Analyse: 1. August Reden
Jedes Jahr werde ich am Nationalfeiertag gefragt, wer eine gute Rede gehalten hat. Oft will man von mir wissen, was eine gute Rede ausmacht.
Dieses Jahr musste ich für DRS 3 die Reden von zwei Bundesräten analysieren und vergleichen:
Die Rede von Ueli Maurer
Ueli Maurer hielt dieses Jahr nicht weniger als fünf Ansprachen zum 1. August. (Bild: Keystone / L. Lehmann)
und die Rede von Simonetta Somaruga
Zwei Erst Augusttreden - zwei unterschiedliche Aussagen - zwei kompetente Rhetoriker (Simonetta Somaruga und Ueli Maurer).
Es war nicht einfach, die beiden Auftritte für DRS 3 zu beurteilen, waren doch Simonetta Sommaruga und Ueli Maurer zwei Magistraten, die kommunikativ beide sehr stark sind. Beide überzeugen durch ihre Stimme und ihre Person . Beide standen hinter und zu ihrer Botschaft. Bekanntlich kann nur jemand, der von dem, was er sagt, selbst überzeugt ist, kann letztlich überzeugen. Beide konnten es zwar nicht lassen, parteipolitisch zu agieren. Sommaruga mit einem Seitenhieb gegen die SVP und Maurer mit dem Kernthema der SVP, der Ausländerfrage. Erstaunlicherweise beschäftigten sich beide mit der Grenzfrage. Die Bundesrätin Sommaruga plädierte für offene Grenzen und Maurer hingegen mit der Botschaft: Wir müssen wieder lernen NEIN zu sagen.
Beide gaben wenig Persönliches von sich preis und von Humor war nicht viel zu spüren. Dafür bauten beide am Anfang Brücken zum Publikum: Simonetta Sommaruga verstand des die Steinemer (Stein am Rhein als Grenzstädtchen) ins Herz zu schliessen und Ueli Maurer die Toggenburger, weil er immer wieder dort gewirkt hatte, vor allem im Militär.
Erstaunlich: Die Analyse verdeutlichte, dass die Reden - einmal aus linker - einmal aus rechter Sicht - die Rede einer Frau und die Rede eines Mannes im Grunde genommen ein spannendes rhetorisches Duell waren. Zusammen mit dem Produktionsleiter DRS 3 wurden zwei Hauptkategorien festgelegt.
Die EMOTIONEN (Was lösen sie beim Publikum aus?)
und die GESCHICHTE (die BOTSCHAFT, der Inhalt): Was geben uns die Redner mit?
Bei den beiden Kategorien konnten maximal sechs Punkte gegeben werden.
Bei der Hauptkategorie EMOTIONEN unterteilten wir in:
- Glaubwürdigkeit (überzeugt der Auftritt?)
- Einfachheit (wird verständlich gesprochen')
- Unterhaltungswert (Stimuliert die Rede?)
Es durften jeweils nur zwei Punkte gegeben werden.
Zur Glaubwürdigkeit:
Hier schnitt Sommaruga besser ab:
Bei der Glaubwürdigkeit bekam Sommaruga 2 Punkte, Ueli Maurer nur einen.
Begründung:
Die Justizministerin diffenzierte die These " Grenzen sind immer eine Chance", indem sie die Probleme mit kriminellen Ausländern nicht generell ausklammerte (Leute , die systematisch gegen die Gesetze verstossen, müssen nach der Justizministerin auch das Land verlassen).
TONBEISPIEL
Ueli Maurer war dank seiner natürlichen Art recht glaubwürdig. Er überzeugte, weil er so wirkte, als glaube er das, was er sagt. Doch entsprach die Rede zu stark dem SVP Parteiprogramm.
Zur Einfachheit:
Wer nicht so reden kann, dass es die Durchschnittsbürger verstehen, weiss nicht was adressatengerechtes Sprechen heisst.
Hinsichtlich Einfachheit erhielten beide Magistraten je zwei Punkte.
Sommaruga sprach unkompliziert, in nachvollziehbaren, kurzen, verständlichen Gedankenbogen.
Maurer zeichnete sich einmal mehr dadurch aus, dass er hinsichtlich Sprachebene vom "Otto Normalverbraucher" immer sehr gut verstanden wird.
Beim Unterhaltungswert (Stimulanz, Redundanz) schnitt Bundesrat Maurer besser ab. Er erhielt zwei Punkte. Sommaruga nur einen.
Begründung: Obschon beide einige persönliche Bemerkungen einfügten, konnte Ueli Maurer mit Frischs Geschichte vom Biedermann und die Brandstifter punkten. Dieses narrative Element weckte im Publikum Aufmerksamkeit. WEr gut erzählen kann, unterhält.
TONBEISPIEL
Nach der Pattsituation im Zwischenstand (je 5 Punkte), stellte sich noch die Frage, wer hinsichtlich INHALT seine Botschaft besser vermitteln und vertiefen konnte.
Wiederum konnten bei den Unterkategorien
- Struktur (roter Faden?)
- Bild (werden die Worte veranschaulicht?)
- Botschaft (welches ist die Kernaussage?)
maximal zwei Punkte vergeben werden:
Zu den Unterkategorien:
- Struktur
Sommaruga erhielt da zwei Punkte, Maurer nur einen
Begründung:
Da Thema GRENZE wurde konsequent und einleuchtend beleuchtet und vertieft.Maurer hatte zwar auch einen logischen Aufbau, doch war die Rede nicht so klar strukturiert (Positive Errungenschaften - Risiken antizipieren - Nein sagen können - Ordnung)
- Bild
Hinsichtlich "Kino im Kopf" (Lösen die Worte Bilder aus? Sehen wir das Gesprochene?). Da waren beide gut. Sie erhielten somit je einen Punkt. Simonetta Sommaruga verstand es immer wieder, die verschiedene Grenzen im Alltag so zu schildern, dass man sie sich gut vorstellen konnte.
TONBEISPIEL SOMMARUGA
- Botschaft
Beide Redner brachten es fertig, ihre Kernbotschaft herauszuschälen, zu vertiefen, zu wiederholen und zu veranschaulichen, so dass die Botschaft auch in den Medien richtig wiedergegeben wurde.
Dachbotschaft Sommaruga: "Abschottung bringt keine Lösung" (Grenzen überwinden, Grenzen sind Ort der Begegnung)
Dachbotschaft Maurer: "Lernen wir NEIN sagen, behalten wir die Risiken im Auge, damit wir Fehlentwicklungen vermeiden können" (Nur willlkommene wollen wir Gäste ins Haus lassen)
Zählen wir die Punkte zusammen, so hat beim Inhalt Sommaruga einen knappen Vorsprung von einen Punkt und schaffte damit den Zieleinlauf als Siegerin.
Hinsichtlich Rhetorik dürfte man dennoch von zwei Siegern sprechen. Beide sprachen sehr professionell.
Was könnten wir auf Grund dieser Erkenntnisse daraus lernen?
Für das Publikum, falls jemand einmal an einer Hochzeit, einem Geburtstag oder an einer Beerdigung eine kurze Ansprache halten müsste:
Es geht immer um folgende Grundsätze:
- Ich spreche nur, wenn ich mich gedanklich vorbereitet und etwas zu sagen habe.
Ich rede frei und so wie ich bin (keine Schauspielerei)
- Ich bedenke den Start und den Schluss, nachdem ich eine Kernbotschaft (Dachbotschaft) bestimmt habe
- Diese Kernbotschaft muss aber noch mit einem Beispiel, mit einer Geschichte einem Erlebnis veranschaulicht werden. Die Botschaft wird dadurch nachhaltig.
Wenn ich von dem überzeugt bin, was ich sage, kann ich viele rhetorische Fehler machen. Das vereinfacht das Reden vor Publikum. Die Botschaft kommt nur dann an, wenn Person und Botschaft übereinstimmen (Stimme muss mit Körperprache und Botschaft übereinstimmen.)
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