Freitag, 15. April 2016

Verzwickter Fall Böhmermann

Wie Erdogan die Bundesregierung austrickste

Präsident Erdogan hat Berlin überrumpelt: Während man noch das Strafverlangen seiner Regierung prüft, hat er auch noch einen Strafantrag gegen Satiriker Böhmermann gestellt. Was bedeutet das? (Quelle: watson)

Es ist auf den ersten Blick verwirrend. Deshalb noch einmal der Reihe nach:
  Erdogan verlangt Genugtuung. 
  • Erstens: Die türkische Regierung hat förmlich verlangt, den ZDF-Moderator Jan Böhmermann wegen des von ihm selbst als – verbotene – Schmähkritik bezeichneten Gedichts über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan strafrechtlich zu verfolgen.
  • Zweitens: Nun hat am Montag auch noch Erdogan persönlich einen sogenannten Strafantrag gestellt.
Strafverlangen, Strafantrag – gibt es da einen Unterschied? Ja, tatsächlich, den gibt es. Es ist ein wichtiger Unterschied. Sowohl was die Ermittlungen anbelangt als auch die möglichen Folgen in einem Strafurteil für Jan Böhmermann. Hier sind die wesentlichen sechs Fragen – und Antworten:
Ganz grundsätzlich, welche Straftatbestände kommen überhaupt in Betracht?
  • Diskutiert wurde bislang vor allem Paragraf 103 Strafgesetzbuch (StGB). Dieser stellt die «Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten» unter Strafe. Dass Erdogan sich nicht in Deutschland aufhielt, als Böhmermann ihn beleidigte, das spielt keine Rolle – diese Einschränkung des Straftatbestandes gilt nur für einfache Regierungsmitglieder. Prinzipiell sind auch die Paragrafen 185 bis 187 StGB anwendbar, die Beleidigungen und andere ehrverletzende Äusserungen allgemein unter Strafe stellen; diese werden aber, wenn Paragraf 103 StGB greift, von jenem verdrängt.
Warum gibt es nun zwei Aufforderungen zur Strafverfolgung aus der Türkei?
Jan Böhmermann ist Erdogans Buhmann. Und umgekehrt.
  • Paragraf 103 setzt dagegen ein sogenanntes Strafverlangen der türkischen Regierung voraus; das ist zwar ähnlich wie ein Strafantrag – allerdings: Bei einem Strafverlangen muss zusätzlich noch die Bundesregierung die zuständige Staatsanwaltschaft förmlich zur Strafverfolgung ermächtigen, dem Strafverlangen also quasi zustimmen.
  • Mit einem Strafantrag, auch wenn er aus dem Ausland kommt, hat die Bundesregierung dagegen nichts zu tun. Insofern war Erdogans Strafantrag taktisch geschickt – damit hat er die Bundesregierung gewissermassen umgangen
  • Das liegt daran, dass der Paragraf 103 und der Paragraf 185 unterschiedliche formale Voraussetzungen haben. Eine Beleidigung nach Paragraf 185 wird nur verfolgt, wenn der Betroffene einen sogenannten Strafantrag stellt, also förmlich um Aufnahme von Ermittlungen bittet; genau das hat Erdogan offenbar – siehe oben – persönlich getan.
Warum hat die Staatsanwaltschaft Mainz schon ermittelt, bevor die türkische Seite das verlangt hatte?
  • Auch vor der der förmlichen Ermächtigung durch die Bundesregierung soll die Staatsanwaltschaft nach einer Sondervorschrift Beweise sichern und vor allem die Umstände aufklären, die sowohl für die Entscheidung des ausländischen Staates, ein Strafverlangen zu stellen, als auch für die Entscheidung der Bundesregierung über jenes Strafverlangen von Bedeutung sein können.
  • Ermittlungen nach Paragraf 185 dagegen sind in der Regel erst aufgrund eines Strafantrages möglich. Der liegt nun vor.
Inwiefern könnte Böhmermann nun angeklagt und eventuell sogar verurteilt werden?
  • Die Ermittlungen nach Paragraf 185 sollten jetzt laufen. Eine Anklage wäre darüber hinaus sogar wegen «übler Nachrede» oder «Verleumdung» möglich – denn in dem Gedicht geht es ja mehrfach um angebliche Sexualpraktiken des türkischen Präsidenten – und das sind dann eigentlich Tatsachenbehauptungen, die nach den Paragrafen 186 oder 187 strafbar sind.
  • Mehr noch: Nachdem eigentlich offensichtlich ist, dass diese Behauptungen unwahr sind, kommt sogar der schärfere Paragraf 187 in Betracht: Er bestraft ehrverletzende Falschbehauptungen, die «wider besseren Wissens» aufgestellt werden, besonders hart.
  • Erteilt die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen Paragraf 103 StGB, dürfte vor allem diese Vorschrift Anwendung finden. Denn immerhin stellt der Paragraf 103 auch eine «verleumderische Beleidigung» unter Strafe – und hierfür ist die Strafdrohung nochmals höher.
Droht Böhmermann eine Freiheitsstrafe?
  • Alle hier erwähnten Vorschriften sehen auch eine blosse Geldstrafe vor – mit einer Ausnahme: der verleumderischen Beleidigung von Staatsorganen nach Paragraf 103. Hier ist zwingend eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten (und bis zu fünf Jahren) vorgeschrieben.
  • Diese dürfte im Fall des Falles bei Böhmermann zwar zur Bewährung ausgesetzt werden. Andererseits: Wenn man zum Ergebnis kommt, dass sein Gedicht nicht von der Meinungs- oder Kunstfreiheit gedeckt war, dürfte sich die Strafe kaum am untersten Rand bewegen – dazu waren die ehrverletzenden Äusserungen zu zahlreich und massiv.
Die Bundesregierung kann zwar ein Strafverfahren gegen Böhmermann nicht verhindern, sie hat es aber faktisch in der Hand, ob dem Moderator im Falle einer Verurteilung nur eine Geldstrafe drohen würde – dann nämlich, wenn sie das Strafverlangen der türkischen Regierung, also eine Strafverfolgung wegen Paragraf 103 StGB, ablehnt.


KOMMENTAR:
Merkel ist in einer vezwickten Situation. Die Geschichte wird spannend. Gilt bei der Satire künftig nicht mehr die Narrenfreiheit? On verra.

Was sagen die Schweizer Satiriker zum Fall Böhmermann?
(Aus Tagi-online): 
Nun haben sich auch Schweizer Komiker zum Thema geäussert. Nur wenige stellen sich hinter ihren deutschen Berufskollegen. So sagt etwa Kabarettist und Satiriker Andreas Thiel zum «Blick»: «Satire darf nicht alles, und schon gar nicht Unwahrheiten verbreiten. Ehrverletzungen unter dem Deckmantel der Satire sind und bleiben einklagbar.»
Auch Schauspieler und Komödiant Marco Rima findet das «Schmähgedicht» daneben: «Ich mag Jan Böhmermann grundsätzlich sehr gern. Aber mit seinem Gedicht ging er zu weit. Das Gedicht ist auch nicht lustig, sondern plump.»
«Narzisstische Persönlichkeitsstörung»
Komiker und Moderator Fabian Unteregger hingegen zieht bei der Kritik gegen Erdogan mit: «Dass ein Staatschef eine Strafanzeige einreicht, ist schon bemerkenswert. Hier fragt man sich natürlich schon, ob Erdogan an seinen eigenen Grenzen nicht Wichtigeres zu tun hat, statt die Grenzen der Satire zu definieren. Die Art und Weise seiner Reaktion kann ferner ein Hinweis sein auf eine mögliche narzisstische Persönlichkeitsstörung», sagte er zum «Blick».
Viktor Giacobbo reagiert mit Satire auf die türkisch-deutsche Staatsaffäre: «Ich begrüsse es sehr, dass es zu einer Anklage kommt, weil dann muss gerichtlich untersucht werden, ob Erdogan tatsächlich Ziegen missbraucht. Das ist ja Teil der Anschuldigung», sagt der Satiriker zu «10 vor 10» 



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