Donnerstag, 9. Juni 2011

Kachelmann und die Medien




Als ich gestern die Podiumsdiskussion am 8. Juni im Kaufleutefestsaal in Zürich besuchte, befürchtete ich, dass beim Themenkreis Kachelmann/Medien lediglich alles nur nochmals aufgewärmt und wiederholt wird, was bislang bereits im Pressewald ausführlich geschrieben  und kommentiert worden ist

Doch die profilierten Referenten (Peter Studer, Medienrechtler, Kurt Imhof Soziologieprofessor Uni ZH, Peter Rothenbühler, Edipress und Thomas Knellwolf, Autor) beleuchteten einige neue erwähnenswerte Gedanken. Beispielsweise:



Weshalb die Gerichtsberichterstattung eine so starke mediale Verbreitung gefunden hat, wurde mit folgender aufschlussreichen These begründet:
Bei komplexen Themen über Politik, Energie, Finanzen ist die Oeffentlichkeit verunsichert und orientierungslos. Die Frage der Finanzkrise in Griechenland oder der Ausstieg aus der Kernenergie wird ständig neu beurteilt. Positionen werden ständig gewechselt. Es scheint bei Sachfragen keine eindeutige Antworten mehr zu geben. Beim Kachelmannprozess hingegen kann sich der Medienkonsument auf ein Schwarz-weissdenken auf Gut und Böse beschränken und wird so bei dieser trivialen Geschichte nicht überfordert. Er kann mitreden und zeigt auch reges Interesse daran.


Kurt Imhof wies auf ein anderes Phänomen hin, das mitgespielt haben könnte, bei diesem aussergewöhnlich  grossen Medienecho:
Im Geschlechterkampf kam es zu einem interessanten Kippeffekt. Nach dem Patriarchat folgte die Phase des Feminismus und in jüngster Zeit kippt es nun wieder zurück. Stichwort: Männer wehren sich jetzt für ihre Rechte.
Es könnte somit durchaus sein, dass dieser Kippeffekt im Geschlechterkampf mitgespielt haben könnte, dass sich Männer und Frauen bei der Story so angesprochen fühlten und Partei ergriffen  für die eine oder andere Seite.

Was die Diskussionsrunde generell ergeben hat:
Beim medialen Tribunal gab es Rechtsverletzungen auf beiden Seiten.
Der Kampagnenjournalismus schwappt immer mehr auf neue Titel über. Früher war es nur die Regenbogenpresse, die Themen wie Sex, Blut, Tränen beackert hatten. Bei Kachelmann nahmen nun auch andere Titel wie beispielsweise "Zeit" und "Spiegel" Partei für oder gegen Kachelmann und nahmen auch keine Rücksicht mehr auf Persönlichkeitsverletzungen. Eine Berichterstattung verpflichtete  sich früher in diesen Blättern  nie der Verteidigung für einen Akteur.
In zahlreichen Medien wurde allgemein der journalistische Codex verletzt.
So wurden Exklusivinterviews von Zeugen bezahlt.
Medien machten für oder gegen eine Partei Stimmung.
Vor allem kam es zu Verletzungen von Persönlichkeitsrechten. Betroffene wurden rücksichtslos und zynisch behandelt.
Ungeheuerlich war die Bewirtschaftung der einzelnen Positionen.

Jörg Kachelmann kehrt heute - nach der Freispruch - den Spiess um und nutzt nun  als Medienprofi seine Erfahrung hundertprozentig aus.
 Er beschimpft jetzt im Twitter  Journalisten und jagt sie jetztselbst, gleichsam als Paparazzi.
Er liess sogar über sich Filmchen herstellen und verkaufte sie.

Fazit: Die Aufgabe der Medien müsste künftig vermehrt darin bestehen, über einen Prozess reflektiv , über die Fakten zu berichten. Der Schutz der Persönlichkeit sollte vor allem viel besser gewahrt bleiben.



Ich zitiere Persönlich.com:


"Der Spiegel hat seine Glaubwürdigkeit verloren"

Unter dem Titel "Kachelmann und die Medien" diskutierte am Mittwoch im Zürcher Kaufleuten eine Runde aus Journalisten, Wissenschaftlern und Medienethikern über die Besonderheiten und Auswirkungen des Falls um den Schweizer Wetterfrosch Jörg Kachelmann. Im Zentrum stand dabei die besondere Rolle der Medien. Laut Diskussionsteilnehmer Peter Rothenbühler, dem Stv. publizistischen Direktor von Edipresse, haben verschiedene deutsche Leitmedien mit ihrer Berichterstattung ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Die Story



Der Fall Kachelmann bewegt. Der Prozess rund um den im gesamten deutschsprachigen Gebiet bekannten Wetterfrosch, der von einer ehemaligen Geliebten der Vergewaltigung bezichtigt wurde, beschäftigte über ein Jahr lang Medien, Öffentlichkeit und Gericht. Vor neun Tagen kam das Landgericht Mannheim dann endlich zu einem Urteil: Freispruch.
Ganz abgehakt ist die Sache damit jedoch noch nicht: Die Ausserordentlichkeit des Prozesshergangs beschäftigt Medien und Wissenschaft weiterhin. Ausserdem ist eine Berufung der Anklage hängig.
Journalist Thomas Knellwolf, der den Fall für den "Tages-Anzeiger" vor Ort mitverfolgte, hat alle greifbaren Fakten und die Geschehnisse rund um den Prozess einem Buch zusammengefasst. Zur Veröffentlichung von "Die Akte Kachelmann – Anatomie eines Skandals" fanden sich am Mittwoch im Zürcher Kaufleuten bekannte Namen des Schweizer Mediendiskurses zum Podiumsgespräch ein, um über die Auswirkungen des "Medien- und Justizskandales", wie Knellwolf ihn in seinem Buch bezeichnet, zu diskutieren.
"Hat sich das Gericht zu Recht über die Rolle der Medien empört?" fragte Podiumsleiter Hannes Nussbaumer, Leiter des Ressorts Hintergrund beim "Tages-Anzeiger", zuerst in die Runde. Die Antwort des Plenums war ein klares Ja. Die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung hätten wiederholt versucht die Medien zu instrumentalisieren. Ausserdem sei mehrfach Persönlichkeitsrecht verletzt worden, meinte etwa Kurt Imhof, Soziologieprofessor und Medienexperte an der Universität Zürich. "Wir haben es mit einem medialen Tribunal zu tun, das weit über den Boulevardjournalismus hinausgeht."
 





























 Podiumsdiskussion zum Thema Kachelmann: Thomas Knellwolf, Peter Rothenbühler, Peter Studer und Kurt Imhof debattierten. Ganz rechts Gesprächsleiter Hannes Nussbaumer.



Peter Rothenbühler, ehemaliger Chefredaktor der "Schweizer Illustrierten", ging dann gleich noch schärfer mit einigen seiner Berufskollegen ins Gericht: Deutsche Medien wie "Spiegel" und "Die Zeit" haben sich nach seiner Auffassung mit der Verteidigung verbündet und sogar Empfehlungen an Herrn Kachelmann ausgesprochen, um an Informationen zu kommen. Sie hätten damit Kampagnenjournalismus betrieben. "Diese Berichterstatterinnen sind für mich disqualifiziert", sagte er. "Der Spiegel – früher bekannt für exzellente Gerichtsreportagen – hat damit seine Glaubwürdigkeit verloren."
Auch Peter Studer, Jurist und ehemaliger Chefredaktor des Schweizer Fernsehens und des "Tages-Anzeiger", teilte diese Einschätzung weitgehend. Er habe grosse Unterschiede in der Berichterstattung gesehen. Die Internetportale seien dabei "sehr viel sensationalistischer" als die Printmedien vorgegangen. Gerade auch die Tamedia, das Haus, das laut Imhof den Kachelmann Prozess hierzulande eigentlich bewirtschaftet habe.

Einzelfall oder Tendenz?

Die Dosierung, die Rücksichtslosigkeit und die absolut zynische Behandlung verschiedener Akteure hätten dabei eine neue Dimension erreicht, sagte Studer weiter. Die Ausgangslage, eine "rassige Kriminalstory und Tragödie" sei eigentlich die eines altgriechischen Dramas und damit in keiner Weise neu. Warum dieser Prozess in den Medien so breitgewalzt wurde, versuchte Peter Rothenbühler zu ergründen: Er vermute, dass die meisten anderen öffentlichen Debatten zu komplex geworden seien. Lieber unterhalte man sich im Volk über Gerichtsfälle wie die um den ehemaligen Armeechef Neff, den Fall Seebach oder eben Kachelmann und urteile selbst über gut und böse. Denn das könne man eben gut mit dem Nachbarn diskutieren, ohne sich voll in die Materie reinzuknien.
Obwohl mehrfach von der Gefahr der zu grossen Einflussnahme der Medien gesprochen wurde und die professionellen "Leaks" von Staatsanwaltschaft und Verteidigung scharf kritisiert wurden, hielt das Plenum den Einfluss der Medien auf das Gericht für gering. Die ausführliche Stellungnahme des Gerichts zu diesem Thema zeige, dass sich die Richter breit informiert hätten, sagte Buchautor Knellwolf, an eine starke Beeinflussung glaube er aber nicht.

Wie weit darf man gehen?

Der spannendste und emotionalste Diskussionspunkt des Abends war derjenige der Persönlichkeitsrechte. Während Peter Rothenbühler die Auffassung vertrat, dass auch private SMS oder, wie im Fall des französischen Währungsfond Chefs Dominique Strauss-Kahn, Fotos von gedemütigten Personen in Handschellen überall abgedruckt werden dürften, sofern diese Teil der öffentlichen Diskussion geworden seien, hielt Imhof vehement dagegen. "Die Grenzen des Persönlichkeitsrechts sind weit überschritten worden. Dagegen müssen wir kämpfen!" betonte er. "Niemand gehen meine SMS etwas an." Hätte er eine Zeitung, so sollte dort zu lesen sein, wie die Gesellschaft im 21. Jahrhundert Schuld und Sühne konstruiert.
In einem waren sich dann aber alle einig: Reflektierter Journalismus, so wie in Thomas Knellwolf in seinen Artikeln für den "Tages-Anzeiger" und in seinem Buch betrieben habe, sei nötig und unterstützenswert.



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