Kriegsreporterin Luzia Tschirky
Audio-Übersicht
Berichten mitten im Krieg «Ich passe nicht in das Klischeebild einer Krisenreporterin»
Luzia Tschirky ist die jüngste und erste weibliche Russland-Korrespondentin bei SRF. Sie spricht über ihr Leben als Kriegsreporterin und den Umgang mit Gefühlen in der Berichterstattung.
Luzia Tschirky ist eine der Journalistinnen, die seit dem ersten Tag des Krieges erklärt, was in der Ukraine geschieht. Die 31-jährige Russland-Korrespondentin berichtet von einem Ort, wo sie die Nächte in Luftschutzkellern und die Tage damit verbringt, verlässliche Quellen und Augenzeuginnen und Augenzeugen zu finden. Im Podcast «Focus» spricht sie unter anderem über ihr Leben als Kriegsreporterin, über das Sortieren von Wahrheit und Propaganda, und den Umgang mit Gefühlen in der Berichterstattung.
SRF 3: Mit 28 Jahren wurden Sie die erste Frau auf dem Russland-Korrespondentenposten bei SRF. War das speziell für Sie, so jung und determiniert, so eine Stelle anzutreten?
Luzia Tschirky: Für mich war klar, dass ich das schaffen kann. Für viele Menschen um mich herum jedoch nicht. Es gibt das Klischee, dass die Person, die aus Moskau berichtet, sicher das Ende der Sowjetunion miterlebt hat und ein Mann über 50 ist. Jemand wie ich passt nicht in das Klischeebild einer Krisenreporterin. Vorbehalte mir gegenüber habe ich auch in Russland bemerkt. Man dachte, ich sei die Assistentin. Dann hiess es am Telefon, man möchte gerne mit dem Chef sprechen. Ich habe aufgelegt, nochmals angerufen und gesagt, die Chefin sei nun am Telefon.
Sie haben ein grosses Netzwerk in Russland und der Ukraine. Wie einfach war es, Beziehungen zu knüpfen?
In Russland kommt es auf die Region drauf an. In einer Grossstadt, wie Moskau, ist es schwieriger, mit Menschen in engen Kontakt zu kommen, auf dem Land einfacher. In Belarus wiederum, ist es ganz leicht Kontakte zu knüpfen, was erstaunlich erscheinen mag. In Belarus gibt es seit 1994 ein repressives Regime und es gab nie wirklich eine Öffnung, wie damals in Russland in den 1990er Jahren. Darum sind die Leute sehr solidarisch. Auch in der Ukraine hatte ich keine Mühe.
Wie haben Sie gelernt, wem Sie vertrauen können?
Es gab immer wieder Momente, in denen ich gut überlegen musste, wem ich vertrauen kann. Wer für den russischen Inlandsgeheimdienst oder das Departement für Extremismusbekämpfung arbeitet, ist in Russland relativ einfach herauszufinden.
Ich könnte eine ganze Collage mit Schuhfotos machen.
Man sieht es an den Schuhen. Es ist ein protziger, italienischer Stil, der in gewissen russischen Kreisen sehr gut ankommt. Ich könnte eine ganze Collage mit Schuhfotos machen.
Sie sind ständig umgeben von schrecklichen Bildern. Wie viel Gefühl dürfen Sie als Korrespondentin zulassen?
Als ich nach dem Kriegsausbruch zum ersten Mal die Ukraine verlassen habe, stand ich an der Grenze und sah zu, wie mein ukrainischer Kameramann und seine Frau wegfahren mussten. Er durfte das Land nicht verlassen und sie wollte ihn nicht alleine lassen und blieb bei ihm. Ein ukrainischer Soldat stand neben mir.
Ich als ausländische Korrespondentin kann einfach so das Land verlassen, zurück in die Schweiz, wo mein Leben nicht in Gefahr ist. Ich hatte nicht das Recht, zu weinen.
Er erzählte mir von sich, dass er 23 Jahre alt sei, eine Frau und ein kleines Kind habe. Ich fand die Situation unerträglich und war kurz davor, zu weinen. Dann sagte er: «Du bist doch eine starke Frau». Ich dachte mir, wie ich es mir erlaube, neben jemandem zu weinen, der an einem Grenzposten steht und keine Schutzweste hat, weil es zu wenige gibt in der Armee. Ich als ausländische Korrespondentin kann einfach so das Land verlassen, zurück in die Schweiz, wo mein Leben nicht in Gefahr ist. Ich hatte nicht das Recht, zu weinen.
Sie und ihr Mann, der auch Journalist ist, haben in Russland eine Wohnung. Sie leben in Moskau. Gibt es unter diesen Umständen überhaupt einen Alltag, zu dem Sie zurückkehren können?
Ich würde sagen, wir haben keine Wohnung mehr in Moskau. Für mich ist es momentan nicht denkbar, definitiv nach Russland zurückzukehren. Ein Grund ist die Gesetzgebung. Wer den Krieg auch so nennt, riskiert 15 Jahre Strafkolonie in Russland. Ich habe weniger Bedenken, dass mir das als Schweizer Staatsbürgerin drohen könnte. Es geht mir dabei mehr um meinen Mann, der eine russische Staatsbürgerschaft hat und die Personen, mit denen ich zusammen arbeite.
Das Gespräch führte Kathrin Hönegger im Rahmen des Podcasts «Focus». Die ganze Folge hören Sie im Audio oben.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen