Die Beeinflussung durch zunehmend
angsteinflössende, schlechte Nachrichten beschäftigt immer mehr
Menschen, nicht nur Medienwissenschaftler. Es geht um das «Virus
Dystopie» (griechisch: Dys = schlecht / Topos = Ort, Stelle). Es ist das
Gegenteil von Utopie.
Wenn negative Geschichten in den Medien Anklang finden, die uns
verängstigen oder Negatives prognostizieren, ist das nachvollziehbar.
Schlechte Botschaften generieren mehr Aufmerksamkeit als positive. Dabei
gilt zu bedenken: Schlechte Botschaften können nicht nur unsere
Wahrnehmung beeinflussen. Sie können auch zu Lösungswegen und damit zu
Verbesserungen führen.
Medienexperten befürchten heute, im Zeitalter der sozialen Medien,
dass sich das «Virus Dystopie» noch stärker ausbreitet, zumal die
klassischen Medien durch den Dominoeffekt die Öffentlichkeit noch
zusätzlich negativ beeinflussen. Schlechte Botschaften können den Blick
für Fakten trüben, sogar krank machen.
Anderseits wird uns das Gegenteil, die Utopie oder Eutopie (das
heisst Nachrichten, die nur das Bild einer imaginären, perfekten Welt
zeichnen), keine heile Welt bescheren können. Eine utopische
Gesellschaft ohne Armut, Seuchen, Krankheiten, Konflikte und so weiter
ist und bleibt Wunschdenken.
Medien und Konsumenten müssten somit künftig die Balance zwischen
Dystopie und Utopie anstreben. Meinungsfreiheit und Informationspflicht
hindern uns jedoch daran, mit radikalen Massnahmen Negatives
auszuklammern oder schlechte Nachrichten zu verbieten.
Ferner gilt zu bedenken: Soziale Medien fördern das Extreme. Sie
verstärken einerseits Negatives, weil sie – wie erwähnt – Aufmerksamkeit
generieren. Anderseits zensieren sie mitunter unbequeme Fakten und
Argumente.
Ein konstruktiver Ansatz zeigt sich derzeit bei der
Community-Notes-Funktion von Twitter/X: Problematische Beiträge werden
mit einer Anmerkung (Annotation) versehen, aber nur, wenn sich Nutzer
mit unterschiedlichen Meinungen darauf einigen. Diese Methode wurde
kürzlich von Mark Zuckerberg empfohlen. Er kündigte an, sie auch auf
Facebook einzuführen.
Marcus Knill ist Experte für Medienrhetorik, Berater und Autor von rhetorik.ch.
Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene
Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der
Redaktion.
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Sind wir machtlos gegen das «Virus Dystopie»?