Zur Medienqualität
Ich besuchte in der Karwoche das Lilienberg Kolloquium zum neuen Zyklus MEDIENQUALITAET.
Der Zyklus beleuchtet künftig Kriterien, Sichtweisen und mögliche Antworten im Aktionsfeld Medien und Kommunikation.
In der ersten Auslegeordnung in der Medienlandschaft sprach
Prof. Dr. Matthias Künzler
Forschungsleiter IMP – Institut für Multimedia Production
HTW – Hochschule für Technik und Wirtschaft Chur über
"Medienqualität
aus der Sicht der Konsumenten".
Nach den fundierten Ausführungen Künzlers und der anschliessenden vertiefende Diskussion, kehrte ich mit zahlreichen wertvollen neuen Erkenntnissen nach Hause:
Etwas was unbedingt vermehrt beachtet werden müsste:
- Geprüfte und ungeprüfte Informationen müssten deutlicher gekennzeichnet werden.
- Die Vielfalt der möglichen Qualitätsmerkmale machte mir einmal mehr bewusst, dass die Qualität ganzheitlich beurteilt werden muss.
- Alle Ansätze fand ich als Diskussionsgrundlage hilfreich (Kurt Imhof, Rainer Stadler, Sicht der Jugendlichen usw).
- Der Ansatz von Karl Lüönd, der nur wenige Qualitätskriterien festlegt, ist generell anwendbar. Er überzeugte mich besonders:
> Der redliche Umgang mit der Quelle.
> Die Darstellung kontraverser Meinungen
> Die Verständlichkeitskriterien
> Die Prozessqualität
Da ich mich auch über die Medienqualiatät im Zusammenhang mit dem Germanwings-Absturz verschiedentlich verlauten liess, interessierte mich die Beurteilung Künzlers zu diesem Medienhype. Er vertrat ebenfalls die Meinung, dass die Medien
nach dem Absturz sehr viel gut gemacht haben.
Ich zitiere aus dem Referat von Matthias Künzler folgenden lesenswerten Beitrag
Quelle: ZEIT online:
IMMER AUF SENDUNG
Ein Airbus stürzt ab, 150 Menschen sterben, sofort starten Live-Ticker und Sondersendungen, auch wenn noch nichts bekannt ist.
So wird Wirklichkeit verzerrt. von Alice Bota
Wenn die Nachrichten nicht abreißen dürfen, dann wird selbst das zu einer: dass auf dem Flughafen in Düsseldorf wartende Passagiere einfach so weiter Kaffee trinken, weil sie
noch nichts von dem Absturz mitbekommen haben. Dass Passagiere, die es mitbekommen haben, nun ein mulmiges Gefühl haben, selbst zu fliegen. Dass es ihnen, das hat man nun
wirklich nicht vermutet, leidtue um die Opfer. Dass Ann-Kristin G. (21) aus Ratingen beinahe auch in der Maschine gesessen hätte. Dass die Angehörigen unter Schock stünden.
Dass Seelsorger versuchen, die Situation, die nicht auszuhalten ist, mit den Angehörigen auszuhalten (es folgt ein Video). Dass Schaulustige von der Bergungsstelle ferngehalten
werden sollen, und man ahnt schon, wer diese Schaulustigen wohl sein werden – auch wir Journalisten. Dass eine Nachbarin den Copiloten Andreas L., der mutmaßlich das
Flugzeug hat abstürzen lassen, nicht kannte, aber nun ständig an ihn denke, man sei ja benachbart gewesen. Dass Andreas L. ein netter und höflicher Mensch war.
Alles zu lesen im "Live-Blog zum Unglück", "Flugzeugabsturz im Live-Ticker", "Live-Ticker", "Live-Blog", "Live-Stream"; fast alle Medien ziehen bei außergewöhnlich schrecklichen
oder großen Ereignissen mit, die Boulevard-Presse genauso wie die seriöse, auch die öffentlich-rechtlichen Sender sind dabei.
Die einen versuchen, sich an Meldungen mit Nachrichtenwert zu halten, Offizielles zu vermelden und dem Boulevard zu widerstehen, der jedes noch so absurde Gerücht zur
Nachricht erhebt. Aber bei allen Mühen, sie tappen dennoch in dieselbe Falle: Mit der Einrichtung eines "Live-Tickers" nach jedem bewegenden Ereignis, ganz gleich ob
Terroranschlag oder Flugzeugabsturz, verwischen sie den Unterschied zwischen Bedeutsamem und Nebensächlichem.
Die Nachricht vom Unglück wird überspült von der Flut der darauffolgenden Meldungen. Es gibt keine Hierarchisierung, keine Einordnung, keine Erklärung, im Live-Ticker
erscheint alles gleich wichtig: die Zahl der Opfer und die Nachrichten über den Copiloten Andreas L. ebenso wie Ann-Kristin G., die fast mitgeflogen wäre oder welche Politiker nun welche Kontrollen fordern. Medien folgen so der Logik von Twitter und Facebook.
Aber sie sind nicht Twitter, auch nicht Facebook.
Das Berichten in Echtzeit verstümmelt jede Wirklichkeit, wenn gerade nichts passiert. Es wird zum Selbstzweck, denn das, was bekannt ist, wäre in fünf Minuten gesagt.
Innezuhalten, zu sagen: Momentan wissen wir auch nicht mehr – das geht nicht.
Im Laufe des Dienstagnachmittags wurden keine neuen Erkenntnisse zum Absturz des
Germanwings-Airbus bekannt, aber kein Sender verzichtete auf Sondersendungen, fortlaufende Live-Schalten und Expertengespräche, in denen gemutmaßt wurde, was geschehen
sein könnte.
Der Satz der Stunde fiel im Brennpunkt, aber nicht nur da: "Momentan verbieten sich ja alle Spekulationen über die Unfallursache, aber was könnte da eigentlich
passiert sein?"
Vielleicht alles. Vielleicht nichts. Aber damit kriegt man keine 45-Minuten-Sendung voll.
"Simultationsmoderne" nannte der Philosoph Jean Baudrillard diesen Zustand der Gesellschaft, in der authentische und simulierte Ereignisse nicht mehr auseinanderzuhalten
seien. Man muss seine Theorie nicht teilen, um anzuerkennen: Es gilt die Realität, die Medien herbeisenden und herbeischreiben – mitunter mit fataler Wirkung für das tatsächliche
Geschehen.
Warum eigentlich darf der künstlich erzeugte Nachrichtenstrom nicht abreißen? Sind die Medien schuld (das wäre dann doch sehr einfach), oder doch die Zuschauer, die
dranbleiben, sich durchklicken, einschalten? Werden mit Sondersendungen und Live-Tickern Bedürfnisse befriedigt – oder erst geweckt? Was wäre dagegen zu sagen, nur dann auf
Sendung zu gehen, wenn neue, relevante Informationen vorliegen und diese wirklich bestätigt sind? Denn es ist ein Irrtum, zu glauben, dass Aufmerksamkeit die Währung ist, in der sich Mitgefühl ausdrückt.
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