Freitag, 19. August 2011

Die Konjunktivrhetorik der Bundesräte



Das vage unverbindlich Reden in der Möglichkeitsform kennen wir vor allem bei Bundesräten, insbesondere bei Micheline Calmy-Rey.



Ich zitiere die Basler Zeitung:


Rücktrittsgerüchte sind die treusten Begleiter der Bundesräte – aktuell etwa von Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey. Diese spielt aber, wie ihre Vorgänger, das Spiel der Medien nicht mit.
Gute Miene zum spekulativen Spiel: Micheline Calmy-Rey zu Besuch in Siders. (17. August 2011)
Gute Miene zum spekulativen Spiel: Micheline Calmy-Rey zu Besuch in Siders. (17. August 2011)
Bild: Keystone


 
Sie könnte, sie dürfte, sie müsste – der Konjunktiv ist schon seit Wochen und Monaten ein Genosse, der SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey eng begleitet. Die Aussenministerin «dürfte ihren Rücktritt per 31. Dezember ankündigen», spekuliert bereits im Juni eine Zeitung. Dieses Vorgehen «würde zu einem veritablen Abschiedsgeschenk an ihre Partei», so das Blatt – die Sozialdemokraten könnten damit bis zu den eidgenössischen Wahlen vom Oktober von erhöhter medialer Aufmerksamkeit profitieren.
Im Juli erklärt SP-Präsident Christian Levrat, er sehe für die Magistratin zwei Optionen: Rücktritt jetzt oder Weitermachen bis 2013/2014. Viele Medien stellen darauf, ermuntert von der vagen Aussage des Parteivorsitzenden, weitere kühne Prognosen an. Kioskplakate vermelden «Spekulationen um Calmy-Reys Rücktritt». Als «nächstmöglicher Termin», behauptet ein Medium, «rückt der 17. August in den Fokus». Worauf ein anderes widerspricht: «Alle Indizien deuten auf dieses Szenario: Calmy-Rey entscheidet erst nach dem 23. Oktober.»


Eine Ausnahme bestätigt die Regel


Nervosität greift um sich in den Redaktionen: «Die Gerüchte um einen Rücktritt schwellen nicht ab», lautet der alarmistische Tenor, man porträtiert bereits fleissig potenzielle Nachfolger. Die sogenannten Kremologen, die zu Zeiten des Kalten Krieges aufgrund vagster Beobachtungen auf Befindlichkeiten und Absichten der sowjetischen Staatsmacht zu schliessen versuchten, sie scheinen heute anstelle des Kreml in Moskau das Bundeshaus in Bern im Visier zu haben.


Die Bundespräsidentin, deren Demission so heftig herbeigeschrieben wird, ist derweil fleissig bemüht, die Spekulanten an der Börse der Politik zu besänftigen. Die Frage eines Rücktritts stelle sich nicht, antwortete sie kürzlich barsch einer Fernsehreporterin, die es gewagt hatte, sie auf die Gerüchte anzusprechen. Einem anderen Medium diktierte Calmy-Rey: «Meine Zukunft ist es jetzt, meine Arbeit als Bundespräsidentin zu machen, und nicht, über die Zeit danach zu reden.» Der Konjunktiv des jederzeit möglichen Rücktritts – er ist seit jeher der treueste Begleiter der Bundesrätinnen und Bundesräte.


Die Ausnahme, welche diese Regel bestätigt, ist Fritz Honegger. Kaum war er am 7. Dezember 1977 in den Bundesrat gewählt, machte der freisinnige Zürcher eine überraschende Ankündigung: Er gedenke, exakt fünf Jahre in der Regierung zu bleiben. Honegger hielt sein Versprechen – und trat Ende 1982 zurück.



Spekulationen mit Methode


Bundesrat Pascal Couchepin hingegen war elf Jahre im Amt, als er im Mai 2009 gefragt wurde, ob er beim nächsten Urnengang im September noch Sozialminister sein werde. «Vielleicht», antwortete der Walliser, «ist es meine letzte Abstimmung, vielleicht die zweitletzte, vielleicht aber auch die letzte vor der zweitletzten.» Im Oktober 2009 gab Couchepin seinen Sessel frei. «Vorwärts in den Rücktritt», titelte 1995 das Nachrichtenmagazin «Facts»: Es zitierte einen Freisinnigen, der raunte, FDP-Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz habe sich «während der Sommerferien Gedanken über seinen Rücktritt gemacht».
Auch der Stuhl von SVP-Magistrat Adolf Ogi wackle, behauptete das Magazin: «Freunde des Verkehrsministers diagnostizieren seit Monaten Ermüdungserscheinungen. Deshalb wäre nicht nur ein spontaner Abgang denkbar. Seit Kurzem denken freisinnige Kreise laut über eine Abwahl nach.» Es sollte dann noch drei Jahre dauern, bis Delamuraz im März 1998 aus der Landesregierung ausschied. Ogi seinerseits blieb gar noch ein halbes Jahrzehnt im Amt: Erst am 18. Oktober 2000 kündigte er seinen Abschied von der Politik an. Sind Spekulationen über Bundesrats-Rücktritte oft unseriös, so haben sie doch Methode. «Tritt Moritz Leuenberger zurück?», argwöhnte der «Blick» 2008 aufgrund von «Indizien». Der SP-Verkehrsminister demissionierte am 31. Oktober vergangenen Jahres.
Spekuliert wird oft notgedrungen. Denn «eine der dümmsten Journalistenfragen», sagte BDP-Bundesrat Samuel Schmid 2008 nach seiner Demission, «ist jene nach dem Rücktrittszeitpunkt. Sie wissen genau, dass Ihnen nie die Wahrheit gesagt wird.»


Was ist die Wahrheit im Fall Calmy-Rey? Sie könnte ihren Rücktritt noch diesen Monat verkünden. Sie dürfte es. Vielleicht weiss es nur die Betroffene selbst. Vielleicht auch nicht. Wer weiss das schon? (Basler Zeitung)


LINK_


4. Apr. 2007 ... Es lohnt sich, diese Weichspüler gezielt zu eliminieren. Erstaunlich: Viele Redner benutzen "Flicklaute". Damit werden Denkpausen akustisch ...
www.rhetorik.ch

«Weichspüler» entdecken würden: Schen- ken Sie diesen Abschwächungen irgendwie ein bisschen mehr Aufmerksamkeit. Mögli- cherweise könnte ihnen dieser Tipp ...
www.rhetorik.ch

Keine Kommentare: