sich Fehler in die nationale Produktion eingeschlichen – und nicht gerade wenige, wie Historiker Kilian T. Elsasser festgestellt hat. «Zum Beispiel ist das mit den Kostenüberschreitungen am Tunnel total falsch erzählt im Film», so der Gotthard-Experte zu «Bluewin». Denn der Gotthard sei eigentlich der Tunnel gewesen, der am wenigsten Mehrkosten verursacht habe. «Er hat nur 15 Prozent mehr gekostet als vorgesehen war – im Vergleich: Der Alptransit-Tunnel war 50 Prozent teurer als geplant.» Auch sei der «Tunnelwurm» nicht von einem Schweizer Arzt diagnostiziert worden, wie es im Film dargestellt wurde, sondern italienische Doktoren haben den Virus entdeckt, als diese die rückkehrenden Mineure untersuchten. Am Schluss des Films ist ausserdem die Rede von 177 Toten. «Seit über 20 Jahren weiss man aber, dass diese Zahl falsch ist», erklärt Elsasser. Es seien 199 Personen am Gotthard ums Leben gekommen. «Das ist einfach nicht à jour. Die beiden Historikerinnen, die den Film für SRF überprüft haben, müssten das eigentlich wissen.»
Zudem seien die meisten Mineure nicht gestorben, weil sie erstickt sind. Es stimme zwar, dass sie an zu wenig Luft gelitten haben, der Film vermittle jedoch stellenweise ein falsches Bild. Die meisten Arbeiter «sind von herabfallenden Steinen erschlagen, von Wagen überfahren oder bei Explosionen getötet worden», sagt der Experte. Dann sei es auch nicht Bundesrat Emil Welti gewesen, der die Eröffnungsrede gehalten haben, sondern Simeon Bavier – der erste Bündner, der dem Bundesrat angehörte. «Und noch ein Detail: Die Schiesserei während des Streiks fand im Film vor dem Tunnelportal statt, dabei war diese im Dorf. Es hat wohl einfach besser ausgesehen so.»

Trotz Unstimmigkeiten eine positive Bilanz

Auf der anderen Seite gibt es aber auch vieles, was Elsasser sehr gelungen findet. «So wurde beispielsweise der Transport des Dynamits sehr realistisch dargestellt – das habe ich in dieser Form so noch nirgendwo gesehen.» Ausserdem habe ihm «das Prinzip der Dreiecksbeziehung zwischen Anna, Max und Tommaso» sehr gut gefallen. «Es zeigt die Internationalität dieser Baustelle und die neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten, die einer in Göschenen und Airolo offen stehen konnte. Das macht den Film spannend und bringt einen neuen Aspekt rein.»
So zieht der Historiker Kilian T. Elsasser trotz der vielen Unstimmigkeiten in «Gotthard» eine positive Bilanz. «Den Film muss man einfach gesehen haben», sagt er. Denn es sei «ein neuer spannender Ansatz, um eine alte Geschichte zu erzählen, von der alle meinen, sie kennen sie schon.»
Bild zum Artikel
Kilian T. Elsasser (rechts) wirkte beim SRF-«DOK» von Hansjürg Zumstein mit dem Thema «Gotthard – Das Jahrhundertbauwerk» mit.
Bild: SRF
Der erste Teil von «Gotthard» lief am Sonntag, 11. Dezember, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Der zweite Teil kommt heute Abend, 12. Dezember – gleiche Zeit, gleicher Sender. Mit Swisscom TV 2.0 können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach Ausstrahlung im Replay anschauen.

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