Probleme mit Asylanten in Deutschland
Hamburg: 200 Flüchtlinge geraten in Erstaufnahmeeinrichtung aneinander
Hamburg plant Gesetz zur Beschlagnahmung von Gebäuden
Focus.de
hat sich mit der Problematik der Ausschreitungen in den Heimen befasst.
Die Hintergründe für die Konflikte sind vielseitig, sie beruhen auf
mindestens sechs wesentlichen Faktoren.
Die religiösen Differenzen
Im thüringischen Suhl entstanden Ausschreitungen, nachdem ein Flüchtling
Koranseiten in der Toilette heruntergespült hatte. «Gerade wenn es um
religiöse Tabus geht, sind viele Flüchtlinge sehr sensibel», erklärt
Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur arabischen Welt an
der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, gegenüber focus.de. Das hänge
auch mit negativen Erfahrungen in den Herkunftsländern zusammen. Mit
anderen Worten: Die religiösen Konflikte werden nach Deutschland
mitgenommen und nicht einfach an der Eingangstür der Asyl-Unterkünfte
abgegeben.
Andere Wertvorstellungen und Alltagsgewohnheiten können
ebenso zum grossen Streit führen wie die unterschiedlichen religiösen
Ansichten an und für sich. «Ich kann in meinem Asylbewerberheim nicht
offen sagen, dass ich Christ bin. Dann werde ich bedroht», sagte ein
Flüchtling aus einem Asylbewerberheim im südlichen Brandenburg kürzlich
der Zeitung «Welt».
Die beiden grössten Gruppen unter den
Flüchtlingen sind Christen und Muslime. Die meisten Streitigkeiten gibt
es allerdings unter den islamischen Glaubensgemeinschaften. Rainer
Wendt, der Präsident der Deutschen Polizeigewerkschaft, erklärte jüngst
gegenüber deutschen Medien: «Da kämpfen Sunniten gegen Schiiten, da gibt
es Salafisten unterschiedlichster Ausprägung. (...) Frauen werden zur
Verschleierung gezwungen. Männer werden gezwungen zu beten. Islamisten
wollen dort ihre Worte und Ordnung einführen.»
Rassismus, Diskriminierung, Sprachbarrieren
«In den Erstaufnahmerichtungen finden sich die Flüchtlinge oft in ihren
Herkunftsstrukturen wieder», meint Konfliktforscher Ulrich Wagner von
der Universität Marburg gegenüber Focus.de. Schon aufgrund der
Sprachbarriere sei eine Durchmischung der Flüchtlingsgruppen mit
unterschiedlicher Herkunft oft nicht möglich. Deshalb würden sich in den
Heimen die verschiedenen Gruppen gezielt voneinander abgrenzen.
«Natürlich
haben wir auch unter den Flüchtlingen ein Problem mit Rassismus»,
bemerkte Helmuth Stoll, Referent für Migration, gegenüber Zeit.de. In
vielen Ländern des Nahen Ostens sei die Diskriminierung von Farbigen
alltäglich. In vielen arabisch-islamischen Staaten wurde auch lange Zeit
mit afrikanischen Sklaven gehandelt. Das prägt das Denken der Menschen
teilweise bis heute. Roma leiden ebenfalls häufig unter Diskriminierung.
In zahlreichen europäischen Staaten werden Roma gleichgesetzt mit
Bettlern, Landstreichern und Kriminellen. Diese Vorurteile prägen auch
das Bild der Flüchtlinge.
Ethnische Konflikte
Das angespannte Verhältnis zwischen Kosovo-Albanern und Serben führt
auch in Asylheimen zu Tumulten. Der Streit um die Unabhängigkeit des
Kosovo ist auf dem Balkan tief verwurzelt, auch in der jüngeren
Generation. «Unter normalen Umständen würde man sich wahrscheinlich aus
dem Weg gehen und es käme nicht zur Konfrontation», erklärt
Konfliktforscher Ulrich Wagner von der Universität Marburg. Im
Flüchtlingsheim sei das aber nicht möglich.
Der Bürgerkrieg und die Konflikte in der Heimat
Besonders heikel kann es werden, wenn verfeindete Parteien aus den
Herkunftsländern nahe in deutschen Heimen untergebracht werden. «Das
Risiko ist gross, dass bei solchen Konstellationen Konflikte fortgeführt
werden», weiss Islamforscher Meyer. Als Beispiele nennt er Türken und
Kurden, jesidische und sunnitisch-arabische Iraker sowie Sunniten und
Schiiten.
Viele Jesiden haben Familienmitglieder bei Angriffen durch sunnitische
Islamisten verloren, im Irak werden sie von der Terrormiliz Islamischer
Staat als «Ungläubige» verfolgt und ermordet. Treffen sie nach den
traumatischen Erfahrungen in den Unterkünften Deutschlands auf
überzeugte Muslime, kommt es vor, dass sie ihre Wut auf sie übertragen.
«Einstige Opfer könnten hier zu Angreifern werden», glaubt
der Experte.
Die kulturellen Unterschiede
Neben den religiösen, ethnischen und politischen Konflikten spielen in
den Flüchtlingsheimen die kulturellen Ansichten unter den
Flüchtlingsgruppen eine nicht unwesentliche Rolle. Da sind zunächst die
Kommunikationsprobleme, die zu Missverständnissen und schliesslich
Streitigkeiten führen. Dazu gehören die körperliche Nähe sowie die
Lautstärke beim Gespräch. Wagner: «Werden in der eigenen Kultur
Konflikte eher ruhig ausgetragen und plötzlich erhebt der
Gesprächspartner die Stimme, wirkt das aggressiv – auch wenn es nicht so
gemeint ist.»
Die unterschiedlichen Perspektiven
Dass es in Flüchtlingsheimen zu Auseinandersetzungen und Krawallen
kommt, liegt auch an durchaus menschlichen Eigenschaften wie Neid und
Konkurrenzdenken. Anwärter, die keine Aussicht auf Asyl haben, sind
oftmals enttäuscht, frustriert, verärgert. «Solche Gedanken können die
Stimmung schnell negativ aufladen», erklärte Lothar Hölzgen,
stellvertretender Präsident des Gewerkschaftspolizei Hessen, gegenüber
Focus.de. Die – wie überall in Europa – öffentliche Diskussion um die
Aufnahme von Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen und deren
unterschiedliche Asylansprüche befeuert die Konfliktsituationen
zusätzlich.
Wagner sieht ein weiteres, keineswegs zu
unterschätzendes Problem bei der Unterbringung von Asylsuchenden in
deutschen Heimen. «Der Bildungsstand der Flüchtlinge ist sehr
unterschiedlich.» So stammen aus Syrien viele gebildete Menschen aus der
Oberschicht, wie etwa Ärzte, Anwälte oder Ingenieure. Aus manchen
Ländern Afrikas kommen hingegen viele Analphabeten. Dass sich daraus
beim Zusammenleben auf engstem Raum Probleme und Konfliktsituationen
ergeben können, liegt nahe. (fal)
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